Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1914

ihr gehen — und ich blieb. Blieb und im sah mit der tollsten Eifersucht ich Herzen der Künstlerin zu, wie sie be¬ am Trapez elegant und sicher wegte. Sie ist so schön, diese Miß Ka¬ rolina, mit der hohen, ebenmäßigen Gestalt, dem schönen, heiteren Ge¬ sicht, den dunklen, glutvollen Augen und dem rabenschwarzen Lockenhaar! Ich fühlte einen tiefen Haß gegen sie in mir emporsteigen und ich weiß auch ganz gewiß, daß ich — Gott ver¬ eine Se¬ — zeihe mir die Sünde! kunde lang wünschte: sie möge vom Als Trapez stürzen und tot sein! ich den Zirkus verließ, sah ich ihn unten stehen — er wartete sicher au sie, um sie nach Hause zu geleiten. Was hätte ich in diesem Augenblick nicht darum gegeben, ohne die alte Frau hiehergegangen zu sein! Damit ich ihm hätte nachspüren können. So aber, es half nichts, mußte ich nach Hause. 23., morgens. Wiederum ein Brief. Er kommt auch heute nicht, aber da¬ für morgen am Heiligen Abend. Und weil er nicht kommt, will ich heute wieder hingehen in den Zirkus aber allein. Es ist ein Zwiespalt in ich meinem Wesen — ich sage mir, sollte nicht hingehen, und doch muß ich es tun. Ich weiß, daß es mir Schmerz bereitet, wenn ich ihn mit ihr heimgehen sehe, und da ich nichts anderes zu sehen erwarte, warum gehe ich hin? Um mir selbst wehe zu tun? Denn lassen, nein, lassen kann ich ihn auch dann nicht! Warum also? Ein Rätsel! Abends. Es ist so — er ging mit ihr heim. Ich wartete nach der Vor¬ stellung vor dem Hause, bis ich ihn kommen sah — er hatte sie am Arme. Mich bemerkte er nicht und hätte mich auch kaum erkannt, da ich dicht in Mantel und Schleier gehüllt war. Er sprach leise zu ihr, ich konnte eine Weile nichts verstehen, als ich so ganz langsam hinter ihnen drein ging. 11 Endlich hörte ich lautere Worte. Er agte im Tone unverhohlenen Ent¬ zückens: „Es ist wahr, Miß Karolina, ich bewundere Trapezkünstlerinnen ganz besonders. Das Weib ist so schön und graziös in seinen Formen und Bewegungen, daß es nicht zu verwun¬ dern ist, wenn man da entzückt ist, wo man alles in höchster Vollendung ieht.“ 1 Ich hörte sie hierauf lachen, die Worte, die sie erwiderte, vernahm ich nicht, brauchte es auch nicht zu wissen, was sie sagte — ich hatte genug an einen Worten. Mit wundem, trau¬ rigem Herzen ging ich heim. O Hans, Geliebter, wenn du in mein Herz schauen könntest! Weihnachtsmorgen. Gestern am Heiligen Abend war er hier bei mir und er brachte etwas von seiner alten, seiner früheren Stimmung mit — hie und da ein Anflug humor¬ vollen Spottes, weicher Zärtlichkeit. Dies durchbrach wie Sonnenschein ein sonst so zurückhaltendes Wesen. An jene Miß dachte ich nicht oder wollte vielmehr nicht daran denken, um mir den Heiligen Abend nicht zu verdüstern. Er sprach nichts von ihr. Es scheint mir, es ware besser, wenn er es getan hätte. Sicher wäre heute über mein Herz leichter. Ob ich ihn Aber die Sache befragen soll? was würde ich damit ändern? Wenn er zugestehen würde, er liebe jene, so müßte ich ihn dann lassen, dürfte ich — und so ihn nicht mehr sehen jeder Tag, an dem ich ihn noch sehe, ist für mich ein Tag mehr meines Lebens! Heute kommt er nicht, aber mor¬ gen wieder. Heute kann er sich vom Freundeskreis nicht ausschließen, agte er. Ich äußerte nichts darüber, ich will daß mir das nicht lieb sei nicht zu viel von ihm verlangen. 27. Dezember. Wir waren gestern wieder beisammen, es herrschte aber eine etwas unerquickliche Stimmung

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