Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1901

68 Reichsrath zur neuen Thätigkeit auf den 18. Oc¬ tober 1899 einberufen. In Durchführung der ihm übertragenen Hauptaufgabe hat das Mini¬ terium Clary mit Verordnung der betheiligten Ministerien vom 14. October 1899 die Ministerial¬ verordnungen vom 24. Februar 1898, L.=G.=Bl. Nr. 16 und 19, betreffend den Gebrauch der Landessprachen bei den Behörden im König¬ reiche Böhmen und in der Markgrafschaft Mähren, außer Kraft gesetzt und verfügt, daß in An¬ ehung des Gebrauches der Landessprachen jene Bestimmungen und Grundsätze provisorisch in Anwendung zu kommen haben, welche hiefür bis zum Zeitpunkte des Beginnes der Wirksamkeit der mit 15. März 1898 außer Kraft getretenen Ministerialverordnungen vom 5.Aprili 897, L.=G.= Bl. Nr. 12, resp. 22. April 1897, L.=G.=Bl. Nr. 29 maßgebend gewesen sind. Damit war der Zustand wieder hergestellt, welcher bis zur Erlassung der Badeni'schen Sprachenverordnungen geherrscht Die Tschechen beantworteten die Auf¬ hatte. hebung des den Deutschen durch Badeni zu¬ gefügten Unrechtes mit einer Serie von tumul¬ tuösen Demonstrationen, welche dem tschechischen Pöbel an manchem Orte, so in Holleschau und Wsetin (Mähren), willkommene Gelegenheit boten, bei den deutschen und jüdischen Mitbürgern nach Herzenslust zu rauben und zu plündern. Nur dem energischen Einschreiten der bewaffneten Macht gelang es, diesem Unfug ein Ende zu machen und wenn es hiebei leider auch zum Blutvergießen kam, wenn es Todte und Ver¬ wundete gab, so fällt die Verantwortung nicht auf die Regierung, welche die Pflicht hat, Leben und Eigenthum der Staatsbürger vor Gewalt zu schützen, sondern auf jene gewissenlosen Agi¬ tatoren zurück, welche durch ihre planmäßige Verhetzung den Pöbel zu jenen Schandthaten verleitet haben, sich aber dann, als es zum Handkusse kam, vorsichtig in eine sichere Ecke drückten. Aber auch im Parlamente selbst führte nach dessen Wiedereröffnung am 18. October 1899 die Aufhebung der Sprachenverordnungen zu einer neuen Stellung der Parteien. Die bunt¬ scheckige Majorität, welche den Ministerien Badeni und Thun willig durch Dick und Dünn, ja selbst bis zur Entweihung des Parlamentes durch das Eindringen der Polizei folgte, trat nun in eine theils offene, theils verkappte Oppo¬ sition zum Ministerium Clary, indem die Jung¬ tschechen zu der von ihnen den Deutschen so sehr verübelten Obstruction griffen und sich bei einer am 10. November 1899 durch sie veranstalteten Scandalscene knapp bis zu thätlichen Insulten gegenüber dem Minister des Innern Dr. v. Koerber verstiegen, während die anderen Parteien der Ma¬ jorität den Jungtschechen passive Assistenz leisteten und dem Ministerium, wo es nur immerhin anging, kleinliche Schwierigkeiten bereiteten und so ihre Macht fühlen ließen. Dies zeigte sich sofort bei der Wahl des neuen Präsidiums des Abgeord¬ netenhauses. Obwohl die Parteien der Linken, um ihr Entgegenkommen zu erweisen, der Wieder¬ wahl des Dr. v. Fuchs zum Präsidenten ohne weiters zustimmten, so fanden sich die Parteien der Rechten, gegenüber dem berechtigten Begehren der Linken, ihr eine Vicepräsidentenstelle einzuräumen, nicht zu einem gleichen Entgegenkommen veranlaßt, weil sie eben wußten, daß die Regierung Werth darauf lege, daß die deutsche Opposition den entsprechenden Sitz und die gebührende Vertre¬ tung im Präsidium erhalte und man diesen Wunsch einem Ministerium, das nicht unbedingt so tanzen mochte, wie die Herren von der Rechten pfeifen, nicht erfüllen wollte. Die Rancune der Majo¬ rität mußte auch Ministerpräsident Clary an sich elbst empfinden, als er in der Eröffnungs¬ itzung das Programm der Regierung entwickelte, indem die Parteien der Rechten seine Rede durch Lärmscenen und höhnische Zurufe unter¬ brachen. Nichts weiter als eine Demonstration gegen die Regierung war es auch, daß die Controlcommission für die Staatsschulden, ihre eigentliche Competenz überschreitend, die auf Grund und im Sinne der Thun'schen Ausgleichs¬ verordnungen (kaiserl. Verordnung vom 21. Sep¬ tember 1899) von der Regierung verlangte Herausgabe des zu Valuta=Regulirungszwecken erforderlichen Goldbetrages aus ihrer Sperre verweigerte. Die gegen die Regierung gerichtete Spitze liegt klar zu Tage, besonders wenn man damit die Thatsache zusammenhält, daß tsche¬ chische Kreise diesen Beschluß als das Zügen¬ glöcklein des Grafen Clary bezeichneten — daß ich diesmal die Herren Tschechen als falsche Propheten erwiesen, ändert an der Sache nichts. Charakteristisch für die katholische Volkspartei war es, daß, als die Staatsschulden=Commission über Verlangen des Finanzministeriums ihren obigen Beschluß reassumirte, Dr. v. Fuchs als Präsident dieser Commission im Dirimirungs¬ wege die Bestätigung des Verweigerungsbe¬ chlusses herbeiführte, somit ein deutscher Führer der größtentheils deutschen katholischen Volks¬ partei sich zur Durchführung einer Demonstra¬ tion gegen das neutrale Beamtenministerium hergab, welche man nur aus dem Grunde sla¬ vischerseits inscenirte, weil dieses Ministerium ein den Deutschen zugefügtes Unrecht wieder gutgemacht. Einen gegen die Regierung gerich¬ teten Beigeschmack hatte es wohl auch, daß die österreichische Quotendeputation auf Grund einer minimalen Differenz bezüglich der Bemessung der beiderseitigen Quoten es vermied, zu einer Ver¬ tändigung mit der ungarischen Quotendeputation zu gelangen. Die österreichische Quotendeputation orderte 34.375 Procent als Beitragsleistung Ungarns, während die Ungarn nur 34·25 Procent oncediren wollten. Wegen dieser nur ein Achtel Procent betragenden Differenz konnte man zu einer Einigung nicht gelangen, weil eben die Rechte dem Ministerium Clary die Genugthuung nicht gewähren wollte, daß die unter den Mini¬ terien Badeni und Thun stets vergeblich ver¬

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