Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1915

„Ich dächte, es sei hier ruhiger,“ entgegnete Herr Gerung, sich nach allen Seiten umsehend. „Ich hab' gar wich¬ tiges mit dir zu reden und hier her¬ außen gibt's keinen Lauscher — wer ist im Haus? „Meine Enkelin, edler Herr —“ „Kann die uns hören?“ „Wenn wir leiser, als üblich sprechen, nicht!“ — dann bleiben wir da.“ „Gut, Und Herr Gerung setzte sich auf die Bank und lud durch eine Handbewe¬ gung den Alten ein, das Gleiche zu tun. „Wißt wohl, warum ich da bin?“ fragte Herr Gerung, nachdem er ein Weilchen gegen die heutige Vorstadt Aichet hinausgeblickt hatte. „Edler Herr, wie soll ich das wis¬ sen?“ sagte der alte Abraham mit lauerndem Blick, „eure Wege sind verschieden.“ „Na — vermeinte doch, daß du dies an den Fingern abzählen kannst, daß Gerung von Schachen nicht bei dir Geld pumpen will,“ meinte Herr Ge¬ rung mit leisem Spott, „die Schachen haben, Gott sei gelobt, das nicht — nötig kann also nur deinen Rat als Arzt haben wollen, meinst du nicht auch, es ist so?“ Der alte Abraham nickte. „Ich steh' zu Diensten, edler Herr,“ agte er, „wer ist krank?“ Herr Gerung spielte nachdenklich mit dem Wehrgehänge, sah auf seine Stie¬ fel hinab und endlich auf den Juden, der mit ruhiger Miene zu Boden sah. „Abraham, ich halte dich für einen vernünftigen Mann,“ sagte Herr Ge¬ rung endlich etwas gepreßt, „und ich hoffe, du hältst reinen Mund über das, was ich dir zu sagen habe.“ „Edler Herr, bin ich ein Jüngling, 577 dem das Herz auf der Zunge liegt. ragte der Alte bescheiden, aber doch mit Würde, „ein Arzt hat die Sprache verloren, steht er im Dienste eines Kranken.“ 19 „Wohl, wohl,“ nickte Herr Gerung, „will dir's auch geraten haben das, und dein Schade wird's nicht sein. Hör also!“ Und er neigte sich zu dem Alten und sprach mit halblauter Stimme lange und eindringlich, zeitweise unterbrochen von den Fragen, die der alte Abra¬ ham an ihn richtete. „So stehen die Sachen jetzt, chloß Herr Gerung, „und wir haben beschlossen, auch deinen Rat zu hören.“ Der alte Abraham wiegte nachdenk¬ lich das weiße Haupt. „Gern tu ich alles, was ich vermag, edler Herr, 7 sagte er, „aber „Aber — he?“ „Was wird der gnädigste Herr Her¬ zog dazu sagen?“ „Ich bin mit seiner Bewilligung da, das merk Alter, er will, daß du ihn behandelst.“ Wieder nickte der Alte und kraute sich verlegen am Kopfe. „Ist noch ein Bedenken?“ „Ja, edler Herr — des gnädigsten Herrn Herzogs Arzt ist der hochwürdige Pater Erasmus — wird er nicht mir entgelten lassen, daß ich ihm ins Hand¬ werk pfusche, wie man zu sagen pflegt und dann, ist es wohlgetan, daß ein Jude zur Behandlung beigezogen wird?“ „Wir haben alles bedacht, Alter, und so wie der Herr Herzog deine Kunst schätzt, tut's auch der Adel, und dem Pater Erasmus tust du sehr un¬ recht, denn er selber hat uns gebeten, dich, als einen Mann, dessen Kennt¬ nisse er kennt und ehrt, ihm beizu¬ geben. Sagte er doch selber; vier Augen sehen mehr als zwei!“ „Wenn es so ist, edler Herr —“ „Hagel alle Welt, ich sag dir ja, daß es so ist,“ sagte Herr Gerung etwas unwirsch. „Wir alle wollen Klar¬ heit haben, der Herr Herzog und das Land. Prüft und tut, was euer Wissen nur vermag und bedenkt, es 9*

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