Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1913

Zventibold gewendet, in seiner herri¬ chen, boshaften Art: „Sieh, da, wie viele Totenköpfe hier herumliegen! Schwarze und weiße! Sogar hier siehst du den Unterschied der Menschen: die weißen Köpfe sind die der Edelleute, die schwarzen gehören den Bauern und den Knechten!" Und ohne eine Antwort abzuwarten, ritt der stolze Ennstaler Graf weiter, der Stallmeister und der Schildträger trotteten stumm hintendrein. Aber den Zventibold wurmte der Hochmut dieses fremden Herrn, dem er nur auf Befehl seines Herrn Grafen diente und ganz umsonst, denn der Ennstaler Graf gab keine Geschenke und dankte auch für keine Dienstleistung. Der Ritt führte durch die Wälder gegen das heutige Christkindl, wo die Steyr übersetzt wurde und dann auf dem Fahrweg, der nach Sirnicha führte, heimwärts nach Styra. In der Gegend des heutigen „Föhrenschacherls“ mußte schon seit altersher ein Richtplatz ge¬ wesen sein, damals war es dieser Platz auch, wie noch lange nachher. Ein Gal¬ gen war da aufgerichtet, denn in der stürmischen Zeit wurde ein solcher oft genug benötigt. Zum Begraben der Leichen der Gehenkten nahm sich nie¬ mand Zeit, auch war das nicht üblich und so bleichten die Gebeine der Ge¬ richteten unter dem Galgen, wo sie hin¬ fielen, riß der Strick, oder brachen im Wind und Sturm die Knochen von sel¬ ber ab. Von den Totenköpfen, die da am Richtplatze herumlagen, waren die mei¬ sten weiß, zum großen Vergnügen des wackeren Zventibold. Als er merkte, daß der Ennstaler Graf darauf hin¬ sah, ritt er zu ihm hin, wies auf die weißgebleichten Schädel und fragte grin¬ end vor Vergnügen mit bitterem Hohn und Spott: „Edler Herr, sind das lauter ade¬ lige Köpfe?“ Dem edlen Herrn aus dem Enns¬ tale quollen vor Wut fast die Augen IXV aus dem Kopfe heraus und die feine rechte Hand fuhr an den Dolch. „Hund, Sohn eines Hundes, was getraust du dir zu sagen?“ schrie er zornentbrannt den kecken Frager an, „ich steche dich ab wie ein Schwein, das du bist — hast du das gehört, Stall¬ meister?“ „Von Totenschädeln hab ich was ge¬ hört,“ brummte der Stallmeister und zog seinen Fliegenschimmel aus der be¬ drohlichen Nähe des unheimlich aufge¬ regten edlen Herrn, „der Herr Graf hat wohl auch die Frage des Schild¬ trägers nit ganz wohl verstanden.“ „Fahrende Gesellen, verhungertes Volk,“ keuchte der Graf aus dem Enns¬ tale vor Wut fast atemlos und spornte sein Roß, um auf die Zwei losgehen zu können. Die waren aber hurtiger und gewandter als ihr Angreifer, wandten die Pferde geradeaus gen Styra und galoppierten davon. „Zventibold, das war nit wol ge¬ sprochen,“ sagte ger Stallmeister, als sie ruhiger nebeinander dahingalop¬ pierten, „das kann uns eine böse Suppe zum auslöffeln geben — daß du deinen 77 losen Schnabel nit halten kannst „Hat er es nit verdient?“ fragte der Schildträger und bemühte sich, seinen Sattel, der im Reiten vorgerutscht war, zurückzubringen, „sind wir wirklich Hunde, so wie er schreit?“ „Hm, da bin ich ja deiner Mei¬ nung,“ schüttelte der Stallmeister be¬ —77 denklich das ergraute Haupt, „aber „Na, aber,“ meinte Zventibold un¬ geduldig, „den Kopf wird's nit kosten — bei der Mühle?) erwarten wir ihn, da wird er schon ruhiger sein.“ Der edle Graf aus dem Ennstale ward aber nicht ruhiger und forderte vom Grafen Aribo für diese Beleidi¬ gung sofort den Kopf des frechen Knech¬ tes. Herrn Aribo wollte der Vorfall durchaus nicht so fürchterlich erscheinen wie seinem edlen Gaste und auch der *) Heute St. Michaels=Mähle. 5

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