Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1907

22 „Sie sind ein braves Mädchen!“ sagte, trakt fertig zu machen, ehe ich zu dir nachdem Fritz seine Erzählung beendigt kam. hatte, warm der Doktor, indem er Dore „Aber du darfst nicht fort!“ rief er die Hand reichte, „ein ganz kreuzbraves, leidenschaftlich. und wenn ich Ihnen irgendwo dienen und „Ich will's auch nicht! sagte sie, und helfen kann, so zählen Sie auf mich! ein helles, glückliches Lächeln flog über Also auswandern werden Sie nun natür¬ ihr Gesicht. „Der Brief, den du mir ge¬ lich nicht — was, wenn ich fragen darf, schrieben, Fritz, macht alles, alles anders. gedenken Sie denn jetzt zunächst zu be¬ Wir beide gehören nun wieder zusammen ginnen?“ für jetzt und immer und ich kann mir „Ich werde mir einen Dienst suchen, nichts mehr denken, was uns zu scheiden Herr Doktor!“ entgegnete Dore, die imstande wäre.“ während Fritzens Erzählung und bei des Er faßte glückselig ihre beiden Hände, Arztes anerkennenden Worten glühend und zum zweitenmale ward der Bund ge¬ rot geworden war. schlossen, aber ohne daß Worte über ihre Lippen kamen. „So?“ meinte er freundlich. „Dann Etwas beklommen hob Fritz nach einer engagiere ich Sie sofort für mein Haus. Weile wieder an: „Aber das viele Geld, Meine Frau ist kränklich, das Mädchen, Dore, du hast es dir so mühsam verdient, welches augenblicklich bei uns im Dienst ist das nun alles weggeworfen?“ steht, wünscht dringend, entlassen zu wer¬ „Nein, sagte sie tröstend, „das wird es den, da ein alter Vater ihrer Pflege be¬ nicht sein! In Deppstedt waren noch drei darf. Ich kann, davon bin ich überzeugt, oder vier Leute, die gleichfalls auswan¬ meiner Frau keine treuere und zuver¬ dern wollten; einer von ihnen wird meine lässigere Stütze schaffen, als wenn ich Passage wohl übernehmen. Und sollte ich Sie zu unserer Hausgenossin mache. sie auch verlieren — Fritz, das wäre doch Fritz sah sehr glücklich aus über diesen das Schlimmste noch nicht! Ans Heiraten Vorschlag, und Dore erklärte ohne Be¬ können wir fürs erste so wie so noch sinnen, daß sie mit allem einverstanden nicht denken — wir sparen und warten eben, ei, sobald die Frau Doktorin ihre Zu¬ bis sich's für uns fügen und schicken will.“ stimmung gegeben habe. Die Tür ging unvermutet auf und der In der Familie des wackeren Arztes Doktor trat über die Schwelle. Er stutzte blieb Dore dann, bis Fritz nach been¬ einen Augenblick, da er das Paar er¬ digter Dienstzeit imstande war, sich ein blickte und meinte dann lächelnd: „Ich eigenes Heim zu gründen. Eine Anstel¬ störe wohl!“ ung bei der Eisenbahn, welche ihm durch Aber Fritz rief freudig: „Das ist meine des Doktors Vermittlung zuteil wurde, Braut, Herr Doktor, und nun will ich schaffte ihm diese Möglichkeit. Die alten Ihnen noch ein Stück von der Geschichte Eltern sind auf des Sohnes dringenden mit dem armen Tönjös erzählen, das Wunsch gleichfalls nach der Stadt über¬ einzige, was noch zurück war, weil ich gesiedelt, und das junge Paar läßt es mich bis dahin schämte, darüber zu eine vornehmste Sorge sein, jenen einen sprechen,“ und zum erstenmale kam es friedlichen, freundlichen Lebensabend zu nun über seine Lippen, auf welche Weise chaffen. Peter Nettelmeier hat sich im das Mädchen ihn verhindert habe, Rache Gefängnis erhängt an demselben Tage, an seinem Beleidiger zu nehmen; und da an welchem ihm nach öffentlicher Ge¬ er einmal im Zuge war, so fügte er nun richtsverhandlung sein Urteil, welches auf auch gleich die Geschichte ihrer Wieder¬ mehrjährige Zuchthausstrafe lautete, ver¬ versöhnung hinzu. kündigt worden war. E E E

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