Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1896

türer. Ich hab' eben zu rasch nach dem Sack gegriffen, und wie die verflixten Wepsen los waren, hab' ich auch nimmer mich um den Burschen kümmern können. „Noacha giah S' wohl weg aus 'm Paznaun?“ „Früher hab' ich's wohl im Sinn g’habt, aber jetzt nimmer! Zischkerl verstummt; sie kann sich selber sagen, warum der Blasi, mit dem sie herz¬ liches Mitleid hat, nicht mehr aus Paznaun hinaus will. Still wird's wieder in der Hütte, das dürftige Licht des Kienspans erlischt, bald ist Fuchs wieder entschlummert. Zischkerl hat ihr hartes Lager auf der Bank auf¬ gesucht, und auch sie umfängt wohlthätiger Schlaf Im Rößle zu Galtür sitzen die Dörfler beim Röthel. Sie sind willens, den Alp¬ meister zu wählen, denn der Zontag, der 14. August, rückt heran. So hieß es wenigstens im Dorfe, und so sagten es die kleinen Buben in den weit verstreuten Häusern ein. Zum Alpmeister wird nur freilich nach altem Brauch der Gemeinde¬ ge¬ vorstand gewählt, und im Grunde nommen ist dieser von den zur Wahl Be¬ rechtigten auch längst gewählt. Allein gleich¬ wohl wurde die Wahl für den Zontag noch 'mal eingesagt, und der abermaligen Aufforderung ist Folge geleistet worden. Im Rößle sitzen aber Leute, die mit dem richtigen Zonen so gut wie gar nichts zu thun haben, junge, kraftstrotzende Burschen, denen der Gemeindevorstand nicht schlecht heimleuchten würde, wenn sie ins Zon¬ geschäft dreinreden wollten. Sie reden aber überhaupt so gut wie nichts und blinzeln nur mit den Augen, eine stumme Sprache, die aber recht verständlich sein muß, denn der Rößlewirth versteht jeden Augenwink und weiß die sonderbarsten Gesten richtig zu deuten. Sonst pflegt es Aufgabe der Kellnerin zu sein, den Gästen das Viertele Röthel vorzusetzen, heute aber versieht der Wirth selber dieses Amt und fügt der knappen Begrüßung das Wörtchen bei: „Richtig?“ Und jeder so begrüßte Gast sagt trocken darauf: „Ja!“ Mancher 19 thut ein Uebriges nach Art der geübten Perlaggspieler*), indem der Eine etwas die Zunge zeigt und dabei den Wirth verständni߬ innig anblickt, ein Anderer die linke Achsel hebt oder ein Dritter das rechte Auge ein¬ kneift, ohne sonst ein Lebenszeichen von sich zu geben, bis der Seppele erscheint, dem unter allgemeiner Begrüßung der beste Platz eingeräumt wird. Nun reden die Burschen und sonstigen Dörfler davon, wie wohl der Zontag aus¬ fallen werde in Bezug auf das Erträgniß möglichst vieler Schluten, und Seppele meint, es käme halt eben viel auf das Wetter an, dann können woltern viele Kerbe im Zonstab eingeschnitten, und wer die Geige bekimmt, wär' dann nicht schwer zu er¬ rathen. Ein verschmitztes Lachen huscht über die Gesichter der Theilnehmer an diesem eltsamen Conventikel. Die jetzt ausgetheilte Geige wäre ziemlich groß gewesen, meint Seppele des Weiteren, sie soll, wenn es einigermaßen möglich ist, noch einmal aus die Thüre geschmiert werden. Doch brauchte man die Wepsen diesmal nicht. Wieder lächeln die Burschen und Männer und nicken bejahend. Seppele's Augen haben blitzschnell die Runde gemacht, und befriedigt sagt der Höfler: „Es blöckt schua!“ Dann wird der Wirth gefragt, ob „Schindeln am Dach“ sind und als derselbe diese verfängliche Frage gewissenhaft verneint tauscheln die Bauern eifrig zu einander Blitzschnell fahren ihre Köpfe aber auseinander, als plötzlich die Kellnerin im Flur draußen laut den „Herrn Reschpici¬ nenten“ begrüßt. Kaum hat der Zollbeamte die Thürklinke in der Hand, da ruft auch chon Seppele: „Ich halt' alli auf zwoa Schluten täglich, und dabei bleibt's. Adjes beisamm'!“ Damit erhob sich Seppele und mit ihm eine Anzahl Bauern, die den Be¬ *) Perlaggen, ein beliebtes, ungemein com¬ plicirtes Bauern=Kartenspiel in Tirol (italien. barlacchio = Taugenichts?), bei welchem die raffinirtesten Kniffe angewendet werden, um den Gegner zu Verlust zu bringen mittelst verab¬ redeter Zeichen unter den gemeinsamen Spiel¬ freunden gegen den Spielhaltenden. 22

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2