Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

68 gedungene Verbrecher erfolgten Ermor¬ dung dieses alttürkischen Helden unter Essad Pascha sowie mehrfache Heldentaten ein¬ zelner Führer: Hieher gehört z. B. der Heldentod Fethi Paschas, des früheren türkischen Gesandten in Belgrad, der wäh¬ rend der Kämpfe um Monastir eine Di¬ vision kommandierte und durch Schrapnells am Kopfe verwundet, um nicht gefangen genommen zu werden, einem Soldaten das Gewehr entriß und sich selbst erschoß, nach¬ dem er erklärt hatte, er könne es nicht er¬ tragen, als Gefangener in ein Land ge¬ führt zu werden, wo er früher Gesandter gewesen. Hieher gehört weiters die Tat Dschawid Paschas, der mit 15.000 Mann nach zwölf verzweifelten Bajonettangriffen die serbische Armee durchbrach und so der Gefangenschaft entging. Und der Balkanbund selbst? Unter dem Einflusse Rußlands und wohl auch Frank¬ reichs zusammengebracht und schier plötzlich und zur nicht geringen Überraschung einer ganzen Serie europäischer Diplomaten in Aktion getreten, zog er unter dem Zeichen des Kreuzes und mit dem Schlachtenrufe der Befreiung unterjochter Völker gegen die Türkei zu Felde; als aber dann der Gegner unter den konzentrischen Angriffen der Heere von drei slawischen und, wie sich später zeigte, von der Kultur nur halb beleckten Staaten, denen sich als vierter Griechenland zugesellt hatte, niedergerungen war, da entpuppte sich der „Kreuzzug“ als ein veritabler Beutezug; wie Wölfe, wenn sie ihr Opfer erreicht, nicht nur die Beute, sondern auch sich selbst in wilder Gier gegenseitig zerfleischen, so fielen die Ver¬ bündeten, als es die Verteilung des Sieges¬ preises galt, heißhungrig übereinander her; blutgierig und unter gegenseitigen Mord¬ brennereien und grausigen Massakers rangen drei der Verbündeten den vierten, der sich in den Kämpfen gegen die Türken als der Tapferste bereits halb verblutet und unter des Russophilen Dr. Danews unglückseliger Leitung allzuviel auf Rußland gebaut hatte, zu Boden, bis daß der Geschlagene, Bulgarien, die Intervention seines Pro¬ tektors, Rußland, und als diese nichts half, jene der Großmächte und als auch diese als eine vergebliche sich erwies, jene Rumä¬ niens anrufen mußte, um Friede flehend. Das war dann die schlimme Kehrseite der Medaille, und wie eine tragische Ironie des Schicksals muß es erscheinen, wenn man diesem Ende des Balkanbundes, das auch eine schmähliche, wenn auch vielleicht nur vorübergehende Niederlage des Panslawis¬ mus auf dem Balkan bedeutet, gegenüber an einige Episoden erinnert, die sich in den Honigmonden des Balkanbundes ab¬ ge¬ spielten; wenn man des Telegramms am denkt, das die bulgarische Sobranje der 7. Oktober 1912 an die Parlamente damaligen Bundesgenossen in Athen, Bel¬ grad und Cetinje richtete, und welches die Hoffnung aussprach, daß die christ¬ lichen Balkanstaaten unlösbar ver¬ eint im gemeinsamen Kampfe gegen die Anarchie und die Tyrannei, unter welchen ihre Stammesgenossen in der Türkei zu leiden haben, der Ordnung, der Gerechtig¬ keit und der Freiheit zum Siege verhelfen werden; oder wenn man der kühnen Mel¬ dung eines Belgrader Telegramms vom 8. November 1912 sich erinnert, wonach König Ferdinand von Bulgarien ent¬ schlossen sei, in Konstantinopel einzuziehen und sich dort als Kaiser Simeon II. krö¬ nen zu lassen! — Statt des Siegesein¬ zuges in Konstantinopel und der Krönung als Kaiser Simeon II., der Gang nach Canossa=Bukarest und die Gefahr des Ver¬ lustes der Krone Bulgariens. Das sind so die Wandlungen im Glückspiele des Krieges. Gegenüber dem Wirrwarr unter den un¬ lösbar vereinten Balkanstaaten hebt sich in erfreulicher Klarheit die Hal¬ tung Rumäniens ab: auf sein gutes Recht und frühere Zusagen bauend, die ihm eine gerechte Grenzregulierung gegenüber Bul¬ gariens versprachen, hielt es ruhig Gewehr bei Fuß während des Kampfes des Bal¬ kanbundes gegen die Türkei die Neutrali¬ tät aufrecht, ging es friedliebend, dem Wunsche Rußlands folgend, zur bulgari¬ schen=rumänischen Konferenz nach Peters¬ burg, die ihm aber keine volle theoretische Befriedigung seiner Ansprüche, noch weni¬ ger aber eine praktische Befriedigung selbst

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