Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1901

die sie besuchten und sich ihrer erbarmten, wußte Niemand, daß sie sich über einen körperlichen Schmerz beklagt hätte. Ihr sechsjähriges Söhnchen, das ohnehin krank und schwach war, hatte man in eine Erziehungsanstalt gesteckt und als auch der Bauer wieder zurück¬ kam in seine verödete Heimstätte, kümmerte er sich nicht mehr um den Kleinen und ließ ihn, wo er war. Was hätte er auch mit ihm beginnen sollen, so allein und in dieser zerrütteten Gemüthsstimmung! Er war sich selbst * S S 8 1 Srere S # 8 8 W □ zum Ekel geworden, alle Schaffensfreude war dahin. Ganze Strecken seines herr¬ lichen Besitzthumes ließ er brach liegen. Er stellte Niemand ein, er arbeitete nichts! Das Vieh in dem Stalle ging zugrunde. Unkraut und Staub und Verkommen¬ heit an allen Ecken und Enden! Den blinkenden Pflug in der Scheune fraß der Rost und die saftgrünen Felder und Auen wandelten sich allmälig in öde Strecken. Vom Sonnenaufgang bis zum Niedergang saß er kraftlos und gebeugt auf der Bank vor dem Hause, auf jener Stelle, wo er sein Weib zum letzten Male gesehen. — Er starrte wie geistesabwesend 1 M 220 5 39 in die blaue Ferne. Sein Haar wurde mit der Zeit licht und grau und tiefe Falten gruben sich in sein Antlitz. Niemand kam zu ihm; Niemand verlangte nach ihm Er war vergessen und verschollen für die ganze Welt. Da geschah es eines Tages, daß ein kleines Mädchen auf ihn zukam, in den Händen einen prächtigen Blumenstrauß. Kornblumen, Mohn, Esparsetten und Haidekraut wiegten sich im lauen Sommer¬ wind, an den Stengeln von leichtgebräun¬ ter Hand des Mädchens zusammengehalten. IX + 4∆ E 5 2 S2 1 „Da, lieber Mann!“ sagte sie, auf zutretend, „da schenk' ich Dir die hn —Siehst Du, dort sind sie Blumen! gewachsen, und noch viele, viele blühen dort, willst Du sie alle haben? Der Bauer sah auf die blühende Pracht, die vor ihm wogte. — Was ihm onst Aerger und Entsetzen verursachte, sein Antlitz in seltsamer Bewunderung ließ und Freude aufleuchten. Auf seinen Knien lag der Strauß; indes das Mädchen schon wieder fort¬ geeilt war, um neue Blumen zu holen. So lief es emsig hin und her und als das Abendroth durch die Wipfel fiel

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