Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

26 und dann sollen Sie Ihr Wohl nicht zu bereuen haben. — Sie sind ein kluges, herrliches Mädchen, und ich will Sie mit mächtigem Arm emporziehen!" Lina unterbrach seine Rede, auf ihrer Stirn zeigten sich Falten des Unmuths, und durch ihre Rede klang es wie poin- tirte Erbitterung. „Sie irren, Herr Gottfried! ich bedarf Ihrer Großmuth nicht, Sie müssen mich nicht zu sich,emporziehew, ich will es versuchen, allein die Höhe zu erklimmen, ich werde Schauspielerin. Sie wissen, wenn ich einen Plan gefaßt habe, dann führe ich ihn aus. Viele nennen das Starrsinn, einige Charakter; ich will doch sehen, ob es mir nicht gelingen will, Ihnen zu beweisen, daß ich zu denen gehöre, die kein Mann erheben muß!" „Um Gotteswillen, Fräulein Lina, Sie fassen meine Worte falsch auf, aber ich hoffe, Sie scherzen nur — was fällt Ihnen ein, Sie und Schauspielerin!" „Gewiß, ich werde es auch durchzu- setzen wissen, und warum sollte mir nicht das gelingen, was so vielen An- deren gelingt?" „Weil jedes Mädchen, das zum Theater geht, eine Verlorene ist!" „O, Sie sprechen ungerecht oder böswillig — ich- gehe zur Bühne — wagen Sie es mir zu sagen, daß ich eine Verlorene bin?!" „Aber! — — Fräulein Lina, ich beschwöre Sie bei Allem, was Ihnen theuer ist, geben Sie den Plan auf, der Sie in namenloses Elend stürzen wird. Sie sind schön, sehr schön, die Bühne ist ein leichtes Feld, Sie sind jung, die Genüsse des Lebens werden sich Ihnen aufdrängen. Lasfen Sie ab von Ihrem Vorhaben, ich flehe Sie auf den Knien an, Sie sind ein armes Mädchen, Sie werden nicht widerstehen können, und gleich den Unzähligen würden Sie untergehen mit dem ersten Schritte, den Sie auf die Bretter machen!" Er war vor ihr niedergekniet und hatte sie bei der Hand gefaßt. Sie blickte mit ihren herrlichen dunklen Augen lange auf den jungen hübschen Mann vor ihren Füßen, der noch nie in solcher Sprache mit ihr geredet, dann aber sagte sie mit ernster Stimme: „Und ich werde Ihnen beweisen, Gottfried, daß Sie einem furchtbaren Irrthume verfallen sind, ich werde es Ihnen zeigen, daß auch ein schönes, armes, aber braves Mädchen ihren Pfad verfolgen kann, und ähnlich den Zielen, die Sie verfolgen, und die ich nicht kenne, habe ich auch das mei- nige vor Augen. Schon sehe ich es leuchtend mir vorschweben, aber es soll bald greifbare Gestalt annehmen. Sie haben furchtbare Worte, furchtbare Anschuldigungen fallen lassen, aber Sie sollen sehen, daß Sie getäuscht waren! Bemühen Sie sich nicht weiter, mir abzurathen, bleiben Sie mein Freund wie vorher, aber lassen Sie mich in meiner Kunst ein neues Leben beginnen!" Gottfried sprang auf. „Lina, ist das Ihr letztes Wort? Sie wollen nicht auf mich hören?" „Es war mein letztes Wort!" „Gut!" Gottfried war aufgestanden, man kam in das kleine Nebenzimmer, in dem sich die Szene abgespielt hatte. Linawarvermißtworden. „Gut",flüsterte er, „ich lasse Ihnen die Entscheidung: entweder Sie geben diesen Vorsatz, den nur die Eitelkeit Ihnen eingeflößt haben kann, auf, oder" — „Oder?" 27 meiner Gattin machen. Ich bin arm, aber auch ich habe meine Ehre!" In diesem Augenblick vergaß Lina Waldherr die Anwesenheit anderer Personen, sie war nunmehr ganz das sich beleidigt sühlende Weib. Sie richtete sich hoch auf und sprach funkelnden Auges zu Gottfried: „Herr Bergmann, Sie vergessen, zu wem Sie sprechen. Sie wagen mir gegenüber eine Sprache, die Ihnen nicht zukommt; ich selbst urtheile über das, was zu geschehen hat, und räume Ihnen am wenigsten ein Urtheil ein. Ich wollte Sie nicht beleidigen, aber nunmehr brauche ich keine Rücksicht zu üben,' ich hätte Ihre Hand auch dann nicht angenommen, wenn Sie keine Bedingung an diese Ehre geknüpft hätten; der Mann, der mir imponiren soll, muß vor Allem ein Mensch sein, der es verstanden hat, sich zur Höhe emporzu- arbeiten, gleichwie auch ich, unbekümmert um Neider, meine Bahn betreten will. Und nun denke ich, sind wir miteinander fertig; für Leute Ihrer kleinlichen Deukungsart habe ich nur ein mitleidiges Lächeln." Und damit war sie fortgeeilt und hatte mit ihren Eltern noch vor Schluß des Festes das Heim ausgesucht. Zu Hause fiel es ihr erst ein, wie sehr sie den Armen gekränkt hatte, wie sie zu herb zu ihm gesprochen hatte, der doch nur aus Liebe so zu ihr sprach. Aber es war geschehen, und daran ließ sich nichts ändern. Gottfried Bergmann suchte sie nicht mehr auf. Jener St. Nikolaustag hatte ihm die herbste Enttäuschung gebracht, er war wie niedergeschmettert und nur allmälig gewann er seinen Lebensmuth wieder. In wenigen Tagen war Lina Waldherr bereits in die Hauptstadt gezogen; sie wohnte bei einer mütterlichen Verwandten und studirte fleißig. Zu Weihnachten erhielt sie von Gottfried eine Anzahl von Gedichten, in denen der unglücklich Liebende von seiner Leidenschaft sprach. Die Gedichte gefielen ihr sehr gut, und da sie Gottfried längst „Oder ich werde trachten, Sie zu vergessen, nie und nimmer werde ich ein Weib, das vielleicht schon in drei oder vier Monaten gebrochen zurückkehrt, zu

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