Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

30 „Ihren Hut? — Wie kommt der auf den Nikolausplatz? Und Ihr 77 Stock? „Er entfiel mir, als ich eilig mich entfernte. Auch der Stock ging mir da¬ bei verloren. „Ah, dann waren Sie der Flie¬ hende? Da erklären Sie mir doch um alles in der Welt, was trieb Sie in die Flucht, Herr Schütte? „Ja“, sagte der Rentner ein wenig verlegen. Dann schwieg er, um gleich¬ falls seine Fußspitzen auf= und abzu¬ wippen. Er hatte gewiß weniger Übung darin, als der junge Mann denn die roten, glänzenden Haus¬ chuhe des Rentners gingen bald schnell bald langsam auf und nieder. „'n ja?“ unterbrach der Chemiker nach einem Weilchen das Schweigen. „Den anderen“ begann Herr Schütte. „Ich meine den, der mich vor Sie der Kirche angriff, den haben 27 doch wohl gesehen, Herr Altenhoff¬ „Den anderen? — Herr Nein, Schütte, den sah ich nicht. Außer uns, außer Ihnen und mir, war keine Menschenseele um die Mitternachts¬ stunde dort. „Keine — Menschen—see—le?“ „Nein! Darauf kann ich einen Schwur ablegen. „Wa—a—a—s?“ Herrn Schüttes Blick ruhte forschend auf dem Gesicht des anderen, das lebhaft zuckte. Aus den zusammengekniffenen Augen, aus den eingezogenen Mundwinkeln des jungen Mannes lugte unverkennbar dem Rent — der Schalk hervor. Ah! ner dämmerte eine Ahnung auf. Sollte man 's für möglich halten? Kurt Altenhoff, ja der, kein anderer Ob der wohl reinen Mund gehal¬ ten hatte? Blieb die Geschichte unter ihnen beiden, dann wars ja mit dem ausgestandenen Schreck erledigt. Alles andere, nur nicht in das Gerede der Leute kommen. Gewißheit. „Sie haben natürlich das Abenteuer bereits erzählt?“ fragte der Rentner. „Nein, Herr Schütte,“ entgegnete der andere, „das habe ich nicht. „So, ah. Das ist mir lieb.— Auch Ihrem Vater nicht? „Nein, keinem Menschen. „Ahl Mein lieber Herr Altenhoff hm — 'n ja, ich möchte Sie bitten, inständig bitten, auch ferner zu schwei¬ gen. Sie wissen ja, wie leicht man in unserem kleinen Nest ins Gerede der Leute kommen kann.“ „Ich werde schweigen, Herr Schütte unter einer Bedingung. „Und — die ware? „Herr Schütte,“ Altenhoff trat leb¬ haft auf den Alten zu, „geben Sie mir Lissi zur Frau und ich werde schwei¬ gen, nie soll ein Wort über die Ge¬ schichte aus meinem Munde kommen. Das schwöre ich Ihnen. Der Rentner war sprachlos. Das hatte er nicht erwartet. Arger über den Streich, den ihm der andere ge spielt hatte, und ein lebhaftes Gefühl für das eigene komische Verhalten da¬ bei wogten in ihm auf und ab. Und zum Schluß die Brautwerbung! Das war doch zu sonderbar. Da sollte einer ernst bleiben. Und— „haha, haha“ lachte er laut auf. Das Lachen tat ihm nach der unangenehmen Spannung der letzten Zeit ordentlich wohl. „Teufelskerl!“ Die Rechte des Rentners fiel derb auf die Schulter des anderen. „Teufelskerl, das ist Er¬ pressung. Sie wollen mir das Madel abpressen. „Herr Schütte, mir blieb kein an¬ derer Ausweg. Sie... „Schon gut! Und der Feldstein auf meiner Fensterbank? ... Sie, natür¬ lich... Sie? Lachend nickte der Chemiker. „Und“, Herr Schütte streckte seine Rechte dem jungen Mann hin. „Und reinen Mund gehalten!“ „Meine Hand darauf.“ Der Che¬ miker schlug kräftig in die Rechte des anderen. „Nie werde ich eine Silbe über die Geschichte verlauten lassen.

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