Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

56 Hause, wie es das des Commercienraths Langer war, wurdenganz andere Geschenke gemacht, als es hier der Fall war. '— Nun standen Vater und Tochter unter dem Lichterbaume, der Mann der knorrigen Eiche zu vergleichen, die lange Jahre Sturm und Unwetter getrotzt, nun aber mählich Spuren zeigt des nahenden Alters; das Mädchen, der schlanken Tanne gleich, die schlank und biegsam, die Krone emporreckt über niederes Unterholz; und doch auch wieder so anschmiegend, wie der Epheu, der an knorriger Eiche Schutz und Halt suchend, sich emporrankt. Den beiden Personen fehlte heute eine liebe Gestalt. Dachten sie eben, wie ihre Blicke auf den knisternden Lichtern ruhten, des Sohnes, des Bruders, dessen Gedanken vielleicht gedachten des Vaterhauses im fernen Vaterlande. Das Mädchen lehnte den Kopf an die Brust des neben ihm stehenden starken Mannes, der seinen. Arm liebevoll um die schlanke Gestalt legte. „Ich habe heute eine sehr große Bitte an dich, lieber Vater!" Die Stimme klang fest und nur der eifrigste Beobachter würde die Erregung bemerkt haben, die sie dnrchzitterte. Ja, das Mädchen war stark, wie der Vater. „Wenn die Erfüllung deines Wunsches mir. möglich ist, sei die Bitte dir gewährt, liebes -Kind. Ihr hattet ja immer am Weihnachsfesteeinenbesondercn Wunsch auszusprechen, das hatte die Mutter eingeführt und es soll so bleiben in meinem Hause." „Unmöglich ist es nicht, was ich bitte, zu erfüllen; doch wird dir die Gewährung schwer fallen, sehr schwer, lieber Vater." „Laß hören, Kind, warum so lange Ungewißheit!" „Zunächst — ich —- — bitte nicht für mich---------." ■ „Nun?" Der Ton kam etwas gedehnt von den Lippen des Vaters. „Am vorigen Feste bat ich um Verzeihung für den Bruder, der sich schwer vergangen, du weißt es, Vater!" Der Angeredete preßte dje Zähne aufeinander. Ein Schatten huschte über seine Züge und die Blicke richteten sich starr auf die Spitze des Baumes, auf der ein herrlicher Stern prangte. „Und diesmal?" Mir scheint, dn bittest wieder für einen Anderen, vielleicht für einen besonders Unglücklichen, Armen?" „Du sagst es. Für einen Unglücklichen bitte ich, für einen Armen, der jetzt, statt wie wir unter leuchtendem Christbaum zu stehen, in dunkler Ge- sängnißzelle 'schmachtet, ehrlos und doch unschuldig!" Die Arme des Mannes lösten sich von der zarten . Gestalt an.seiner Seite. Wie ein. banges Ahnen einer drohenden schweren Gefahr kam es über ihn, schnürte es fein Herz zusammen. Und die Augen des Vaters tauchten fragend in die in Thränen schwimmenden Augensterne der Tochter, die jetzt das nlit Purpur über- gossene Antlitz emporhob. „Deine Bitte, Kind, deine Bitte! Dein Zögern erregt mich." „Thue noch heute Schritte, den jun-. gen Falter aus dem Gefängniß zu lösen, Vater, du machst dadurch ein schweres Unrecht, wenn auch nureinigermaßengut!" Es war heraus das schwere Wort. Doch von welcher Wirkung war dasselbe .beim Vater.. Er trat einen Schritt zurück, ein Zittern durchlief den starken Körper und die Brust schnürte das'entsetzliche Ahnen von vornhin zusammen. „Und dann, Vater, bitte ich dich — —' —" die Worte kamen langsam, zitternd von den Lippen des Mädchens, das den Blick zu Bodengesenkthätte, „dann bitte ich dich dem jungen Manne meine Hand anzutragen, da er es nach dem Geschehenen nicht mehr wagen wird, um dieselbe anzuhalten." Der Commerzienrath stand sprachlos niit geöffnetem Munde, er schaute auf seine Tochter, als zweifle er an ihrem Verstände. Doch diese war fest entschlossen, das nach reiflicher Ueberlegung begonnene Werk auch zu Ende zu führen, wenn auch ihr Herz in Gedanken an den Schmerz des Vaters zerrissen wurde von namenloser Oual. Mechtilde drückte dem Vater einen Brief in die Hand und ging mit langsamen Schritten hinüber in's Neben- zimmer. Sie wüßte, der Vater war ernst und streng — aber gerecht. Der Zurückgebliebene schaute der davonschreitenden Tochter starren Auges nach. Was sollte das alles bedeuten? Er wußte es nicht; doch das wußte er, etwas Unrechtes hätte das Mädchen von ihm nicht erbeten, dafür glich es zuviel ihm.selbst. Und wieder zog jenes schmerzliche Ahnen ihm die Brust zusammen. — Unter dem Tannenbaume, dessen Lichter knisternd herunterbrannten, war der Handelsherr in einen Sessel gesunken. Hastig entfaltete er das ihm in die Hand gedrückte Schreiben und ließ die Blicke hingleiten über die ihm so wohlbekannten Schriftzüge seines Sohnes. Minute auf Minute verrann. Vorn Christbaum fielen heiße Wachstropfen herab auf den Teppich und hier und dort flammte knisternd ein Aestchen anf, dem die Flamme eines niedergebrannten Lichtes zu nahe gekommen war. Der Sinnende achtete nicht darauf. Den schweren Kopf auf die Hand gestützt, schaute sein Blick in's Leere, am Lichtmeere des Tannenbaums vorüber nur auf ein und dieselbe Stelle au der Decke. Schatten huschten vorüber am geistigen Auge des schwer Geprüften, Schatten, die da stammten von ranch- spendenden Lichtstümpfen, die sich verdichteten zu lebenden Gestalten. Wo weilten die Gedanken des Handelsherrn? Weilten sie in fernern Süden bei dem verbrecherischen, sich selbst anklagenden, reuigen Sohne? Weilten sie im düsteren Gefängnisse bei einem bleichen Manne, der sehnsuchtsvoll durch vergitterte Fen- sterhinausschauteindielichterhellteWinter- nacht, sich sehnend nach dem Mutter- herzen, das im bangen Sehnen ihm ent- gcgenschlug?-------- Im Saale ertönte der heftige Klang einer silberner Glocke. 57 Der Diener erschien, noch ehe der Ton ganz verklnngen. „Fritz, meinen Wagen, sofort!" „Wohl, Herr Cvmmercienrath!" Mit erstanntem Gesichte schlüpfte der Diener davon. Da mußte etwas Merkwürdiges vorgekoinmen sein. Aehnliches war in diesem Hause an diesem Abend noch nie passirt. In seinen Pelz gehüllt, bestieg Herr Langer den rasch vorfahrenden Wagen, ohne Abschied zu nehmen von der Tochter, es war, als ob alle seine Be-. wegungen nur mechanische seien. Wenige Worte zum Kutscher. Der Schlag fiel zu, das Rollen der Räder verklang in der Ferne. 4. Rechtlicher Sinn. Fritz löschte die Lichter des Christbaums. Kopfschüttelnd räumte er auf. Wie er aber auch simulirte, sein armer Kopf fand keine Gründe für das Benehmen des Hausherrn und dessen Tochter am heutigen Abend zusammen. An einem Fenster ihrer Stube stand Mechtilde, die brennende Stirn an' die kalten Scheiben gelehnt, bis draußen das letzte Rollen der Räder, verklungen wär. Dann sank sie in einen Stuhl. „Ich konnte nicht anders!" kam es seufzend über ihre Lippen. „Eine Ehre ist der anderen werth. Und ich wußte es, das strenge Rechtsgefühl des Vaters kann eD nicht dulden, daß ein Fremder unschuldig leidet. Aber o, wie wird sein Herz bluten.' Der Sohn, immer und immer wieder der Sohn! Und so weit gesunken! Und doch wieder, wie leiser Trost zieht's durch mein Herz. Gibt nicht sein unumwunden Geständniß seiner Schuld, seine Bitte um Verzeihung, sein Versprechen nachhaltiger Sinnesänderung Grund zu freudiger Hoffnung? Ach, möchte sie nicht zu Schanden werden. Der Mensch hofft so gern. Und wie schwer wird es halten, auch bei dem Vater für den Bruder zu bitten, das Böse zum Guten zu wenden, wie wird der Rechtliche zürnen. Nach einer Stunde kehrte der

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