Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1905

74 angehörte. — Am 1. Mai starb in Prag der bekannte tschechische Komponist Anton Dwokak, Herrenhausmitglied und Professor am Prager Konservatorium. Er war am 8. September 1841 zu Mühlhausen in Böhmen als Sohn eines Gastwirtes geboren. Mit Dwokak schied der Letzten einer aus der glanzvollen Epoche der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Voll¬ blutslave nach Geburt und Gesinnung, wurde Dwokak vom urdeutschen Brahms entdeckt, durch dessen Verwendung er ein mehrjähriges Staats¬ stipendium erhielt, das ihm gestattete, sich mehr als früher seiner Kunst zu widmen. Sein eigent¬ liches Kompositionsfeld war die absolute Musik; der geborene Symphoniker, hatte er auf musik¬ dramatischem Gebiete kein Glück; so fiel seine komische Oper „Der Bauer ein Schelm“ in Wien durch. In seinen Kammermusikwerken und sym¬ phonischen Schöpfungen aus der ersten Periode seines Schaffens manifestierte sich ein origineller Erfinder von reichstem technischen Können. Dwokak war aber auch ein Kolorist, ein Or¬ chestrator, wie es wenige vor ihm gegeben und nach ihm geben wird. Die Hauptstärke seines musikalischen Schaffens bildete jedoch die gro߬ artige Fähigkeit, nationale Eigenart, die slavische Volksmusik mit den Prinzipien einer geregelten Kunst in harmonischen Einklang zu bringen. Im Verein mit dem noch bedeutenderen Sme¬ tana bildete Dwokak die höchste Blüte, die tschechisches Volkswesen auf musikalischem Ge¬ biete bisher hervorgebracht. —Am 17. Juni starb das Herrenhausmitglied Josef Freiherr von Bezecny in der Svetlin'schen Heil¬ anstalt in Wien. Am 5. Februar 1829 in Tabor geboren, war Bezecny seit 18. Oktober 1878 Gouverneur der „Allgemeinen österreichischen Bodenkreditanstalt“, in welcher Eigenschaft er 140.000 Kronen jährlich bezog; vom 28. Ok¬ tober 1885 bis 14. Februar 1898 leitete er auch — die Generalintendanz der Wiener Hoftheater. Am 22. Juni schied, mehr als achtzigjährig, Dr. Karl Ritter von Stremayr, der Parla¬ mentarier, Staatsmann und oberste Richter, in Potschach aus dem Leben. Ein arbeitserfülltes Dasein war abgeschlossen, eine Achtung und Sym¬ pathie erweckende Gestalt von der österreichischen Bildfläche verschwunden. R. v. Stremayr, der Inhaber des Unterrichtsportefeuilles im zweiten Bürgerministerium, der Mitarbeiter Giskras bei der dem großen Reformwerke der Verwaltung, nachmalige Präsident des Obersten Gerichtshofes, ging aus jenem Kreise von Männern hervor, die einst in der Paulskirche zu Frankfurt für ein deutsches Gesamtvaterland unter Oesterreichs Führung stritten und wirkten. Aus den Idealisten jener großen Zeit sind später vielfach Praktiker geworden, Männer der politischen und der gesetz¬ geberischen Opportunität, Interpreten des Ma߬ haltens, ja der Zaghaftigkeit. Was R. v. Stre¬ mayr anlangt, so hat auch er den Weg vom Impetuösen zum kühler Reflektierenden zurück¬ gelegt, ohne aber je die Grundsätze der Vergan¬ genheit, sein deutschösterreichisches und sein fort¬ schrittliches Bekenntnis zu verleugnen. Stremayr wurde am 30. Oktober 1823 in Graz geboren. Im Kabinett Hasner, in dessen Zeit die Auf¬ hebung des Konkordats fällt, im Kabinett Potocki, im Kabinett Auersperg und im Ka¬ binett Taaffe leitete Stremayr das Unterrichts¬ ministerium, im letztgenannten Kabinett, dem er jedoch nur so lange angehörte, als es noch keine ausgesprochene Agression gegen die Deut¬ chen gab, auch das Justizministerium. Während der Rekonstruktion des Kabinetts Auersperg übernahm er für kurze Zeit den Vorsitz im Mi¬ — Am 24. Juni starb zu Budapest nisterrat. der ehemalige Obersthofmeister der Kaiserin Elisabeth, Franz Baron Nopesa. Er wurde am 14. März 1815 in Farkadyi in Sieben¬ bürgen geboren. * 25 * Bereits in unserem vorjährigen Berichte hatten wir betont, daß in den desolaten parlamentari¬ schen Verhältnissen in Ungarn auch nach der Kapitulation der Heeresverwaltung vor der Ob¬ struktion und der Zurückziehung der angefoch¬ tenen Wehrvorlage eine Wendung zum Besseren nicht eingetreten war. Das kaum gebildete Mini¬ sterium Khuen=Hedervary war nicht imstande, die Obstruktion zu brechen (nebenbei bemerkt nahm Franz Kossuth, wie bereits im Vorjahr vorausgesehen, das ihm neuerdings angebotene Präsidium der Unabhängigkeitspartei, das er am Schlusse der letzten Berichtsperiode niedergelegt hatte, rasch wieder an) und seine Lage gestaltete sich noch schwieriger, als ein Bestechungsversuch bekannt wurde, dessen sich hinter dem Rücken Khuens der Gouverneur von Fiume, Graf Ladislaus Szapary, gegenüber dem Abgeordneten Zoltan Pap schuldig gemacht hatte, um die Obstruktion von ihrem herostra¬

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2