Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1906

20 Februar oder Anfangs März des Jahres 1855 ausführten. Wir mieteten uns in einem kleinen Gasthause in einer der Vor¬ tädte ein und waren schon vor Ablauf einiger Tage von Herrn James Rice mit einem wöchentlichen Gehalt von 7 Pfund für die „Belvedere Tavern“ engagiert. — Das war nun allerdings gegen alle unsere früheren Einnahmen eine große Ver¬ besserung und die Tavern war der ge¬ eignetste Ort, um uns einen künstlerischen Ruf zu erwerben. Das Etablissement, das zwischen West¬ end und der City, in einem dichtbevölker¬ ten Stadtteil und an verschiedenen Omnibuslinien lag, war eins der erfolg¬ reichsten seiner Art. Es befand sich ein Theater, ein Konzertsaal und ein Garten, in dem getanzt, geraucht, nach der Scheibe geschossen und allabendlich im Sommer von 8 bis 12 soupiert wurde, darin, und deshalb bot es gerade für die arbeitenden Klassen einen sehr großen Anziehungs¬ punkt. Hier waren wir, Griffiths und ich, nun also mit der Aussicht auf eine Er¬ höhung unserer Gage, wenn wir eine ge¬ wisse Zugkraft bewiesen, engagiert, und diese Erhöhung fand bald statt, denn wir zogen ungemein. Wir produzierten das Schweben und die Wanderungen an der Decke, ließen uns mitten im Feuer¬ werk von einer Plattform, die über das Dach des Theaters hinausragte, herab, kurz, wir taten alles, was in unserer Kunst überhaupt geleistet werden konnte, und ich muß, wenn es vielleicht auch eigen¬ tümlich aus meinem Munde klingt, doch hinzufügen, daß unsere Leistungen gut wvaren. Jedenfalls waren die großen, bun¬ ten Ankündigungen durch die ganze Stadt verbeitet, unsere Gage wurde auf wöchentlich fünfzehn Pfund erhöht, und der Berichterstatter, der im „Sunday Snub“ über derartige Leistungen schreibt, sagte, daß in ganz London nichts auf diesem Gebiete den wunderbaren Pro¬ duktionen der patagonischen Brüder gleichkäme, wofür ich ihm hiedurch meinen besonderen Dank ausspreche. Wir wohnten, natürlich gemeinschaft¬ lich, in einer abgelegenen Straße an einem Hügel bei Islington. Das Haus gehörte einer Mrs. Morrison, einer leißigen, achtbaren Frau, deren Mann Gasanzünder in einem Theater gewesen war, und die nun als Witwe mit einer einzigen, neunzehnjährigen Tochter lebt. Das junge Mädchen war sehr hübsch und gut. Sie hieß eigentlich Alice, wurde aber von ihrer Mutter Ally genannt, und wir gewöhnten uns auch bald daran, sie bei diesem Namen zu nennen, denn sie waren sehr einfache, freundliche Leute, und wir waren bald in so gutem Ein¬ vernehmen mit ihnen, als ob wir schon jahrelang zusammen gelebt hätten. Wie der Leser wohl bereits aus dem Vorstehenden ersehen hat, bin ich kein onderlicher Erzähler — ich habe auch — will bisher nie zu schreiben versucht also nur lieber gleich ohne Umschweife gestehen, daß ich das Mädchen liebte. Nach Ablauf weniger Wochen glaubte ich mich auch zu der Annahme, daß ich ihr ebenfalls nicht ganz gleichgiltig sei, be¬ rechtigt, denn die Liebe schärft die Sinne des Mannes ungemein, und jedes Er¬ röten, jeder Blick, jedes Wort erregt Mut und Hoffnung in ihm. Als Griffiths eines Tages aus war, begab ich mich zu ihr in das Wohnzimmer, wo sie mit ihrem Nähzeug am Fenster laß, hinab und setzte mich neben sie. liebe Ally!“ sagte ich, „ich „Meine etwas zu sagen.“ habe Ihnen Sie errötete, erblaßte und errötete die Pulse in ihrer kleinen wiederum, schlugen so heftig, wie das weißen Hand Herz eines erschreckten Vogels; sie er¬ widerte kein Wort. „Meine liebe Ally, begann ich wiederum, „ich bin nur ein schlichter Mann, bin 32 Jahre alt, kann nicht so gleißende Worte, wie viele Menschen machen, und weiß wenig von Bücher¬ gelehrsamkeit. Aber ich liebe Sie, Teuerste! und wenn ich auch nicht be¬ haupten will, daß Sie das erste Mädchen ind, das mir gefällt, so kann ich Ihnen doch beteuern, daß Sie die erste sind, die

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