Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1897

88 89 lichen Hilfsquellen des Landes. Mit Neid blickte man auf die Entwicklung Transkaspiens in den wenigen Jahren der russischen Herrschaft und verglich sie mit dem trostlosen Zustande des eigenen Vaterlandes, trotzdem hier die Vorbedingungen für einen' Aufschwung tausendmal günstiger sind, als in den öden Steppen Turk- meniens. Wenn auch für manches Ungemach, das Persien betroffen hatte, der Herrscher nicht direct verantwortlich gemacht werden kann, so z. B. für die Entwerthung des Silbers, die dem Lande unheilbare Wunden geschlagen hat, so ist doch den einheimischen Gewerbefteiß zu Grunde ge- ^ richtet hatte. Dies war die Lage in Persien beim Tode Schahs Naßr-ed-din. Wie war es aber möglich, daß ein Herrscher, der nach Allem, was man hörte, ein so großer Freund abendländischer Cultur war, und der während dreier großer Reisen sich selbst von den Segnungen der Civilisation überzeugt hatte, in seinem eigenen Lande jedem Fortschritte sich feindlich gege'nüberstellte, daß er, anstatt durch zeitgemäße Reformen der Wohlthäter seines Volkes zu werden, sich dem Schah Naßr-ed-din. nicht zu leugnen, daß der Thatkraft und der Begünstigung des Fortschrittes in den ersten Regierungsjahren, die aber durch verkehrte Maßnahmen nur Mißerfolge und Enttäuschungen hervorrief, eine lange Periode gefolgt ist, in der jede auch noch so vernünftige Reform weit von der Hand gewiesen wurde. Die allgemeine Hoffnungslosigkeit, diesem Zustande ein Ende zu machen, hatte jegliche Aeußerung des noch in geringem Grade vorhandenen Unternehmungsgeistes lahmgelegt. Der Handel konnte bei dem gänzlichen Mangel an guten Straßen oder Eisenbahnen sich nicht entwickeln, die Ausfuhr ging von Jahr zu Jahr zurück, während die Bevorzugung der Erzeugnisse europäischer Industrie eindriugenden Geiste einer neuen Zeit entgegen-' stemnite und an diesem Beginnen zu Grunde ging? Diese Thatsache läßt sich nmr durch zwei Charaktereigenschaften Naßr-ed-din's erklären, die mit zunehmend ein Alter, immer mehr in den Vordergrund traten: dem Mißtrauen und der Geldgier. Die Geschichte seiner Regierung zeigt uns, daß er stets sofort die Männer von der Macht entfernte, von denen er annahm, daß sie einen Anhang im Volke hätten. Unglücklicherweise waren es gerade Diejenigen, die es-sich angelegen fein ließen, gegen Mißbräuche anszutreten und Verbesserungen einzuführen. Es hatte sich all« mülig zu seinem Regierungsgrandsatze heraus« gebildet, au seinem Hofe zwei sich feindlich gegen- überstehende Parteien gegen einander auszuspielen. Diese vertraten auf einer Seite den vernünftigen Fortschritt und zeitgemäße Reformen, während auf der anderen der persönliche Vortheil des Schah maßgebend war, der eigene aber dabei durchaus nicht vergessen wurde. Welche Partei fast immer den Sieg davontrug, war bei dem Charakter des Herrschers nicht zweifelhaft. Die in Europa zu Tage tretenden Ausbrüche des anarchistischen und nihilistischen Fanatismus wurden von seiner nächsten Umgebung dazu be- nützt, um ihm Furcht für Herrschaft und Leben einzuflößen und der allgemeinen Volksbildung zur Last gelegt. Infolge dessen haßte der Schah Alles, was mit Aufklärung irgendwie zusammen- hing, von: Grunde seines Herzens. Wie schwer sich der König von seinem Gelde trennte, mag aus folgendem Beispiel entnommen werden: Als der Großvezir ihn dazu drängte, sein fünfzigjähriges Regierungsjubiläum durch eine hochherzige That zu verherrlichen, war er .nur dadurch zur Aufhebung der schwer auf dem armen Volke lastenden Brot- und Fleischsteuer zu bewegen, daß der Großvezir auf seinen Gehalt verzichtete, um den Ausfall in der königlichen Casse zu decken! Auch in der großen Politik äußerte sich der Mangel einer bestimmten Richtung. Durch ein ewiges Schwanken zwischen englischem und russischem Einfluß glaubte der Schah am besten seinen eigenen Interessen zu dienen. Bei den infolge dieser Politik naturgemäß nach beiden Seiten nothwendigen Zugeständnissen hat leider stets Persien die Kosten tragen müssen. Das Wettrennen um die Einführung englischer und russischer Unternehmungen bildet einen drastischen Beweis dieser Schaukelpolitik uud zugleich eines der interessantesten Capitel der neuesten persischen Geschichte. Dabei war Naßr-ed-din aufs ängstlichste bemüht, in Europa den Ruf eines aufgeklärten Herrschers - aufrecht zu erhalten, rief Europäer in seinen Dienst und errichtete einige Schulen nach abendländischem Muster, gleichzeitig wurde aber dafür gesorgt, daß weder die einen, noch die anderen irgend welchen Schaden anrichten konnten. Gegen diese Verhältnisse führte der Groß- vezier einen aufreibenden Kampf, der anscheinend immer aussichtsloser für ihn wurde. Nicht als ob es unter den Ministern an begabten Männern gefehlt hätte, die es in ihrem Bestreben, das -allgemeine Wohl zu fördern, aufrichtig meinten, ohne Ansehen ihres eigenen Vortheiles. Als diese aber sahen, daß der Ministerrath zu einer Komödie geworden war, daß seine Beschlüsse durch den Erstbesten aus der näheren Umgebung des Königs zunichte gemacht werden konnten, und diesem gegen gutes Geld eigentlich Alles feil sei, zogen sie sich von der direkten Theilnahme an der Regierung zurück und beschränkten sich auf die Verwaltung ihrer Dienstgeschäfte. Der böse Geist seines Vaters und zugleich der größte Feind des Großveziers war der dritte Sohn des Schah, Na'ib-es-Saltaneh, Kriegs- minister unb Statthalter der Provinz Teheran. Mit unerhörter Willkür schaltete er in seinem Machtbereich; bei allen das Volk bedrückenden Maßregeln hatte er gewiß seine Hand im Spiels während er alle etwa heilsamen Anordnungen der Regierung 31t hintertreiben suchte. Die von Tag zu Tag steigende Theuerung aller Lebensmittel ist sein Werk. Einen großen Theil seiner riesigen Einkünfte bildete der offen betriebene Verkauf von Rang und Stellung in der Armee, die er während seiner Amtszeit von Grund aus desorganisirte. Niemand war seiner Stellung sicher einem anderen Bewerber gegenüber, der mehr dafür bot. Eine Günstlingswirthschaft ohne gleichen hatte überall Platz gegriffen. Eine unbegreifliche Vorliebe für diesen ungeratensten seiner Söhne und dessen wohlangebrachte Geschenke aus dem erpreßten Gelde ließen die immer häufiger zu den Ohren des Schah dringeuden Warnnngsrufe ungehört verhallen. Einer der hauptsächlichsten Beweggründe, die dem Mirsa Mohamed Resa den Revolver in die Hand gedrückt haben, war die Mißwirthschaft des Na'tb-es-Saltaneh. Und wie endete die Laufbahn dieses Musters von Soldaten und Kriegsministers? Kaum hatte er den Tod seines Vaters vernommen, als er, ohne an der Bildung einer vorläufigen Regierung theilzunehmen, sich in seinen Wagen warf und im Galopp unter- starker Bedeckung seiner Leibwache in seinem Schloß am Ende der Stadt Zuflucht suchte. Dort hält er sich in den innersten Gemächern verborgen und wagt nicht einmal seinen Garten zu betreten. Durch kein Zureden konnte er bewogen werden, an der vorläufigen Beisetzung der Leiche seines Vaters oder an der militärischen

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