Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

28 eine geraume Weile in seinem Zim¬ mer umher. * Rentner Schütte erschien am näch¬ sten Tag recht spät und recht übellau¬ nig am Kaffeetisch. Er hatte schlecht geschlafen und noch schlechter ge¬ träumt. Ja, ja. Er wollte trotz allem wieder nachts die Fenster offen lassen, denn er war zu lange daran gewöhnt. Unwirsch schob er die Tasse zurück, die ihm seine Tochter wie stets sorg¬ lich füllte. Und seine Stimmung besserte sich gewiß nicht, als Lissi ihn nach seinem Hut und Spazierstock fragte, da sie beides nicht am Kleider¬ tänder im Flur gesehen hätte. Einen Augenblick sah der Vater verständnis¬ los seine Tochter an. Dann schoß ihm ein Erinnern durch den Kopf. Don¬ nerwetter! Der Stock war ihm ja auf dem Nikolausplatz entfallen und der Hut beim eiligen Laufe vom Kopfe ge¬ flogen. Und beides hatte er in der Aufregung ganz vergessen. Sollte er einer Tochter das Abenteuer erzäh¬ — Ach, was! Da knurrte er die len? unschuldige Mahnerin an. Und Lissi wagte nicht, ihre Frage zu wieder¬ — Sie ließ den Vater mit holen. einer schlechten Laune allein. Doch, wo waren Hut und Stock? Himmel, wenn die Geschichte bekannt würde? Wie würde man ihn, den alten Schütte, verlachen. Um alles in der Welt nur das nicht. Laut gellte die Haustürklingel. Herr Schütte schrak ein wenig zusammen; er war nervös geworden, wirklich nervös War das bei dem Verdruß der letzten Nein Zeit etwa verwunderlich? Ge Halt! Wer sprach denn da im Hausflur? — Donner, der junge Al¬ tenhoff? — Ja, wirklich. Wie, der wagte! Na, warte Bürschchen! Ein kräftiges Klopfen, nach kurzem Zögern noch einmal. Dann wurde die Tür geöffnet und Kurt Altenhoff be¬ trat das Zimmer. Heiter, harmlos. „Guten Tag, Herr Schütte. Ich störe doch nicht?“ Lebhaft streckte er die Rechte hin. Der Hausherr verharrte regungs¬ los und mit zusammengepreßten Lip¬ pen an der Stelle. Der Chemiker ließ die Rechte sinken und machte es sich dann in einem Sessel bequem. „Sie gestatten gütigst?“ Da fuhr der Hausherr wild auf ihn zu. „Herr!.... was erdreisten Sie sich?“ 7 „Aber mein lieber Herr Schütte... „Der Teufel!“ Dröhnend schlug die Faust des Rentners auf die Tisch¬ platte. „Der Teufel mag Ihr lieber Herr sein, ich nicht. Verstehen Sie: ich nicht!“ Harmlos blieb das Gesicht und harmlos klang der Ton des Chemi¬ kers: „Ich begreife nicht, wirklich .... „Begreife nicht“ unterbrach der Zornige, der des anderen Stimme nachzuahmen suchte, was ihm in sei¬ ner Erregung schlecht genug gelang. Einen Augenblick schnappte er nach Luft, um dann schreiend auszurufen: —Hinaus! Das werden „Hinaus Sie doch begreifen.“ „Ah, Sie sind schlechter Laune, mein lieber Herr Schütte. Na, gehen wir, vielleicht trifft's sich ein andermal besser.“ Der Chemiker stand gelassen auf. Dann meinte er leichthin: „Ich glaubte, daß Ihnen an ihrem Spa¬ zierstock sehr viel gelegen sei, und da wollte ich Ihnen mitteilen, daß ich gestern einen gefunden habe, der ... „Einen Ebenholzstock? „Ja, einen Ebenholzstock mit Elfen¬ beinkrücke und goldenem Ringe. „Und wo? — wo fanden Sie ihn?“ „Auf dem Nikolausplatze. Eine son¬ derbare Begebenheit. Wenn Sie es wünschen, erzähle ichs Ihnen gern. Doch... Der Chemiker setzte sich. sei¬ Der Hausherr folgte mechanisch nem Beispiel. Eine ganze Weile blieb es still.

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