Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1901

38 Und wenn's mir auch den Kopf kostet, ich kann's nun nicht mehr ändern.“ Dann nahm er die Leiche wieder an sich, wickelte sie sorglich in seinen weiten Lodenmantel und polterte aus dem Hause. Gegen 8 Uhr trat er in den Hausflur seines Nachbarn. „Aber lang bist Du weggeblieben, Brunnhuber!“ sagte der Lenz, ihm ent¬ gegentretend. „Schläft der Jakob wohl chon? „Ja, er schläft schon!“ sagte er, hüllte aus seinem Mantel und legte ihn auf ihn Tisch. den Die Bäuerin trat eben mit dem Licht in der Hand in die Stube. Der volle Schimmer fiel auf die regungslose Ge¬ talt des Knaben. — Die steifen Beinchen treiften ihren Körper, als sie sich über ihn beugte. „Meiner Seel, der ist ja todt!“ Mit diesem schrillen Aufschrei sank bewußtlos zu Boden. sie Die beiden Nachbarsfreunde sahen eine Weile erstaunt und starr in die sich Aus en. Als die plötzliche Lähmung von Lenz gewichen, wollte er sich wie ein wildes Thier auf sein Gegenüber stürzen. Da uhr er mit dem Aermel an der Flinte vorüber, die an der Mauer hing. „Ja, das ist besser! Die trifft sicherer, er und riß sie herab. rief Schießt nur! Schießt! Hier stehe ich! Aug' um Aug'! Zahn um Zahn!“ Aber er Der Schuß ging los. — streifte den Bauern nur leicht am Arm. „Mach', daß Du aus dem Hause kommst, oder ich erwürge Dich noch! schrie Lenz wie besessen dem Davoneilenden nach und warf ihm das Gewehr mit olcher Wucht nach, daß der Kolben zer¬ splitterte. So, Jakob, jetzt komm!“ rief der Wüthende, ohne recht zu wissen, was er sagte, „jetzt bist Du fertig mit der Welt und mit Dem da drüben, und ich bin es auch!“ Da regte sich sein Weib am Boden, er hob es auf und trug es in die Kammer. Eine Stunde später lag sie selbst und starr neben ihrem Kinde. teif Zwei Leben dahin an einem Tag! Der Bauer wußte nicht mehr ob er träumte oder wachte. Ein kläglicher Ton nur von der Wiege her brachte ihn wieder zum Bewußtsein. Das klang so erbärmlich armselig, als jammerte das einzige Wesen darüber, in diese traurige Welt versetzt worden zu ein Am anderen Morgen nach jenem denkwürdigen Unglückstage holten Ge¬ richtsdiener den Brunnhuberbauern ab. Als der Eine von ihnen den Versuch machte, ihm die Hände zu fesseln, stieß er ihn hinweg mit den Worten: „Meint Ihr, ich bin wie so ein feiger Bandit, der Reißaus nimmt, wenn Ihr — Was ich ver¬ hm den Rücken kehrt? ehlt, will ich auch büßen! Heul' nicht o, Weib! Strafe muß sein auf Erden, und wer sie hier schon abgebüßt, hat drüben nicht mehr schwer daran zu ragen.“ Dann ging er fort, gesenkten Hauptes. An einem Hügelrande, der den ein¬ zigen Ausblick auf seinen Hof gestattete, blieb er noch einmal stehen. — Hier sah er sein Weib zum letzten Mal! Thränen üllten seinen Blick. Auf der Bank vor dem Hause saß sie, das Antlitz in ihrer Schürze ver¬ graben, und weinte. Als er nach halbjähriger Gefangen¬ chaft zurückkehrte, lag sie todt unter der Der Gram hatte ihre letzte Erde. Kraft gebrochen. Böse Leute behaupteten, der Lenz von Haidach habe sie, ihr Kind, ihren Mann und Alles, was sie ihr Eigen nannten, verflucht. Es war auch zu auffällig, Eines Tages lag sie leblos im Bette, und kein Mensch wußte, woran sie ge¬ Der Arzt hatte nie ihr Haus torben. betreten, und von den wenigen Leuten,

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