Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1906

19 Die patagonischen Brüder. Von G. (Nachdruck verboten.) Sternau. Wir blieben im ganzen zwei und ein ir sind gar nicht verwandt. halbes Jahr bei der Gesellschaft, und Er heißt John Griffiths und gaben in jeder Stadt zwischen York und ich bin William Waldur, London unsere Vorstellungen. Natürlich wir nannten uns nur die pata¬ hatten wir dadurch Gelegenheit gehabt, gonischen Brüder, weil es in den Annon¬ uns inzwischen sehr zu vervollkommnen. cen besser klang und das Publikum an¬ Wir hatten unsere gegenseitige Schwere lockte. Vor ungefähr sechs Jahren lernten und Kraft nun bis aufs Haar erprobt wir uns zufällig beim Wettkampfe in Don¬ und wurden durch die Erfahrung kühner, caster kennen, gefielen uns gegenseitig und sodaß nirgends eine neue Produktion ge¬ machten gemeinschaftlich eine Kunstreise macht wurde, die wir nicht sofort erlern¬ durch die mittleren Grafschaften. Bis zu ten; selbst das „Schweben“ und die jener Zeit hatten wir nie von einander Kunst, mit herabhängendem Kopfe an gehört und wurden auch später nicht be¬ einem Marmorplafond entlang zu gehen sonders intime Freunde, obwohl wir uns machten wir uns eigen. Die Hauptsache sehr gut standen. Von unserer gegen¬ war, daß wir vorzüglichzueinander seitigen Vergangenheit wußten wir nicht paßten, und das ist ja bei unserer Kunst das Geringste, und ich habe ihn auch nie¬ das Wichtigste. Wir waren, bis auf ein mals über die seine befragt. Mir liegt sechszehntel Zoll, ganz gleich groß und daran, alle diese Punkte gleich beim Ein¬ unsere Figuren waren sich sehr ähnlich. gange meiner Erzählung festzustellen Was Griffiths vielleicht an Muskelkraft denn meine Geschichte ist so einfach, wie mehr besaß, ersetzte ich durch Behendig¬ ich selbst, und ich möchte nicht, daß sich keit und auch diese Verschiedenheit war das geringste Mißverständniß darin ein¬ uns günstig. Meiner Ansicht nach paßten schliche. wir auch in anderer Beziehung sehr gut Wir erwarben auf unserer Kunstreise zueinander, und ich erinnere mich sehr eine kleine Summe Geldes. Es war nicht wohl, daß wir in den dreieinhalb Jahren, eben viel, aber doch mehr, als einer von die wir von unserem ersten Zusammen¬ uns bisher zu erwerben vermocht hatte; treffen in Doncaster bis wir uns wieder infolgedessen beschlossen wir denn auch, von der Zirkusgesellschaft trennten, mit¬ zusammen zu bleiben und unser Heil in einander zubrachten, nie ein böses Wort London zu versuchen. Wir fanden für gewechselt hatten. Griffiths war ein ver¬ den Winter ein Engagement bei Ostley ständiger, sparsamer Mensch mit kleinen, und schlossen uns für die Sommer¬ grauen Augen und buschigen, dunklen monate einem herumziehenden Zirkus an Brauen. Ich entsinne mich, daß ich wohl führten also wiederum ein Wanderleben. zuweilen bei mir dachte, daß er entschie¬ den zu den Leuten gehörte, die ich nicht Der Zirkus war etwas Herrliches zu Feinden haben möchte; dieser Gedanke eigentlich eine kleine Republik, in der war aber durchaus auf keine Weise durch volle Freiheit und Gleichheit herrschte. sein Benehmen veranlaßt. Was mich an¬ Wir hatten einen Direktor, dem wir ein langt, so kann ich mit jedem fertig wer¬ bestimmtes Gehalt gaben, und teilten die den, der mir auch guten Willen entgegen¬ übrigen Einnahmen zu gleichen Teilen. bringt, denn mir gehen Ruhe und Frieden Zeitweise konnten wir allerdings schwer über alles in der Welt. unsere Ausgaben decken; in einzelnen Or¬ Wir waren inzwischen so gewandt ge¬ ten nahmen wir kaum täglich zehn bis fünfzehn Pfund ein, aber das glich worden, daß wir uns zu verbessern und ich immer wieder aus, und wir machten nach London zurückzukehren beschlossen, im allgemeinen leidliche Geschäfte. welchen Entschluß wir denn auch Ende 2*

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