Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

12 zwischen uns. Vormittags war die alte Frau, die ich neulich in den Zir¬ kus mitgenommen, bei mir und teilte mir in verblümten Reden mit, daß man über mich und den Kunstreiter John Pekwill mancherlei munkle. Ich hätte mich darüber ärgern kön¬ nen, wenn mir nicht alles so gleich¬ gültig wäre außer Johns Liebe. Ich fühle, wenn mir diese unvermindert, ungeteilt bleibt, daß ich alles zu er¬ tragen imstande bin, was mir früher unmöglich erschien — und noch dazu der mit freudigem Herzen. Alles Haß oder die Mißgunst anderer Men¬ chen, ja selbst ihre Verachtung, alles ist mir gleichgültig, wenn nur sein Herz mir bleibt! Doch sagte ich zu ihm, als er abends kam, es wäre vielleicht besser, wenn wir uns irgend¬ wo anders sehen könnten, und teilte ihm hierauf auch mit, warum ich es wünsche. Er ward zornig. Und doch hatte ich ihm gesagt, wenn es anders nicht ginge, ehe ich ihn gar nicht sehen sollte, eher ertrüge ich alles andere lieber. Aber er sagte heftig: „Wenn du eine vom Zirkus wärest, brauchten wir alle diese Geheimnistuerei nicht wir liebten uns und wenn wir dann könnten, würden wir uns heiraten, ganz einfach!“ Ich weiß nicht, was in mir jetzt vorging —ärgerlich sagte ich: „Eine vom Zirkus? Wäre dir denn das recht? Möchtest du mich denn so lie ber haben?“ „Lieber? Ich weiß nur, daß dann nicht dieses Versteckenspielen wäre. „So hast du etwa nicht eine beson¬ 2 dere Vorliebe für Kolleginnen:“ mußte ich weiter fragen. „Ja doch!“ versetzte er. „Ich finde dieselben sogar sehr liebenswert. „Besonders Trapezkünstlerinnen, nicht?“ sagte ich. Er sah mich erstaunt an, während ein dunkles Rot über eine Zuge lief. Dann lachte er kurz und mißtönend auf und erwiderte: „Das gebe ich dir gerne zu, daß die Frauen am Trapez mit ihren ge¬ chmeidigen Gliedern und graziösen Bewegungen besonders reizvoll sind. Ich war jetzt wahnsinnig vor Eifer¬ sucht, toll vor Leidenschaft, und doch brachte ich es zuwege, daß ich ziemlich ruhig aussah und gleichmütig sprechen konnte. O, wie ich ihn in diesem Augenblick, wo er mir ver¬ loren ging, liebte! Denn ich wußte, daß ich ihn mit meinen Worten ver¬ letzt hatte, und wenn ich es ihm nicht abbat, er gehen und nicht wieder kommen würde. Und ich konnte ihn nicht versöhnen, mir stand immer er jene Miß Karolina vor Augen hatte doch an mir gutzumachen, nicht ich an ihm! Er sprach noch eine Zeitlang von Unwesentlichem, dann ging er, ohne mich wie sonst unzähligemale zu einen einzigen kühlen, küssen — flüchtigen Kuß fühlte ich auf meiner — den Abschiedskuß! Als ich Stirne allein war, streckte ich sehnsüchtig die Arme nach ihm aus und sagte: „O Hans, warum bist du so gegangen? Und warum ließ ich ihn so gehen, warum rief ich ihn nicht zurück? Armes, sich abquälendes Menschen¬ herz! 30. Dezember. Drei Tage sind ver¬ — ich wußte es gangen, er kam nicht ja! Was soll ich tun? — O, wenn ich Trapezkünstlerin wäre, bei seiner Truppe sein könnte, das alles gäbe es nicht zwischen uns! Mich läßt er allein und jene bewundert er alle Tage. Wenn ich an ihrer Stelle wäre und dann so seine volle Bewunde¬ rung empfinge! Und warum sollte das nicht sein können? Wenn ich Trapezkünste er¬ lernen wollte, könnte das leicht mög¬ lich sein. Und wollen —wollen? Gibt es etwas, das ich um seinet¬ willen nicht will? 10. Jänner. Der Gedanke ist wirk¬ ich lerne lich zur Tat geworden Trapezkünste. Zuerst konnte ich mich

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