Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1904

36 nun erklang ihre Stimme so schüchtern und weich, wie er sie seit den ersten Wochen ihrer Ehe nicht wieder vernommen hatte. „Verzeihe,“ sagte sie leise, „daß ich Dich noch einmal störe. Ich wollte Dir Adieu —“ Sie stockte, sagen und Dir zugleich eine fast mädchenhafte Verlegenheit malte sich in ihrem Gesicht, das sie verschüchtert zu Boden kehrte. Mit zitternden Fingern zog sie nun ein zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Tasche, das sie auf den Seitentisch legte, auf dem ein Stoß Zeich¬ nungen und Entwürfe lag. „Du wirst Dir nun gewiß“ begann sie von neuem, „eine Aufwärterin nehmen und da habe ich Dir eine Liste von all Deinen Sachen, Deinen Kleidern, Deiner Leib= und Haushaltungswäsche ange¬ fertigt, damit Du die fremde Person kon¬ trollieren kannst. Er blickte überrascht zu ihr hin. ich danke,“ stammelte er, er¬ „Ich — staunt über ihre Fürsorge. Sie stand ihm mit gesenktem Haupte gegenüber und machte noch keine Miene, zu gehen. Offenbar hatte sie noch etwas auf dem Herzen. Endlich erklang ihre Stimme abermals, diesmal noch leiser und schüchterner als vorher. wenn Du gestattest, möchte „Wenn — ich Dir noch einen Rat geben in Bezug auf Deinen — Deinen künftigen Haus¬ halt. Du hast mir so oft erzählt, daß Du die Gasthauskost nicht magst und daß sie Dir nicht recht bekommt, da ist es viel¬ leicht besser, Du nimmst eine erfahrene, alte Haushälterin zu Dir, die Dir nicht nur alles in Ordnung hält, sondern die auch für Dich kocht. Er tat ihr unwillkürlich einen Schritt entgegen, gerührt von ihrer Sorge um ihn. Aber er hielt doch gleich wieder ein, und eine bittere Empfindung stieg in ihm auf. Wenn sie während ihres Ehelebens in den letzten Monaten nur halb soviel Rücksicht auf sein Wohlergehen genommen hätte wie jetzt in dem letzten Augenblick, so wäre alles anders gekommen, und die Trennungsstunde hätte für sie überhaupt nicht zu schlagen brauchen. begnügte er sich mit „Ich danke,“ zuckenden Lippen zu erwidern. Er hörte, daß sie einen tiefen Atem¬ zug tat. „So will ich denn gehen,“ sagte sie. „Le — lebe wohl! Sie zauderte noch einen Moment und streckte ihm dann mit einer raschen Ge¬ berde ihre Hand entgegen. Er trat schnell an sie heran, nahm ihre Hand in die seine, und mit einer impulsiven Geberde beugte er sich herab und küßte ihre schmalen zierlichen Finger. Er fühlte, wie sie zusammenzuckte, und dann löste sich ihre Hand mit einer ruckweisen Bewegung von der seinen. Und nun wandte sie sich; aber schon nach dem ersten Schritt kehrte sie sich noch einmal zu ihm herum. Ihre Mienen vibrierten lebhaft, ihre Hände schlossen und öffneten sich, ihre Atemzüge es schien etwas 1 folgten einander rasch in ihr zu ringen, das sich nur schwer an die Oberfläche wagte. Endlich hatte sie und wenn auch ihre sich überwunden, hie und da stammelnd Stimme bebte und es doch in schnellen klang, sie sagte Flusse: „Ich hätte noch eine Bitte an Dich weil wir gefunden Wir trennen uns, haben, daß unsere Charaktere nicht zu einander zu passen scheinen. Aber wenn wir nun auch von einander gehen, so 1 brauchen wir darum doch nicht fur einan¬ der gestorben zu sein. Man kann doch das Interesse nicht plötzlich ganz und gar in sich ersticken. Es würde mich inter¬ essieren, ab und zu von Dir zu hören, und wenn ich auch in unserer Lage natürlich nicht beanspruchen kann, daß Du mir direkt schreibst, so wirst Du doch vielleich hin und wieder meinem Vetter Walter, mit dem Du ja bekannt bist, von Dir Nachricht geben.“ Er war so überrascht, daß er nicht gleich eine Erwiderung fand. Er fühlte daß es heiß in ihm aufstieg, und seinen Herzschlag verspürte er bis zum Halse hinauf. Ein seltsames Gemisch von Schmerz und Rührung, von Bitterkeit und Unwillen regte sich in seiner Seele und beengte ihm den Atem.

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