Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1908

ich am sichersten, inmitten der holländi¬ schen Bauern, dieses frischen, kernigen Menschenschlages, mit dem sie sich schon prachtvoll verständigen konnten. Und in diesen letzten Tagen, in diesem kleinen Ort, sollte das böse Schicksal ihnen noch einen bösen Streich spielen, der sie bei¬ nahe um ihre ganze Zukunft gebracht. Wie es gekommen, sie wußten es selbst nicht mehr, der Gemeindevorstand d's Dörfchens trat auf einmal auf sie zu und verlangte die Pässe der beiden zu sehen. Marr verlor die Geistesgegenwart nicht, agte, indem er seinem Freunde einen verstohlenen Blick zuwarf: „Wir haben sie draußen im Rucksack, wir wollen sie gleich holen, komm', Wolf“ wandte er sich an Zillich Draußen im Korridor raunte Marr dem Freunde zu: „Nun schnell weg, was wir laufen können, wir werden sonst arretiert und die Sache wird bekannt.“ Sie liefen nach der Haustür, doch in demselben Augenblick kaum auch der Ge¬ meindevorstand, der wohl Lunte hatte, daß nicht alles in Ordnung war, aus der Gaststube und stellte sich mit den Worten: „Nu, wo sind die Pässe?“ vor die Tur. Marr drehte sich wie der Blitz um, lief ans offene Fenster neben der Hintertür, chwang sich aufs Fensterbrett und prang hinunter. Zillich war ihm nach¬ gelaufen und war eben im Begriff, das¬ Frack¬ elbe zu tun, als er sich an den schößen gehalten fühlte, trotzdem sprang er, es gelang ihm, er kam hinunter, aber „ — o weh! — die Frackschoße waren in den Händen des Gemeindevorstandes ge¬ blieben. Nun liefen die Beiden in der sie nur Dunkelheit querfeldein, was laufen konnten, die Verzweiflung spornte ihre Kräfte, wußten sie doch, es war um ihre Zukunft geschehen, wenn sie gefaßt — der Ge¬ wurden. Sie waren gerettet meindevorstand allarmierte wohl die Ge¬ sellschaft, sie machten wohl Anstalt zur Verfolgung, ließen aber bald davon ab indem sie sich mit ihrem angeborenen Phlegma klar machten, daß sie die beiden bei der herrschenden Dunkelheit doch nimmer erwischen würden. 61 Nächsten Morgen, ja, da knurrten die Mägen bedenklich, sie hatten Zeit, in den Taschen suchen und die Taschen um¬ drehen, nicht ein Krümchen fanden sie. Es war Sonntag. Die Sonne war herr¬ lich aufgegangen, die Beiden schickten sich an, mit großen Schritten auf das nächste zu Dorf loszugehen, um sich ihr Frühstück erspielen. Zum erstenmal vielleicht auf der ganzen Tour hatte sie ihr Uebermut ver¬ lassen, besonders Zillich war ganz klein¬ laut geworden, er hungerte und dann die 7 ominösen Frackschoße! So sahen sie auch nichts von der Pracht des herrlichen Mor¬ gens, die Saat stand hoch und harrte des Schnittes, die Lerchen brachten dem Schöpfer ihr jubilierendes Morgenlied dar, die Sonne leuchtete warm und tief am dunkelblauen, wolkenlosen Himmel, es war schön, wunderbar schön! Sonn¬ täglich geputzte Kirchgänger und Kirch¬ gängerinnen aus den umliegenden Dör¬ fern wallfahrten in ihrer hübschen Sonn¬ tagspracht ins nahe Städtchen zum Gottesdienst und begegneten den Beiden. in Manch erstaunter Blick streifte Zillick ah einem wunderbaren Kostüm. Er ich wie die Leute lachten und lächelten, ihr nach ihm umdrehten, er hörte Tuscheln und Sprechen und die Scham¬ röte stieg ihm heiß ins Gesicht. Sie sahen aber auch beide zum Erschrecken aus: staubig, ungekämmt, unrasiert, verhun¬ gert und Zillich in seinem Rocke! „Du, ich muß einen Frack haben, ich kann mich doch so nirgends zeigen“, brach Zillich das Schweigen. „Ja, aber erst müssen wir doch Geld „von haben, Wolf,“ brummte Marr was sollen wir den Frack kaufen? Denkst du, die Leute schenken ihn uns? Also vorwärts, wir müssen das nächste Dorf gleich erreicht haben, dann wird gefidelt „ und — gefrühstuckt“ fügte er mit tiefem Atemzug hinzu. „Ich fühle mich zum Sterben elend seit gestern abends nichts gegessen, mir ist seekrank zumute, meinte Zillich, „der verrückte Gemeindevorstand, was fiel ihm nur ein, uns nach den Pässen zu fragen?“ „Er witterte wohl etwas“ antwortete Marr lakonisch.

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