Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1907

Juwelier zu, „ich kaufe dann vielleicht noch einen Schmuck für meine Frau!“ „Wehe dir! Wehe dir!“ rief diese, und damit verabschiedete sich das Ehepaar lachend, während der Oberst noch einmal versicherte er komme am anderen Tage und hole sich den Ring ab. Das geschah denn auch. Am Tage darauf erschien der Oberst, gefolgt vom Diener, der ihm den Paletot trug, im Juwelierladen, während der Diener vor der Tür blieb. Der Oberst ließ sich den Ring auf¬ ziehen, er paßte vorzüglich. Dann wollte er mit seiner linken Hand die Brieftasche aus dem Rock holen, aber siehe da, er hatte sie vergessen. „Das ist aber dumm! So etwas ist mir auch noch nicht passiert. Da muß schnell durch meinen Diener die ich Brieftasche holen lassen. Ach, bitte, seien Sie doch so freundlich und schreiben Sie mal da auf den Briefbogen, den Sie da haben: „Liebe Frau, schicke mir doch meine Brieftasche mit den Kassen¬ scheinen!“ Ich warte dann hier bei Ihnen auf den Diener!“ Der Juwelier überlegte nicht lange und schrieb, was der Oberst ihm gesagt hatte, und während er schrieb, meinte dieser noch, nicht ohne Wehmut: „So geht's nun einem armen Krüppel, dem der Arm abgeschossen ist!“ Dann rief er den Diener in den Laden und sagte zu ihm: „Karl, laufen Sie schnell zu meiner Frau, ich habe die Brieftasche vergessen; meine Frau kann vielleicht hieher nachkommen, oder wir treffen uns dann. Aber eilen Sie, daß Sie zurückkommen!“ „Und als der Diener gegangen war, da sagte der Oberst: „Nun sollen Sie mal sehen, wie schnell mein Diener zurück sein wird!“ Aber über das schnelle Zurückkommen schien sich diesmal der Oberst zu täu¬ schen; wenigstens kam Karl ihm nicht schnell genug zurück, während der Juwe¬ lier ihm verschiedentlich versicherte, daß er unmöglich wieder da sein könne. „ Aber der Oberst ward nervos. Er ließ 63• sich den Ring wieder vom Finger ziehen und wollte draußen einmal nachsehen. Der Juwelier meinte zwar, er könne ja ruhig den Ring aufbehalten, wenn er auch vor die Tür gehen wolle. Das lehnte aber der Oberst entschieden ab, und erst als er den Ring von der Hand hatte, verließ er den Laden und sah nervös nach der Seite, von der der Diener kommen mußte. Der Juwelier ging mit dem Kunden hinaus, um, in der Tür stehend, ihn zu beruhigen, aber der Oberst wurde schließlich so unruhig, daß er dem Diener entgegenging. „Sollte meine Frau etwa inzwischen kommen, so soll sie mich unter allen Um¬ ständen hier erwarten“, sagte der Oberst im Abgehen. Aber weder die Frau Oberst erschien, noch der Oberst selbst, noch der Diener, und der Juwelier nahm sich vor, nach¬ mittags ins Viktoriahotel zu schicken, oder dort selbst den Oberst aufzusuchen. So ging er mittags nach Hause zu „ Tisch, nachdem er für alle Falle seinem Gehilfen den Ring überaeben, falls der Oberst während der Tischzeit käme schärfte aber dem Gehilfen wiederholt ein, daß er nicht ohne Bezahlung das Wertstück aus der Hand gäbe. Zu Hause fand der Juwelier seine Gattin in großer Aufregung. „Denke dir, wie es mir geht,“ rief sie dem Ehemann entgegen, „die Emma, unser Dienstmäd¬ chen, scheint ausgerückt zu sein. Ich schickte sie Vormittag einholen, und sie ist noch nicht zurück. Und die paar Sachen, die sie sich mitgebracht hat, scheint sie vordem bei Seite geschafft zu haben; die Kammer ist leer!“ „Na, meinte der Ehemann, „mit der war doch nicht viel los; die hat mir, als sie am Montag antrat, von vornherein nicht gefallen. Gut, daß ich sie auf die paar Tage gar nicht erst bei der Polizei angemeldet habe, ich wollt's gerade heute tun!“ Und wie dann der Juwelier ins Zim¬ mer näher trat, lag da auf seinem Tisch der Zettel, den er für den Oberst ge¬ schrieben.

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