Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

86 gewicht wieder herzustellen und die furchtbaren Wunden, die ihm der afrikanische Krieg geschlagen, wieder zu heilen. In einen ähnlichen Krieg ist Spanien verwickelt und setzt Alles daran, um ihn so glücklich als möglich zu bestehen. Es ist die Jnsurrection auf Cuba, die den Spaniern so heiße Arbeit macht. Der Nachfolger des Marschalls Martinez Campo s, General Weyler, packte die Sache von der richtigen Seite an, erging rücksichtslos gegen die Cubaner vor und machte von dem Standrecht reichlich Gebrauch. Die Insurgenten beschränken sich auf den Guerillakrieg, sie überfallen Reisende und Postkutscher und verwüsten in kleinen Truppen das Land. Der Senat und das Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten beschlossen, daß die Union die Insurgenten auf Cuba als kriegführende Macht anerkennen nioge, und so spitzte sich der Jnsurrectionskrieg zu einem weit gefährlicheren Conflict zwischen Spanien und den Vereinigten Staaten zu. Umsonst bemerkte der spanische Gesandte in Washington, daß es ein rechtloser Brigantenkampf sei, den die Insurgenten begonnen hätten, die Vereinigten Staaten hatten nun einmal ihr Herz für Cuba entdeckt. Im Ganzen genommen, blieben die Spanier siegreich. Dem Jnsurgentenführer Macco gelang es, sich in den Besitz der Stadt Jariero zu setzen und die Spanier zu vertreiben. General Weyler zog herbei, und da die Insurgenten sahen, daß ein Kampf aussichtslos sei, zerstörten sie die schöne Stadt, plünderten und mordeten und steckten Alles in Brand. Nach einem kurzen Treffen wurde die Stadt übergeben, aber Weyler fand nur mehr rauchende Trümmerhaufen. Die Türkei hat auch schwere Tage hinter sich und der Sultan wird wohl kein zweites ähnliches Jahr herbeiwünschen. In Armenien, dem kleinasiatischen Landstrich, gährte es ganz bedenklich und die Schrecken der armenischen Greuel erfüllten ganz Europa mit Entsetzen. Kurdische Räuber richteten in armenischen Dörfern Blutbäder an und haufenweise flüchteten die Bewohner des unglücklichen Landes nach der russischen Grenze, um dort Schutz zu suchen. Nun hört - man geraume Zeit nichts mehr von Armenien und das ist ein gutes Zeichen; ob es nicht ein Scheinfriede ist, das kann man freilich nicht beurtheilen. Nach ben armenischen Wirren kam der Ausstand auf derJnselKreta, auf der dieJnsurgenten derartige Unruhen anzettelten, daß ganz Europa nach der Insel im Mittelmeer blickte. Im Uebrigen schickten sich alle Mächte ohne Ausnahme an, für die Wiederherstellung der friedlichen Verhältnisse auf Kreta auf Seiten der hohen Pforte und Griechenlands energisch einzutreten. Die Jnsurgentenpartei hat zwar die Weiterführung des Kampfes beschlossen, doch steht zu erhoffen, daß es der Intervention der Mächte und Griechenlands gelingen wird, die Zustände auf Kreta zu regeln. Die türkischen Truppen, die gegen die Aufständischen vorrückten, begingen, angeblich im Austrage der Regierung, an den Gefangenen un- erhörte Grausamkeiten; dies Mittel verfehlte aber den Zweck, die Insurgenten ließen sich nicht ab- schrecken und die Erbitterung gegen die Pforte nahm bedenklich zu. Um die'Gemüther zu beruhigen, wurden auf Intervention der Mächte den Christen auf Kreta seitens der Pforte bedeutende Zugeständnisse geinacht. Darüber waren indes wieder die Muselmänner aufgebracht und die türkischen De- piitirten verließen Kanea und kehrten in ihre Heimat zurück.' Selbstredend fehlt es Hiebei nicht an Zusammenstößen zwischen der Politik Griechen- lanbö in der Türkei, die indes ohne böse Folgen blieben. Den Drohungen, die einige Kretenser gegen den türkischen Militärattache ausstießen, wurde keine Bedeutung beigelegt; es scheint indes doch, daß die kretensischen Wirren noch manches blutige Nachspiel haben werden, wenn die Mächte nicht mit allem Nachdruck die Nothwendigkeit des Friedens auf Kreta betonen werden. Bulgarien. Die Ermordung Stambulow's, die das allgemeine Interesse beherrschte, wich >r Con- verston des Prinzen Boris, des hochbedeutsamsten Ereignisses der letzten Zeit für Bulgarien. Der Thronfolger voll Bulgarien ist Freitag den 14. Februar 1596. vom katholischen Glauben zum orthodoxen übergetreten, obwohl sich seinem Vater vor Vollziehung der Umtaufe ungeheure Schwierigkeiten in den Weg stellten; der Papst war gegen die Umtaufe und verbot sie, und auch der Schwiegervater und die Fürstin von Bulgarien gaben ihre Zustimmung nicht. Trotzdem wurde Prinz Boris nach orthodoxem Glauben gesalbt, um dem Lande dauernden Frieden zu geben nnb die Thronfolge der Koburger zu sichern. Ueber diesen Wandel der Dinge ist eilizig unb allein Rußland, hocherfreut. Der Czar selbst hat die Pathenstelle übernommen und das Verhältniß Bulgariens zum russischen Staat ist ein sehr günstiges geworden, so daß Fürst Ferdinand über seine Anerkennung von den europäischen Großmächten nicht mehr Sorge zu tragen braucht. Der Czar ist versöhnt und Fürst Ferdinand ist glücklich darüber. Die Salbung des Thronfolgers nahmen der Exarch von Konstantinopel und der Metropolit von Sofia vor. Der geistige Urheber der Con- version des Prinzen Boris ist Minister S t o i l o w, dessen russophile Bestrebungen bekannt sind, und der es dem Fürsten klar machte, daß in dieser Weise Rußlands und die Oppositivll im eigenen Lande gewonnen werden können. Prinz Boris ist der älteste Sohn des Fürsten Ferdinand und der Fürstin Louise, einer Tochter des Herzogs Robert von Parma. Serbien. Der einzige unter den Balkanstaaten, in denl man von einer ruhigen zweckmäßigen Regierung sprechen kann. Die Hand des jungen Königs Alexander ist noch immer zu vergeben und feine Reise nach Deutschland, die mit einer Heirat in Verbindung gebracht wurde, verlief ohne Hauptmomente. Ein kleiner Zwist mit Ungarn, der anläßlich der Millenniums-Ausstellung durch Beleidigung der ungarischen Fahne entstand, wurde in Kürzern gütlich beigelegt. Die Krmordmlg Schah Naßreddins. Der Schah von Persien ist ermordet worden! Die Hand eines ruchlosen Fanatikers hat dem Leben des Herrschers ein frühzeitiges Ende bereitet. Am 1. Mai-wurde. Schah Naßr-ed- din getödtet, und zwar in der Nähe seines Palastes irr Teheran. Es war ein religiöser Fanatiker, der durch die Ermordung des Schahs om religiöses Werk zu verbringen gedachte. Schah Naßr-ed-din's Tod ist für die europäische Politik insofern von Bedeutung, als er sich dem J englisch-persischen Bündniß zuwandte und als Freund der englischen Politik im Orient galt; 87 durch seine Ermordung dürfte die Situation verschoben werden. Der verstorbene Herrscher wurde am 24. April 1831 zu Teheran geboren, er machte dreimal Reisen nach Europa und kam auch hiebei nach Wien, das ihm besonders gefiel. Dank dieser Reisen erschloß sich Persien der europäischen Cultur und Industrie. Schah Naßr- ed-din galt als weiser, gerechtigkeitsliebender Fürst; sein Nachfolger ist sein ältester Sohn Mus affer- ed-din. Die Trauer um den Heimgang des Herrschers war allgemein und aufrichtig, in vielen Häusern der Hauptstadt und der Provinz wurden Trauergottesdienste äbgehalten. Neben den Mitgliedern der Gesandtschaften und der europäischen Colonie sah man auch die meisten Angehörigen der besseren Kreise der Bevölkerung äußere Zeichen der Trauer zur Schau tragen. Der Umstand, daß Naßr-ed-din Schah an geheiligter Stätte, inmitten der Verrichtung der Andacht und beim Austheilen von Almosen, von der Kugel des Mörders getroffen wurde, wird ihm wohl dem Platz eines Märtyrers in der persischen Geschichte sichern. Dies beweist auch die Absicht, ihn nicht in Kum, der- heiligen Grabstätte des schiitischen Jmams.Muffa elKasem und seiner Tochter Fatime. ma^assum, dem Begräbnißorte der Kadscharen- Könige (130 Kilometer südlich von Teheran), zur letzten Ruhe 31t bestatten, sondern in der Moschee von Schah Abdul Asim, an der Stelle, wo er durch Mörderhand fiel. Vorläufig hat man die Leiche in Tükieh, dem Theater für die religiösen Trauerspiele, unter der königlichen Loge beigesetzt. Dort fanb auch am 8. Mai eine große militärische Trauerfeier statt. Nachdem die erste Bestürzung über den tragischen Tod des Schah vorüber ist, fängt man in hohen und niederen Kreisen an, sich darüber Rechenschaft abzulegen, wie sich die nächste Zukunft gestalten wird, und die Bilanz der fast fünfzigjährigen Regierungszeit des verstorbenen Königs zu ziehen. Bei aller Anerkennung der liebenswürdigen persönlichen Eigenschaften verkennt doch Niemand, daß Naßr-ed-din den Aufgaben seiner Zeit nicht gewachsen war. In dem aufgeklärten Theil der Bevölkerung, unb dieser ist bei der natürlichen Begabung der Perser recht groß, verfolgte man mit Besorgniß den zunehmenden Verfall des Volkswohlstandes ! lind die gänzliche Vernachlässigung der natür-

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