Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1916

fürstlich Lambergsche Familie von ihrem Pfleger Kratky, die zwei Angeklagten von dem Advokaten Dr. Silveri aus Linz und Dr. Schlager aus St. Flo¬ rian. Außerdem waren noch anwesend zwei Privat=Stenographen und Publi¬ kum, was Platz hatte, besonders von der Partei der Angeklagten. Nach acht¬ tägiger, sehr interessanter Verhandlung und eintägiger Beratung erfolgte end¬ lich am 19. das Urteil: Dr. Pierer schuldig der Vergehen der Aufwiegelung u. Ehrenbeleidigung, Strafe vier Wochen Arrest, Michael Haas schuldig nur des letzteren Vergehens, Strafe 150 fl. zum Armenfonde. Berufung dagegen von allen Seiten. Die Schmähartikel gegen den Bürger¬ meister und dem Sekretär im „Alpen¬ boten“ dauern im März fort, unge¬ achtet der gerichtlichen Verurteilung und diese Geschichte nimmt bereits einen ziem¬ lich revolutionären Charakter an. Der reiche und jetzt allmächtige Ar¬ maturfabrikant Josef Werndl erbaut auf seinem eigentümlichen, zur vormali¬ gen Papiermühle gehörigen Garten¬ grunde auf dem Kohlanger nächst der Wehre des Wehrgrabenkanales eine 18 Klafter lange und 10 Klafter breite, aus Quadern gemauerte Schwimm¬ schule, wohl zunächst zum Gebrauche für seine vielen Arbeiter, aber doch auch zur allgemeinen Benützung, wo¬ durch einem längst gefühlten Bedürf¬ nisse unserer Stadt abgeholfen wird Die beiläufigen Kosten derselben betra¬ gen 15.000 fl. Die Mitte des April bis gegen Ende war ziemlich regnerisch und kalt, doch war auch im April kein Stäubchen Schnee gefallen, und die ältesten Leute denken keinen so schneelosen Win¬ ter wie den heurigen, weshalb auch die Holzpreise beträchtlich gesunken sind. Ueberhaupt sind bei einem Silberagio von nur mehr 10% die Preise aller landwirtschaftlichen Produkte merklich gesunken, daher sich bei den gewaltig erhöhten Steuern nun auch die Oeko¬ 21 nomie in derselben Klemme wie die In¬ dustrie befindet. Jedoch hat sich infolge des konsequent durchgeführten konstitu¬ tionellen Systems der Staatskredit be¬ reits mächtig gehoben, der Banknoten umlauf um mehr als 50 Millionen vermindert und die ausgewanderten K. M.=Silbersechserl (10 kr. öst. W.) kehren wieder massenhaft zurück. Der bei der letzten Gemeinderats¬ ergänzungswahl von unserer mächtigen Oppositionspartei gewählte k. k. Be¬ zirksvorsteher des Landbezirkes, Herr Jakob Schulz hat in richtiger Vor¬ aussicht sein Gemeinderatsman¬ dat zurückgelegt; denn schon nach wenigen Tagen kam der hohe k. k. Mini¬ sterialauftrag, welcher ihn infolge sei¬ ner Vorschubleistung für die Piererschen Schmähartikel von seiner Stelle als Bezirksvorsteher enthob und sogleich zur Dienstleistung bei der k. k. Statt¬ halterei einberief. Man erwartet auch noch andere solche Maßregeln zur end¬ lichen Begleichung dieser erniedrigenden und gehässigen Differenzen. Weil bei der letzten Ergänzungs¬ wahl von der Opposition auch der eben verurteilte Buchdrucker Michael Haas in den Gemeinderat gewählt worden ist, so haben hierauf am 13. April 7 Ge¬ meinderäte der älteren, sogenannten Bürgermeisterpartei, ihre Mandate zu¬ rückgelegt, welche aber von dem Statt¬ haltereipräsidium und dem Gemeinderat nicht angenommen wurde, gegen welche Ablehnung dann wieder rekuriert wurde. Am 15. April abends nach 9 Uhr sind in der ersten Zeugstätte in Aichet zwei Schleifen abgebrannt. Da bei der Eisenindustrie überhaupt und ebenso auch bei der großartigen Armaturerzeugung schon seit Beginn dieses Jahres, sowohl infolge des be¬ reits bis auf 10% gesunkenen Silber¬ agio, als auch der polnischen Revolu¬ tion, ein so allgemeiner Absatzmangel herrscht, daß bereits mehrere hunderte von Arbeitern entlassen werden mußten, so ist unser unternehmender Waffen¬

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