Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1917

Ottilia von Kerschbergs Haus entfernt war. Da es um diese Zeit — es mochte drei Uhr nachmittags sein — im Fen¬ sterstübchen keine Gäste gab, ließ der Abt mit seinem Neffen sich dort nieder, bestellte Essen und Trinken und gar bald waren beide beschäftigt, ihre hungrigen Mägen zu befriedigen. Abt Ulrich sprach während des Essens sehr wenig und Wigbert, der diese Eigen¬ heit seines Ohms kannte, schwieg wäh¬ rend der Mahlzeit umso lieber, als er fühlte, daß ihm die leibliche Stärkung gar gewaltig not tat' nach soviel Auf¬ regung und Plage. Nun die einfache Mahlzeit zu Ende war, ließ der Abt durch den Wirt noch den zinnernen Weinkrug füllen und schenkte die beiden Gläser voll und stieß mit seinem Neffen an: „Gott segne die Mahlzeit und deine Heimkehr lieber Wigbert!“ Und hell klangen die Gläser zu¬ sammen. „So,“ sagte Abt Ulrich II. sich in den abgenützten Lederstuhl, den der „Löwenwirt“ für Gäste von besonderem Range immer bereit stellte, gemütlich zurücklehnend und die Hände leicht über den Unterleib kreuzend, „jetzt sag', du Weltenbummler, wann kamst du in Steyr an?“ „Gestern abends spät, hochwürdiger Herr Ohm“, entgegnete Wigbert. „Hab von Nürnberg her, wo ich mich zuletzt aufgehalten, den jungen Grafen von Wallsee, der mein Freund geworden, nach Regensburg und von da Donau¬ abwärts bis Enns begleitet und bin — 77 so in Steyr angelangt „Durch Zufall bloß —“!? schalte der Abt halb fragend ein. — „Nein, hochwürdiger Herr Ohm ich ging mit dem Wallseer nur heimwärts, da mein Dienstherr, der edle Graf von Preysing*) in Nürnberg verstarb und dann — es zog mich heimwärts, so mit unwiderstehlicher Gewalt, daß *) Barrisches Adelsgeschlecht. 187 ich froh war, mich dem Walseer an¬ schließen zu können auf der Reise —7 „So, so,“ machte der Abt leichthin und blinzelte Wigbert so eigen an, daß dieser rot bis hinter die Ohren wurde, „warst die Jahre hindurch grad' nicht von Heim¬ — weh geplagt „Hatt' auch wahrlich keine Zeit dazu, hochwürdiger Herr Ohm“ beeilte sich Wigbert fortzufahren. „Mein Dienstherr, der edle Graf von Preysing, Gott hab ihn selig, zu dem ihr mich vor sechs Jahren sandtet, damit ich das ritterliche Handwerk möcht' nach Brauch und Sitte lernen, war nicht der Herr, der uns Buben Grillen fangen ließ, hab' dort tüchtig zugreifen müssen bei Allem und dank ihm's jetzt gar wohl hiefür ich getrau mich nun mit jedem Ritters manne mich zu messen —.“ „Hast's heut' rechtschaffen bewiesen,“ nickte der Gleinker Abt wohlgefälligen Blickes auf seinen Neffen, „hast also noch den Reichstag gesehen zu Regensburg?“ König Wenzels Majestät***) hat wohl wieder alle fünfe grad sein lassen, he?“ „Ei, nicht doch, hochwürdiger Herr Ohm, König Wenzel wär der Schlimmste nicht, aber die Fürsten draußen im 77 Reich „Weiß es, sieht jeder nur auf seinem Sack,“ meinte der Abt ärgerlich. „Ja — und Königliche Majestät hätt manch guten Vorschlag durchzusetzen ge¬ habt! Ist ihm nicht gelungen; nur ein Geld für alle deutschen Lande gleich zu zeugen, hat er durchgesetzt zu ver¬ 7 ordnen „Schau, schau,“ sagte der Abt, „wär wohl gut, das wird aber auch so ge¬ schehen, wie alles andere! — Habe dir Grüße gesendet nach Nürnberg, vor et¬ lichen Monden, durch die edle Frau Ottilia von Kerschberg?!“ „Habe sie auch mit Freude erhalten hochwürdiger Herr Ohm — war oft bei uns am Hofe des Preysinger die — **) 1590. ***) Wenzel, Sohn Karl des IV., war damals deutscher König.

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