Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1917

148 der Krieg droht, so gingen alle Lebens¬ mittel sowie auch das Silberagio sehr stark in die Höhe und das Elend un¬ ter der verdienstlosen Arbeiterklasse steigt aufs Höchste. Ganze Scharen betteln. Am 9. Juni wurde infolge Mini¬ sterialauftrages die Mannschaft des hiesigen Bürgerkorps in den Ratssaal berufen und wegen Ueber¬ nahme der Strafhauswache in Garsten nach Abzug des k. k. Mili¬ tärs befragt, welche auch zugesagt wurde. Am 12. wurde der österreichische Ge¬ sandte von Berlin abberufen, am 17. erfolgte das Kriegsmanifest und das Silberagio stieg auf 40%, jedoch wurde unbegreiflicher Weise mit der Kriegsrekrutierung noch immer nicht begonnen, obwohl auch der Krieg mit Italien gleichzeitig beginnt; jedoch ist die Opferwilligkeit des Volkes eine unbegrenzte und die Stadt hat sich über¬ dies noch zur Uebernahme und Ver¬ pflegung von 200 Verwundeten bereit¬ erklärt, worunter 36 die Lambergsche Familie. Am 24. wurde in der Schlacht von Custozza Italien besiegt. Nachdem unser Kommandant der Nordarmee Feldzeugmeister Benedek die wichtigen böhmischen Pässe ohne Schwert¬ streich dem Feinde preisgegeben und in unbegreiflicher Untätigkeit verharrt hatte, erfolgte am 3. Juli die unglück¬ liche Schlacht bei Königgrätz, welche den militärischen Nimbus Oester¬ reichs vollständig vernichtete und den Preußen den ungehinderten Einfall nach Mähren und Oesterreich eröffnete. Am 5. Juli übernahm das hiesige Bürgerkorps die Strafhauswache in Garsten; am 16. fand daselbst ein Ausbruchkrawall statt, der jedoch sogleich unterdrückt wurde, indem in wen¬ iger als einer halben Stunde nicht blos der übrige dienstfreie Teil des Bürger¬ korps bewaffnet, sondern auch der Ar¬ maturfabrikant Werndl mit mehr als 100 seiner Arbeiter mit halbfertigen Pionniermessern dem Strafhause zu¬ stürmte. Vom 13. bis 23. Juli kamen unzählige aus Böhmen geflüchtete Militärbagage¬ wagen, über 300 Munitionswagen, über 500 Kladruber Militärgestütshengste, viele geflüchtete Privatgüterwagen nach Steiermark hier durch, und da die preus¬ sische Armee bereits in Niederösterreich eingebrochen ist und auch Oberösterreich bedroht, so wurden in Linz und auch hier die öffentlichen Kassen gepackt und zur Flucht vorbereitet, unzählige Privat¬ wertgegenstände geflüchtet oder ver¬ graben und auch die hiesige Sparkassa von Herausnehmern bestürmt, so daß im Juli nicht weniger als 100.071 fl. an 810 Parteien zurückgezahlt werden — Silberagio 31%. mußten. Endlich erst am 19. bis 24. Juli fand hier eine längst angekündigte zweite Rekrutierung statt; auch wurden hier im Schloß zum steiermärkischen Frei¬ korps 120 Mann angeworben. Am 25. Juli kam der erste Trans¬ port mit 68 Verwundeten zur Privatpflege hier an, denen noch über 50 nachfolgten. Alle Schiffe auf der Donau und Enns mußten fortgeschafft werden und die Linzer Brücken wurden zur Abbrennung bereitet. Im Monate August wurde das letzte Stück des im Jahre 1857 begonnenen Ennskais gänzlich ausgebaut. In militärischer Beziehung war es im Monate August bis nach dem Friedensschluße hier noch ziemlich ruhig, aber dann begannen wieder die Rück¬ züge der geflüchteten Menschen und Güter aus Steiermark nach Böhmen und Mähren. Die Rückzüge der Flüchtlinge, Mili¬ tär= und Privatgüter nach Böhmen dau¬ ern im September fort und am 2. Sep¬ tember begannen auch die Truppen¬ translozierungen aus dem bereits ausgesogenen und von der Cholera heim¬ gesuchten Niederösterreich nach Oberöster¬ reich, wo natürlich Steyr eine Haupt¬ einbruchsstation bildete. Am 2. und 3. kam das ganze 33. Linien=Inf.=Reg. Gynlay, 3. Bataillon hier an

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