Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1916

44 „Weil sie so halb und halb wis¬ sen, was ich dir jetzt sagen werde, Oswald,“ sagte Katharina, schmerzlich und mit vor innerer Aufregung zit¬ ternder Stimme. „Nochmals, wirst du schweigen über das, was ich dir jetzt anvertraue?“ „Ich sagte es ja —“ „Gegen jedermann, Oswald?“ „Gegen jedermann. — Aber wie du heute sonderbar bist.“ so höre! Deine Eltern „Nun werden ihre Einwilligung zu unserer Sie Ehe gar nie geben, wenn stockte, es schien ihr nicht leicht, das auszusprechen, was sie am Herzen hatte. „Wenn?“ frug er aufs höchste ge¬ spannt. Sie antwortete nicht gleich. Plötzlick raffte sie all ihren Mut zusammen und frug: „Hast du schon etwas von den Waldensern gehört, Oswald?“ „O, ja, mein Lieb, aber was soll 77 die merkwürdige Frage? „Verdammst du diese Leute?“ fragte unbeirrt weiter. sie „Hm — ich weiß nicht — ich kenne Lehre nicht!“ stammelte er ver¬ ihre „Aber, was haben diese Leute wirrt. mit uns und unserer Ehe zu tun? „O — sehr viel, mein teurer Os¬ wald, sie haben alles damit zu tun verstehe mich wohl — ich denn bin — die Tochter eines Waldensers!“ Diese Worte kamen stoßweise von den Lippen des Mädchens, man sah und erkannte aus ihrer Stimme, aus ihrem ganzen erregten Wesen, welchen Kampf ihr dieses Geständnis gekostet hatte Die Reihe des Aufgeregtwerdens kam nun an den jungen Mann. Er wurd abwechselnd blaß und rot, der Atem rang sich pfeifend aus seiner Kehle, er ließ Katharinas Hand los, blieb stehen und stammelte: wie sagtest du? Du, du „Wie wärst —“ „Die Tochter eines Waldensers ich sagte es dir,“ meinte das Mädchen fest, wenn auch ihre Stimme leise zit¬ terte. „Ich hielt es für meine Pflicht dir dies mitzuteilen, wenn es mir auch das Herz zerreißt — sage nun selbst haben wir Hoffnung, je im Leben ver¬ eint zu werden? Kannst du, der Sohn katholischer Eltern, mich, die Tochter eines Ketzers, als Gattin heim¬ führen?“ Sie waren stehen geblieben und hat¬ ten vergessen, daß sie sich unter Got¬ tes freiem Himmel befanden. Im übri¬ gen hatten sie keine Lauscher zu be¬ sorgen, es war genug einsam um sie her. Oswald sah zu Boden, als ob der Schnee seine Blicke festgebannt hielte; sein ganzes Wesen schien verändert. Seine Brust hob und senkte sich stür¬ misch, die kernige kräftige Gestalt er¬ bebte unter dem seelischen Kampf, der in ihr tobte. Wie auch nicht! Käthchen * sein Käthchen, die Tochter eines Wal¬ densers? Wer wußte nicht, was ein Waldenser war! Seine Eltern würden nie ihre Zustimmung zu einer solchen Heirat geben. Und doch! Was konnte im Grunde genommen Käthchen dafür Er sah sie unwillkürlich an. Sie stand fast demütig vor ihm, als erwarte sie aus seinem Munde ihr Urteil. Sie seufzte nicht, sie wehklagte nicht nur Träne um Träne stahl sich aus ihren Augen — langsam und unbewußt. Nicht im wilden, aufschäumenden Schmerz eines 62 nein, diese Tränen waren die still entsagenden, gramdurchbebten Her¬ zens. Ihr. Schmerz verbarg sich unter ihrer eine Ruhe; die war eine Maske Maske, um ihn zu täuschen und ihm das Entsagen leichter zu machen. Es überkam ihn plötzlich die Erkennt¬ nis des Wesens dieser edlen, hochan¬ gelegten Natur und der Wert dieses Kleinods wurde ihm mit einemmal voll¬ ständig klar. Er schämte sich vor sich selbst, auch nur einen Augenblick in Katharina eine Ketzerin gesehen zu haben, und plötzlich

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2