Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

84 85 sprechen zu hören, der indes manchmal ganz falsche Ansichten äußerte. Kugtand. Die politische Situation Englands im Jahre 1895/96 kann keineswegs eine günstige genannt werden; überall, wo Englands Einfluß durchbrechen sollte, wurde die englische Politik zurückgewiesen. Die erste Schlappe hatte England zu verzeichnen, als die Ereignisse in Transvaal in Afrika die Augen von ganz Europa aus sich lenkten. An der Spitze der Chartered-Compagnie stand ein Enkel' der Königin Victoria, und diese Compagnie war es, deren Naubzüge von Henerat Aaraiieri. der ganzen gebildeten Welt verdammt wurden. — Aehnlich erging es der englischen Politik in Armenien anläßlich der Unruhen in der Türkei. Dem staatsmännischen Talent Lord S ali s b ur y's gelang es, durch eine fulminante Friedensrede klarzulegen, daß es sich keineswegs um Souder- bestrebungen Englands handle, und daß England nur im Einverständniß mit allen Großmächten vorwärts schreite. Zur Zeit sind die Engländer in Aegypten vollauf beschäftigt. In einem Gefechte bei Firket gegen die Derwische wurden, dieselben trotz heftigen Widerstandes und hartnäckiger Vertheidigung vollständig geschlagen. Die englische Ca- vallerie schnitt den Rückzug ab und das Lager der Derwische wurde vollständig erobert. Von englischer Seite wurde weder ein Officier, noch ein Soldat verwundet, die Haltung der Truppen war vorzüglich, eine Unmenge von Pferden, Maulthieren, Kameelen und Kriegsgeräth- schaften wurde erbeutet. Auch aus Akascheh meldet der Draht stetige Erfolge der englischen Waffen, die sudanesischen und ägyptischen Truppen greifen die Aufständischen an, und so ist es zu hoffen, daß die Expedition in den Sudan baldigst beendet wird. An Bord des Kreuzers „Blancie" starb anr 20. Jänner Prinz Heinrich Battenberg, der Gemahl der Prinzessin Beatrice, der jüngsten Tochter der Königin von England. Er erlitt einen Fieberrückfall, der ihn niederwarf. Der Tod erfolgte kurze Zeit, nachdem der Kreuzer „Blancie" Sierra Leone verlassen hatte. Sofort kehrte das Schiff nach Sierra Leone zurück und von dort aus wurde die Trauernachricht nach Osborne telegraphirt. Die Königin wie ihre Tochter waren durch diese Nachricht niedergeschmettert. Der verstorbene Prinz war ein Bruder des unglücklichen Fürsten Alexander von Bulgarien und stand im 38. Lebensjahre. Der Prinz schloß sich einer Expedition gegen die Aschantis an und wurde unterwegs von der Influenza befallen; die Folgekrankheiten dieser im heißen Klima umso gefährlicheren Krankheit rafften den jungen, begabten Prinzen hinweg.. Mittelmeertänder« Ein trauriges Jahr für Italien, ein Jahr, das wohl nicht in kurzer Frist der Vergessenheit anheimfallen wird. .Fast so, als ob Italien nicht genug in seinen wirthschaftlichen Verhältnissen zu ordnen hätte, erlitt es auch einen solch furchtbaren Schlag nach außen, daß es sich nur um ein Haar gehandelt Hütte, um Italien in eine isolirte Stelle in der europäischen Politik zu bringen. General Baratieri, ein geborener Oesterreicher, der anfänglich mit großem Erfolge gegen die Truppen des Ras Menelik kämpfte, verschuldete die Schlacht bei Aduah, in der die italienische Armee fast aufgerieben wurde, und die eine Hekatombe von Menschenopfern forderte. Die Niederlage der Italiener am 1. März wird wohl mit TrauerZ7ea«s Menetik von Mcssinien. rand in der Geschichte Italiens verzeichnet werden. General Baratierfis furchtbarer und ver- > hängnißvoller Fehler bestand darin, daß er beschloß, den Feind von drei Seiten anzugreifen, obwohl ihm. seine Stellung sagen mußte, .daß ein Erfolg fast ausgeschlossen sei. Die abessinische Armee nützte die Gelegenheit auch aus und so wurden dann die Erfolge bei Eroberung der europäischen Colonie mit einem Schlage ausgelöscht. Baratieri wurde seines^.Amtes enthoben und General Baldisser.a.M sein Stellvertreter eingesetzt. Zur Zeit, hat sich General Baratieri seiner verunglückten.Taktik halber vor einem Kriegsgericht zu verantworten; seine Ber- urtheilung erschien sehr, wahrscheinlich, doch waren seine Richter milder und sprachen ihn frei. Der unglückliche Feldherr gedenkt den Rest seiner Tage in Jstrien zu verbringen. Das Hauptquartier der Italiener befindet sich in Massauah und das Kriegsbild kann stündlich wechseln. Die Schlacht bei Aduah hat mit ihren weitreichenden Folgen nicht auf sich warten lassen, das Ministerium Crispi wurde über Nacht gestürzt und ganz Italien befand sich in unbeschreiblichem Aufruhr. In allen größeren Städten fanden Demonstrationen statt und in Mailand ereignete sich ein blutiger Vorfall, der den Beweis erbrachte, in welcher Aufregung sich die Gemüther befanden. In Mailand leiteten Socialdemokraten die Demonstrationen ein, sie schickten Frauen in die Straßen, die auf den Hüten Zettel trugen mit den Worten: „Wir wollen Abzug der Soldaten aus Afrika." Dann erscholl das „Lied der Arbeit" und die Rufe „Nieder mit Crispi". Es entstand ein fürchterliches Gedränge, indem die Vordrängenden in die Bajonette der Soldaten gedrängt wurden, auf denen sie sich selbst spießten. Nur dem Vorgehen von Deutschland lind Oesterreich, die dem besiegten Italien nicht den Rücken kehren wollten, gelang es, das Gleichgewicht wieder herzustellen, und so arbeitet denn Italien jetzt daran, das innere Gleich-

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2