Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

Aussatz erklären, und berief sich zum Schlusse auf das Zeugnis des alten Abraham. Stumm vor Entsetzen über das Ge¬ hörte saßen die edlen Herren da, und es dauerte eine Weile, bis sie sich so¬ weit erholt hatten, daß sie einander durch Blicke mitteilen konnten, wie tief sie das Gehörte erregt habe. Abt Mar¬ quard von Gleink war es, der zuerst die Sprache wieder fand und der den alten Abraham fragte: „Und was hast du uns zu sagen?“ „Ich habe den Worten des hochwür digen Paters Erasmus nichts beizu¬ fügen, sagte Abraham ruhig und be¬ scheiden, „es sei denn, daß ich in Pa¬ lästina und Syrien den Aussatz kennen gelernt und lange Jahre zu beobach¬ ten Gelegenheit hatte. — Pater Eras¬ mus hat sich leider nicht getäuscht, der Gott meiner Väter sei mein Zeuge, daß ich aus innerster Ueberzeugung mich dem Urteile des gelehrten Pater Eras¬ mus anschließe!“ Hätte jemand von den edlen Her¬ ren noch Zweifel an der entsetzlichen Tatsache gehabt, so würden dieselben durch die schlichten Worte des alten Abraham behoben worden sein, denn jeder der Anwesenden mußte sich sa¬ gen, daß der Jude es nicht wagen durfte, unbedacht und nicht wohlerwogen zu sprechen. „Und wie lange kann die Krankheit noch währen?“ fragte Ulrich von Stu¬ benberg. „Sie ist unheilbar,“ sagte Pater Erasmus, „der Arzt ist machtlos da¬ gegen. „Gott sei es geklagt, daß es so ist, fiel ihm der Abt von Gleink in die Rede, „aber nicht so meinte der edle Herr von Stubenberg seine Frage. Ich will diese Frage anders wiederholen: Wir wissen durch euch beide, daß der Herr Herzog den unheilbaren Aussatz hat — schrecklich für ihn, den Gott trösten möge, und traurig für das Land. Aber eben wegen des Landes, für das 33 der Herr Herzog sein Haus bestellen muß, sollen nicht Recht und Gesetz auf lange Zeit zum Stillstand geraten, müs sen wir fragen: Wie lange hat unser armer Herr noch Zeit dazu?“ „Das steht in Gottes Hand,“ er¬ widerte Pater Erasmus fest, „unser Wissen ist gering, trügt es nicht, mag unser armer Fürst sich, gesellen sich nicht andere Krankheiten hinzu, in 7—8 Jahren bereit halten, einzugehen in den Himmel, der ihm, dem edlen Dul¬ der, kaum vorenthalten werden wird. Feierlich und mit tiefem Ernste hatte Parer Erasmus gesprochen — es hörten sich seine Worte an wie eine Stimme aus höheren Regionen und unwillkürlich folgten die Blicke der edlen Herren je¬ nen des Paters, der seine Worte mehr an den alten Abraham gerichtet hatte, als an die Herren des Rates, und dieser nickte seine Zustimmung zu der Ansicht des Paters, ohne ein Wort derselben hinzuzufügen. „Wir danken euch beiden,“ sagte der Burggraf endlich nach einer Pause, „es ist selbstverständlich, daß ihr schweigt.“ Das war eine Art von Verabschie¬ dung, die verstanden wurde, denn der Pater und der Jude nickten und ent¬ fernten sich. Die edlen Herren wurden darüber, daß die Vornehmsten des Landes von der Krankheit zu verständigen waren, bald einig, auch darüber, daß dies erst dann geschehen dürfe, wenn der Her¬ zog selber von seinem Zustande unter¬ aber wer sollte es dem richtet sei — Fürsten sagen? Lange und hitzig waren die Reden aber keiner getraute sich, wenn auch schonend, die entsetzliche Wahrheit dem Herzoge zu enthüllen. „Was streiten wir uns hier um eine solche Sache,“ sagte da plötzlich der Abt von Gleink, „ist nicht mein hochwürdi¬ ger Amtsbruder von Garsten auch Hof¬ kaplan zu Steyr? Ihm, den obersten Seelenhirten des herzoglichen Hofes, 10

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2