Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1924

betrat, erhob sich mein Weibchen, eine reudige Röte auf dem schönen, zarten Antlitz, die dunklen, träumerischen Augen voll Liebe aufleuchtend. Aber im nächsten Augenblick bereits hatte sie mit weib¬ lichem Scharfblick in meinen Minen ge¬ lesen, daß irgend etwas nicht in Ord¬ nung sei. „Frank, warum siehst du so verstört aus? Was ist passierre“ rief sie aus, zärt¬ lich ihre Arme um meinen Hals schlin¬ gend. „Ich habe kaum den Mut, es dir zu sagen,“ versetzte ich. „O Jenny, mit un¬ eren Wünschen, unseren Hoffnungen ist es nichts! 60 „Was meinst du damit, Frant; rief Jenny, sichtlich erschreckend. „Was es auch sei, ich will es wissen. Laß mich das Schlimmste erfahren.“ „Jenny,“ begann ich feierlich; „Fräu¬ lein Hasting ist erkrankt. Das neue Stück kann nicht gespielt werden.“ „ Mein sußes Weibchen starrte mich eine Sekunde schweigend an — der Schrecken hatte ihr den Atem benommen, dann aber, anstatt wie ich erwartet hatte, in Tränen auszubrechen, zog sie meinen Kopf zu sich nieder und bedeckte mein Gesicht mit Küssen. — „Mein armer Frank,“ flüsterte sie „mein armer, armer Frank!“ Aber dies war mehr, als ich ertragen konnte. Dieser rührende Beweis von der elbstlosen Hingebung meines Lieblings raubte mir den letzten Rest meiner müh¬ sam bewahrten Fassung. Mit einem hei¬ eren Aufschluchzen sank ich auf einen Stuhl nieder und vergrub mein Gesicht in beide Hände. Hätte sie ihre eigene Enttäuschung be¬ ammert, so hätte ich vielleicht den Ver¬ uch gemacht, sie zu trösten und die Sache von einer leichteren Seite darzustellen; aber diese vollkommene Selbstvergessen¬ heit in ihrer tiefen, hingebenden Zärtlich¬ keit für den Gatten überwältigte mich vollständig. Eine kleine Weile herrschte Schweigen zwischen uns. Endlich begann Jenny: 43 „Frank, ich habe mir etwas ausgedacht das Stück kann dennoch gespielt wer¬ den.“ Verwirrt, kaum meinen Ohren trau¬ end, blickte ich auf; Jenny stand vor mir hochaufgerichtet, mit seltsam funkelnden Augen und resoluter Miene. „Was meinst du damit, Liebe?“ fragte ich, fast unbewußt wieder Hoffnung füh¬ lend. Wußte ich doch, daß Jenny nicht ohne hinreichenden Grund sich so be¬ stimmt aussprechen würde. Begierig wartete ich, zu hören, auf welche Weise sie die Schwierigkeit zu lösen gedenke. „Versprich, daß du über meinen Vor¬ — ver¬ schlag nicht lachen willst, Frank sprich, daß ich für diesmal meinen Wil¬ len durchsetzen darf, so hoffnungslos und abenteuerlich dir auch mein Plan schei¬ nen mag.“ „Ich bin kaum zum Lachen aufgelegt, mein Herz,“ erwiderte ich; „und du weißt, daß deine Anordnungen stets meinen vollen Beifall finden. Ich bitte dich, Jenny, laß mich rasch deinen Vor¬ schlag hören. „Frank,“ begann sie ernst, „Fräulein Hastings Erkrankung, soll deine Aussich¬ ten nicht beeinträchtigen. Gehe zu Herrn Willbrandt und sage ihm, daß ich die Rolle übernehmen will.“ Entsetzt sprang ich auf. Der fürchter¬ liche Gedänke erfaßte mich, Jenny habe den Verstand verloren. In ihrem ganzen Leben hatte sie keine Zeile auf der Bühne gesprochen — und es gibt nur wenige selbst unter den erfahrenen Schauspiele¬ rinnen, welche eine nur einigermaßen bedeutende Rolle in so kurzer Frist über¬ nehmen würden. Jedoch Jennys ruhiger, entschlossener Ausdruck beruhigte mich wieder und ich schüttelte traurig den Kopf. „Unmöglich, Kind! Du weißt nicht, was du ausgesprochen, mein armer Lieb¬ ling; du kannst nicht wissen, wie schwie¬ #77 rig „Ich weiß aber, daß wir eben die kost¬ baren Minuten vergeuden,“ unterbrach sie mich ungeduldig. „Ich kannte alle deine Vorwände im voraus, lieber

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