Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1912

Annchen stand auf, das Taschentuch an die Augen drückend, verließ sie das Zimmer. „Jetzt heult sie wieder!“ sagte unge¬ rührt der erzürnte Vater. Frau Johanna schwieg, aber von Zeit zu Zeit löste sich ein schwerer Seufzer aus ihrer Brust. „Der Schleicher!“ unterbrach wieder unvermittelt der Oberförster die Stille. Jetzt öffneten sich die Schleusen ihrer Beredsamkeit. „Georg! Ich bitte dich, laß einmal vernünftig mit dir reden! Du bist im Unrecht und zwar stark! Ich wüßte nicht, was der Referendar ver¬ rochen hätte! überhaupt ist er ein sehr anständiger Mensch, und wenn er ein Auge auf unsere Tochter geworfen hat, so solltest du eigentlich recht froh sein! Nächstdem macht er seinen „Assessor“ und er ist dann gar keine schlechte Partie. Junge Leute, die für unser Annchen passen, sind in unserem „ Stadtchen nicht auf der Straße zu fin¬ den und Annchen wird auch nicht jünger!“ „Und so weiter! Und so weiter! warf bissig der Oberförster ein. „Die¬ sem Spion willst du unsere Tochter an¬ vertrauen, der ihren Vater unglücklich machen wird!" Er sprach in allem Ernste. Die ganze Geschichte mit der Katze erzählte er haarklein und malte in den schwärzesten Farben. „Natürlich denunziert er mich drüben! Wenn ich mit meinen grauen Haaren noch vor Gericht muß, das überlebe ich nicht! Frau Johanna erschrak. „Hast du es auch tun müssen! Immer habe ich dich gewarnt, doch du hörst ja nicht auf mich!“ Er nickte trübselig. „Es war ja niemand in der Nähe, wenn nicht ge¬ rade dieser Mensch hier herumgeschnüf¬ felt hätte!“ Plötzlich hellte sich Frau Johannas Gesicht auf. „Wir gehen heute mittag zum Picknick!“ sagte sie sehr bestimmt. Er sah sie mit offenem Munde an erstaunt über diese unerhörte Wider¬ setzung gegen seinen Willen. 63 „Gerade damit er nicht plaudert!“ fügte Frau Johanna bedeutungsvoll hinzu. * * * Das Picknick war reizend. Alles, was der Referendar arrangierte, war auch gelungen. Überall herrschte Frohsinn und Heiterkeit. Nur Annchen saß ab¬ seits und war sehr traurig und hörte nicht auf die Trostworte des liebenden Referendars. „Der Vater hat dich nie leiden mögen, aber seit heute morgen haßt er dich geradezu!“ „Aber Annchen! Was habe ich ihm denn getan! Es ist mir einfach unver¬ ständlich!“ Sie sah scheu umher, ob kein unbe¬ rufenes Ohr es hörte. „Er hat Angst vor dir“ sagte sie, „wegen der Katze! ... Weil du es gesehen hast! Reineke schüttelte sich vor Lachen. „ „Das ist kostlich!“ sagte er, „er hat Angst, ich werde ihn anzeigen!“ Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Wenn du mich liebtest, wie ich dich so könntest du nicht so lachen, da es so traurig mit uns steht!“ Er drückte verstohlen ihre Hand. „Sei ruhig, Annchen! . . . Ich glaube, es steht gar nicht so traurig mit uns, ich habe solch eine dunkle Ahnung! Alle Leute wunderten sich, daß der Oberförster so angelegentlich mit dem Referendar sprach, da er doch nie einen Hehl daraus machte, wie wenig er ihn leiden mochte. Reineke saß mit dem Rücken gegen eine Tanne gelehnt und streckte behaglich die Beine vonsich. Nun zog er die Stirne in gelehrte Fal¬ ten. „Es gehört zur Zuständigkeit der Schöffengerichte,“ sagte er „und es steht wahlweise Geld= oder Gefängnis¬ strafe darauf. Der Oberförster lachte gezwungen. „Es ist gut, daß es niemand gesehen hat!“ sagte er vertraulich. „Daß Sie reinen Mund halten, ist doch selbstver¬ ständlich, lieber Herr Referendar! Ober¬ „Selbstverständlich,Herr förster .. . Das heißt! ... Wenn ich

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