Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

28 29 verziehen hatte und gar oft wehmüthig an ihn dachte, wie er ihr gewiß grolle, so übte sie des Weibes schönste und seltenste Tugend, die Nachgiebigkeit, und schrieb ihm einen herzlichen Brief. Gottfried war glückselig, er hoffte auf die Wiederkehr des entschwundenen Glückes und unterhielt eine rege Correspondenz mit Lina, aber da er ihr immer und immer von der Bühne abrieth und ihr die Herrlichkeiten der Hauptstadt, von denen sie ihm schrieb, sichtlich mißgönnte, ihren Lehrmeister schmähte, so brach auch dieser schriftliche Verkehr bald ab. Lina aber machte stetig aufwärts strebend ihren Weg. In einem kleinen Theater der Hauptstadt wurde sie enga- girt; sie ließ Vater und Mutter zu sich kommen und lebte, wie bisher, bescheiden mit ihnen. Dann starb der Vater, aber noch vor seinem Tode hatte er die Freude, seine Tochter an einer großen Bühne in Deutschland engagirt zu sehen. Dort wurde sie der Liebling des Publikums und endlich kam sie nach Berlin, wo sie seit vier Jahren engagirt war; nun stand sie am Gipfelpunkt des Ruhms, im Zenith ihres Könnens; am Ziel, das sie erreichen wollte--------------- Träumend sah Lina Walther, wie sie sich nunmehr nannte, die ganze Vergangenheit in bunten Bildern an sich vorüberziehen. „Es gibt im Leben seltsame Zufälle," murmelte sie vor sich hin, „es ist auch heute wieder St. Nikolaus, der sechste December, da ich wiederum in einem Stücke Gottfrieds spiele. — Aber wer denkt hier an St. Nikolaus. Und doch ist es ein ganz eigener Zufall. Ob er sich wohl daran erinnert, daß ich einmal in einem seiner Stücke gespielt habe!? Acht Jahre sind eine lange Frist, lange genug, um zugrunde zu gehen, aber auch lange genug, um Carriere zu machen. Halt! Da fällt mir etwas ein; der Dichter läßt mir in seinem Stücke die Wahl, irgend eine Strophe eines wehmüthigen Gedichtes zu sagen, ich habe zu diesem Zwecke Heine gewählt, aber nun will ich ein Gedicht Gottfried's heranssuchen, vielleicht erinnert er sich dann an mich!" Und die Künstlerin suchte emsig unter alten Papieren und fand endlich das Gewünschte; sie las es durch und hatte die wenigen Zeilen sofort erlernt. Auf dem Papiere standen folgende Zeilen: Mir glüht in Schicksals düstrer Stacht Ein Hoffnungsstern, so licht! Nicht Freundschaft ist's, die für mich wacht, Auch treue Liebe ist's nicht. Mein Leben er mir traut erhellt, Das sonst ich freudlos flieh, Mein treustes Kleinod, meine Welt, Du bist's, o Poesiel * Es war ein nebliger, feuchtkalter Abend. Vor dem Hostheater fuhren die Carossen auf und bald war das vornehme Hans so dicht gefüllt, daß keine Stecknadel mehr Platz hatte. Die vornehmsten Kreise der Residenz hatten sich eingefunden, um der langersehnten Premiere beizuwohnen, die umsomehr Interesse versprach, als der geniale, junge Autor ihr beiwohnte. Gerade unter der Directionsloge saß er, in einen Winkel gedrückt, von den Wenigsten gekannt. Aber Eine hatte ihn doch sofort erkannt und das war Lina Walther! Die Künstlerin ließ es sich nicht nehmen, durch das kleine, im Vorhang angebrachte Loch nach dem Jugendfreunde Umschau zu halten, und da sie ihn sah und erkannte, hätte sie fast aufgejubelt vor Freude. Er war es; allerdings hatte er sich verändert, war zum Manne geworden, aber es war die alte treu- jerzige Physiognomie. In diesem Antlitz lag kein Stolz und sein ganzes Wesen war anspruchslos und bescheiden. Nach dem ersten Akt war der Er- olg noch nicht so groß, daß sich der Autor von seinem Sitze hätte auf die Bühne iegebcn müssen, aber nach dem zweiten Aufzug, da der Dichter mit der Er- jabenheit seiner Auffassung, der gewaltigen Macht seiner Sprache Alles mit mit sich hinreißt, da die Künstlerin Walther in der Verkörperung eines herrlich schönen Weibes die Zuschauer begeisterte, brach der Jubel los und unzählige Male mußte der beglückte Autor vor die Rampe. Hand in Hand mit der großen Künstlerin mußte er erscheinen und sich dankend verneigen. Als das Publikum endlich zur Ruhe kam, küßte Gottfried Manger die Hand der Künstlerin und sprach ihr seinen warmen Dank dafür aus/was sie für sein Stück gethan. Er erkannte sie nicht, das elektrische Licht blendete ihn und die Schminke führte ihn irre. Mit Anfang des dritten und letzten Aktes begab sich der Dichter in seine Loge, aber da er nun vom Publikum gekannt war, lehnte er sich ganz zurück, für die Zuschauer unsichtbar, so daß er nur die Bühne übersah und nur von der Bühne ans gesehen werden konnte. Die Schwerkraft des ganzen Schauspieles basirte auf diesem letzten Akt und der Autor wußte wohl, daß er überall ausschlaggebend war. Fieberhaft beobachtete er die Vorgänge auf der Bühne, als sei ihm sein Stück etwas ganz Fremdes, das er jetzt zum ersten Male kennen lernen und auffassen müsse. Lina Walther übertraf alle Darstellerinnen der Heldin, das stand in seinen Augen fest, der Dichter beglückwünschte sich im Stillen zu dieser Jnterpretin. Jedem Worte des Dichters wurde sie gerecht, sie verstand es, die kleinste Nuance hervorzustreichen und war als Darstellerin des unglücklichen Weibes ganz unvergleichlich. Die größte Szene

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