Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

Der Rentner unterbrach schließlich die Stille, die ihn zu bedrücken be¬ gann: „Na, Herr Altenhoff, wollten Sie nicht erzählen, wie... „Ah, gewiß, gern, mein lieber Herr Schütte“ fiel der Chemiker lebhaft ein. „Aber, wo beginnen?“ Ein kur¬ zes Sinnen, dann fuhr er fort: „Mit¬ ternacht hatte es schon ein Weilchen geschlagen, als ich gestern auf dem Heimwege dem Nikolausplatze zu¬ chritt. Bedächtig, Schritt vor Schritt. Sie wissen ja, unsere berühmte Stra¬ ßenbeleuchtung. Dicht vor mir über¬ quert jemand den Platz. Die Schritte agten mir das, erkennen konnte ich in der rabenschwarzen Nacht natür¬ lich gar nichts. Da — in der Nähe der Kirche verstummten ganz unvermit¬ telt die Tritte des Unbekannten. Ein Gegenstand fällt mit lautem Geräusch auf den Bürgersteig. Einen Augen¬ blick später schallte das polternde Stampfen eines dahinstürmenden Menschen laut, entsetzlich laut über den einsamen finsteren Platz. Nanu! Was hatte sich denn da abgespielt? Ich beschleunige meine Schritte und chon stolpere ich auch. Teufel! War das Absicht. Hat man mir ein Hinder¬ nis in den Weg gelegt? Nun aber, erst recht dem Fliehenden nach. Doch kaum zehn Schritte war ich gelaufen, — da bauz! fliegt mir etwas an den Kopf. Und — weg ist mein Hut. Ohne Hut? Nee! Lieber laß den Kerl lau¬ fen. Ich taste im Finsteren herum. Vergeblich. Ah, mir geht ein Nord¬ licht auf: das elektrische Taschenlämp¬ chen. Famos, Herr Schütte, famos sage ich Ihnen, wenn man so'n Din¬ gelchen zur rechten Zeit bei sich hat. Man kann auf alle Straßenbeleuch¬ tung verzichten. Sie haben doch so'n Ding? — Nein? Ich kann Ihnen wirklich dazu raten. Man kann auf Gas verzichten, sogar auf unser so beliebtes Petroleum. Also, mein lieber Herr Schütte, anschaffen. Doch, wo 29 war ich gleich — ah, ja. — Mit Hilfe meines Taschenlämpchens hatte ich bald meinen Hut gefunden. Vergnügt —Donner stülpte ich ihn auf und und Doria! — er rutscht mir bis über beide Ohren. Das konnte doch nicht mit rechten Dingen zugehen. Mir wurde ganz schwül. Und als ich den Schaden bei Licht besah, da war es gar nicht mein Hut. Ah, denke ich das ist also das Ding, das mir vorhin an den Kopf flog. Der Gedanke war nicht schlecht, aber damit hatte ich noch immer nicht meinen Hut wieder. Neues Suchen. Es dauerte ein bißchen lange, denn ich suchte vor mir und der Hut lag ein paar Schritte hinter mir. Aber ich machte dabei noch eine neue Entdeckung. Ich erblickte nämlich das Hindernis, das mich beinahe zu Fall gebracht hatte. Und mein lieber Herr Schütte, können Sie erraten, welchen Gegenstand ich fand?“ „Meinen Spazierstock“ entgegnete chnell und erwartungsvoll der Rentner. „Famos, famos, mein lieber Herr Schutte, wie schnell Sie das Richtige treffen. Es war tatsächlich Ihr Stock. Das habe ich nicht sogleich, sondern erst in meinem Zimmer beim Schein der Petroleumlampe erkannt. Man soll auch Petroleum nicht verachten Man weiß eben nie im Voraus, wozu man es mal nötig hat. Der eine brauchts gegen Frostbeulen, der an¬ Ge¬ dere für Straßenlaternen. Alles schmacksache, mein lieber Herr Schütte. Es riecht ja 'n bißchen eklig, aber das macht nichts. Der Chemiker schwieg. Er sah ganz gefesselt auf die Spitzen seiner Schuhe, die er in gleichmäßigem Takte auf¬ und abwippen ließ. „Herr Altenhoff“ unterbrach der „Ist Rentner endlich die lange Pause. der Hut, den Sie gefunden haben, mit blauem Futter versehen?“ „Ja, hellblaues Atlasfutter, so “ „Ah, da fanden Sie meinen Hut.“

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