Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1907

„Na, das wirst du doch wenigstens wissen, daß sie endlich nach vielem Ueberlegen übereingekommen sind, das große Turnier am nächsten Samstag auf dem großen Felde nach Pfifflig¬ heim zu abzuhalten, und daß seit gestern die Schreiner und die Zimmerer und „ die ubrigen Werkleute daran gegangen sind, die Schranken abzuteilen und die Gerüste zu bauen für die Frauen und die Zuschauer. Deren aber, sage ich dir, wird's eine Menge geben, wie Worms das noch nicht erlebt hat, drei Tage soll das Turnier dauern, und heute schon haben viele von den Kämpen, wie ich auch, ihre Zelte draußen aufzuschlagen befohlen, um die Pferde an den Boden zu gewöhnen. Es wird eine Freude wer¬ den, die uns hoffentlich nicht vergällt werden wird. Also höre: Gestern Abend spät reitet ein französischer Ritter hier ein, ein wahrer Riese von Gestalt und gefolgt von vier Knappen, die alle so bärbeißig ausschauen, wie er selber. Der also läßt heute Morgen draußen auf dem Turnierplatz auch sein Zelt bereiten, meldet den Herolden seine Absicht, sich am Kampf zu beteiligen, und heftet an einem Zelt, grad unter dem Wappen¬ child folgende Herausforderung an: Ich, Sieur de Barres, Herr von Mont¬ martin und Eltville, der ich in achtzig Turnieren alle Gegner besiegte und noch niemals im Kampfe mein Knie beugte, dessen Ruhm von dem Meere bis wieder zum Meere reicht, fordere im Namen Frankreichs alle, die sich deutsche Ritter nennen, zum Ernst und nicht zum Spiel heraus. Wer es aber wirklich wagen will, ich mit mir zu messen, der wisse, daß ich den Besiegten als meinen Gefangenen betrachte und mit ihm zu tun und lassen begehre, wie es mir beliebt, gleichwie er mir des gleichen tun kann, wenn ich unterliege. Und soerwarte ich euch von früh bis Sonnen¬ untergang, und will euch nacheinander den Staub küssen lassen und Frankreichs Ruhm und Ehre bewundern lehren!“ Bodo hatte sich weit vorgebeugt und fast atemlos gelauscht. „Aber, dasist ja unerhört, das ist ja schmachvoll!“ 51 „Na, beruhige dich, mein Junge, man wird dem Herrn wohl sein großes Maul zu stopfen wissen. Bis heute hefteten schon sechs Kämpen Herausforderungen an seinem Zelt an, und es sind keine schlechten Namen darunter!“ „St. Georg gebe ihnen seinen Segen. Es soll übrigens ein tüchtiger Kämpe sein, der Ritter de Barres, ich hörte eine Klinge rühmen, als ich mit König 71 Max in Flandern war „Wo du dir die ersten Sporen ver¬ dientest und den Ritterschlag holtest. Gelt, Bodo solch ein Zug könnte uns wieder einmal passen. Wolle Gott, daß der König uns bald einmal wieder hin¬ ausrufe ins Feld — unter dem Zelt beim vollen Becher vergessen sich die Sorgen und auch der Liebesgram am besten. Bodo erhob sich und legte die Hand auf des Alten Schulter. Vergessen? Ich kann's wohl nicht, Freund, und wollt' ich mit aller Gewalt mich betäuben, meiner Margret Bild bliebe mir doch im Herzen unauslöschlich eingeprägt.“ Im Hause des reichen Stadtkämme¬ rers Velten hatte währenddessen eine ernste Szene gespielt. Der ehrsame Großhändler, dessen Faktoreien gleiches Ansehen in Venedig, Brügge und Lissabon genossen, und dessen Bergwerke in Tirol mit denen des Fuggerschen Hauses an reicher Aus¬ beute wetteiferten, hatte seinen schlech¬ ten Tag heute. Er hatte gegen Abend Frau Anne und seine Tochter Margaret zu sich in sein Zimmer bescheiden lassen und empfing sie in nichts weniger als freundlicher Weise. „Sind mir ja schöne Sachen, die ihr anrichtet“, rief er ihnen entgegen und das durchmaß mit heftigen Schritten veite Gemach nach allen Seiten.„Also darum wies die Dirn da vor kaum einer Woche den ehrenhaften Antrag des Soh¬ nes meines Freundes Rehlingen zurück, weil sie sich in ein glattes Gesicht ver¬ gafft hatte, weil ihr ein alter Kauf¬ mannsname zu gering dünkte und sie gern eine Edelfrau werden wollte, weil — 4*

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