Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1913

Schwur, nun im Leben nicht mehr voneinander zu lassen, und der Toten¬ hofer nahm mit Freuden den neuen Hausgenossen auf, der von da ab mit rührender Treue am Krankenbett Agathens saß und die Liebe, die er für sie im Herzen verschlossen hielt, in guten Taten laut werden ließ. Und eines Tages kam der Sonnen¬ sehein auch für diese Trauernden wieder. Agathens Augen öffneten sich zum zum Wiedererkennen ihrer Umgebung, Wiederfinden des Bewußtseins, zur ge¬ langsamen Genesung, zum neu wonnenen Leben. Zur selben Zeit brachte auch Gregori gute Post vom Moosgrundhofe: Das Fieber war von Toni gewichen; es bestand keine Gefahr mehr für den Verwundeten und die kräftige Natur wirkte schon ersichtlich, um das wieder hereinzubringen, was ihm verloren gegangen war. Aber noch ein dritter kehrte ins Leben zurück: der wilde Kaspar! Ge¬ rade saßen der Totenhofer, der Berg wirt und der vom Moosgrund plau¬ dernd vor dem Totenhofe beisammen und durch das offene Fenster strömte die erquickende Abendluft zu Agathe hinein, der Traudl und Gregori Ge¬ sellschaft leisteten, da ertönte den Tal¬ weg herauf ein mächtiger Jodler und ein frischer Gesang folgte. „Dös is der Kaspar!“ rief der Totenhofer und sprang auf. „Ja, wahrhaftig!“ setzte der Berg¬ wirt bei und legte die Hand vor die Augen. „Da kommt er schon!“ „Kaspar, du!“ riefen alledrei Männer ihm erstaunt entgegen. „Ja!“ antwortete er und seine Augen leuchteten. „Jatzt bin i frei worden — jatzt bin i erst a Mensch — sie haben mich ausgelassen, wieder die Untersuchung is zu Ende. Die Sach' is verjährt! Schlecht hätt's ma ausfallen können, hat der Herr Land¬ richter g’moant, wann's a net an dem war'; denn ich hab' eahm bewiesen, daß i an Jaga net wia a Mörder sondern im ehrlichen Kampf, in Not 29 wehr um mei Leben, weil wir hart aneinander geraten waren, nieder¬ g’schossen hab'’ — aber besser ist besser so, i brauch' wenigstens net erst no vor's Schwurg'richt, sondern bin gleich ausg'lassen worden!“ Dabei wies er mit zitternden Händen ein Schreiben, das seine Freilassung und die Einstellung des Verfahrens verkündete. „Jatzt nimm i euern Handschlag an!“ rief er den Männern aus dem Dorfe zu. „Jatzt is koa Flecken mehr an dera Hand!“ „Und du, Traudl,“ fügte er bei und reichte ihr dann die Rechte zum Fenster hinei, „du hast mir a verzieh'n jatzt, gelt? „Längst! Längst!“ entgegnete die Alte schluchzend und erwiderte den Händedruck. * Die Wochen eilten dahin, die beiden Menschenleben, welche die Katastrophe gefährdet hatte, erstarkten und ein Spätsommertag kam, an dem Toni noch etwas langsam zwar aufsteigend, aber mit neugewonnener Gesundheit zum Totenhof kam, um denen zu danken, die sein Leben gerettet hatten. Feierlich im Sonntagsanzuge begleitete ihn eine große Schar aus dem Volke. In der Nähe des Marterls auf freier Berghalde trafen sie mit den Brüdern vom Totenhof, mit der alten Traudel und Gregori zusammen und begrüßten sich. Mit beiden ausgestreckten Händen ging Toni auf die Brüder vom Toten¬ hof zu. „Daß i heut' no leb’, daß id' Sonn' und die Berg’ no amal schau', das verdank' i euch,“ sagte er, „euch ganz alloa! Der Herrgott droben, der uns da auf der Höh' no näher is als drunt im Tal, wird a Einseh'n haben und 's euch lohnen! I aber sag' halt vergelt's Gott tausendmal und seid's ir nimmer bös! Bei diesen schlichten Worten, unter denen die Stimme des Burschen zitterte, liefen den wettergebräunten Männern

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