Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1923

108 Hans stieg eines Tages in das Berg werk und fuchte, wie er schon ein Träumer war, außer seinem Beruf nach Berg¬ kristall. Und da kam es, daß er sich auf der Suche nach Bergkristall in einen toten schon schlecht gestützten Stollen wagte, der aber hinter ihm zusammenbrach und ihn lebendig, umgeben von funkelnden Berg kristallen, die er reichlich vorfand, vergrub. Aber rasche Hilfe brachte in wieder ans Tageslicht und mit der Beute seiner köst lichen Bergkristalle fiel er in dieArme eines geliebten Weibes. Halb scherzend sprach die Frau zu ihm: „Nun hättest du wohl bald deinen Sarg aus Kristall bekommen. „Ja doch, gab Hans wohl heiter zu und schüttete die glitzernden und regen¬ farbenspielenden Kristalle in den Schoß des Weibes. „Sieh' mal,“ sprach er scherzend „jetzt werde ich bald die Zahl vollendet haben, daß ich mir einen Sarg aus diesen funkelnden Kristallen fassen lassen kann. „Du bist ein Kind, sprach Magda lächelnd und fuhr ihm sachte über das weiche Seidenhaar. Dann aber schauerte sie leicht zusammen und schmiegte sich fester an den geliebten Mann. Da lächelte er und sagte: „Noch aber leben wir“ und küßte heiß ihre treuen Augen. Der Sommer war wieder gekommer und Magdas trübe Zeit begann, denn Hans weilte fern von ihr in seinen Bergen! Ja, Hans weilte in den Bergen; ein freier Höhenmensch, stieg er leicht und sicher mit Pickel und Seil die Höhen hinan. Wonnetrunken schweifte sein Auge über die grünlich gleißenden Gletscher, deren Rauschen er bis herauf zu hören meinte. Seine Hand preßte einen Riesenstrauß glühroter Almrosen — die der Liebsten gehören sollter gegen das heiße, junge Herz. Ein starker Duft von Harz erfüllte die Luft, in der hoch oben ein Adler mit weitgespannten Schwingen zum fernen Horste zog.Es war ein Augenblick reinsten Friedens, reinster Daseinsfreude. Da — während die Augen noch den schwarzen Punkt in den Lüften verfolgten — ein Fehltritt und der kühne Bergsteiger sauste hinab in die tiefe, gähnende Spalte. Ein Aufklirren, noch einmal! Und dann Grabesstille. Hans Hödl gehörte den Lebenden nicht mehr an. Die Sonne sank und kalt wehte die Abendluft über die nächtlichen Firnen. Da unten aber lag Hans im Schoße des bleichen Gletschers zum letzten Schlaf gebettet. In tausend Lichtern spielend schimmerten die Kristallwände seines Sarges. Auf roten Rosen lag er gebettet, es war sein warmes, rotes Blut, das den Boden färbte. Und eine Flut roter Rosen war über ihn ge¬ streut, jener Rosen, die er der Liebsten vermeint. Die schönen schwarzen Augen waren geschlossen, aber ein glückseliges Lächeln lag auf den schönen Zügen. Und hoch oben zündete der Himmel ein stilles Totenlicht, den Abendstern, für den einsamen Schläfer an! Tage waren vergangen, ehe man Hans Hödl vermißte. Erst als ein jäher Wetter¬ turz die Berge mit glitzerndem Schnee überzog und die Gletscherspalten ausfüllte, daß ihr Vorhandensein eine umheimliche Sage schien — erst nach Tagen brachten die Zeitungen Bericht über ein neues „Opfer der Berge!“ Und fern, in der großen Stadt, lehnte Frau Magda am Fenster und schaute unter Tränen zum Abendstern empor, der auch ihm geleuchtet hatte und flüsterte wehmütig: „Mein armer Hans, nun hast du doch deinen Kristallsarg bekommen!“

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