Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

58 Wagen des Hausherrn zurück. Mechtilde hatte seine Zurückkunst erwartet und flog hinab, den Vater an der Thür zu empfangen. Schwer stützte sich der alte Herr auf den Arm des Mädchens, langsam stieg er die teppichbelegte Treppe hinauf. Tieftraurig schaute Fritz, des Hausherrn treuer, langjähriger Diener in das Antlitz desselben. Um Jahre schien ihm Herr Langer in wenig Stunden gealtert. Auf einen Wink Mechtilden's öffnete der Diener die Thür zu des Fräuleins trauten Stilbchen. Behagliche Wärme durchströmte den Raum, auf dem Theetische summte das Maschinchen. Herr Langer schlürfte mechanisch das ihm gereichte Getränk. Doch mit dem belebenden Naß schien auch neues Leben den Gebeugten zu durchströmen. Der Blick wurde freier, die gebeugte Gestalt richtete sich immer mehr und mehr auf. Mit ängstlicher Spannung hatte Mechtilde den Vater beobachtet. Jetzt fand sie den Muth zum Reden. „Zürnst du mir, Vater?" Der Commercienrath fuhr zärtlich über den Scheitel des Mädchens. „Wie sollte ich, Kind? Du hast gehandelt, wie es meiner starken Tochter geziemt; und meiner wäre es wahrlich unwürdig, wollte ich einen Unschuldigen leiden lassen, selbst wenn die Ehre meines guten Namens dabei auf dem Spiele steht. Nein, du hast recht gehandelt und ich habe in deinem Geiste fortgearbeitet, du wirst das Weitere noch erfahren. Doch nun zurück zu unserem Gespräch von vorhin. Wir waren wohl nicht zu Ende gekommen. Zwei Bitten waren es, die du stelltest. Die eine habe ich erfüllt, die nöthigen Schritte sind gethan, den jungen Falter aus seiner Haft zu lösen---------" Mechtilde drückte dem Vater stumm die Hand. Doch dieser fuhr fort: „Die zweite Bitte, deine Hand dem jungen Manne anzutragen, entsprang wohl doch zu weit getriebenem Edel- muthe, du meintest sie nicht ernst?" . „Doch, Vater, es war mir voller Ernst mit meiner Bitte!" Der Commercienrath schaute auf seine Tochter mit einem halb fragenden, halb zweifelnden Blicke. Das erröthende Mädchen hielt den Blick aus. „Du liebst deu jungen Mann?" „Ja, Vater!" Der Ton der Stimme war sicher und fest. „Hm, und er? Erwidert er' deine Liebe?" „Ich 'ahne es Vater!" „So hat sich Faller gegen dich nicht ausgesprochen?" „Nein, er hätte es auch wohl so leicht nicht gewagt, zumal ich ihn nie ermuthigte, da ich ohne dein Wissen und Willen, ohne dir mich vorher anzuver- trauen einen Schritt gewagt hätte, der Reue im Gefolge haben könnte, zum bloßen Tändeln aber fühle ich mich zu gut, ebenso aber den jungen Faller!" Der alte Herr nickte. „Hätte dein Bruder nur einen Theil deines rechtschaffenen Sinnes, deiner Energie, deines Edelmuthes. ■ Doch lassen wir ihn. Sprechen wir weiter! Hast du auch das Eigenthümliche des Schrittes bedacht, den zu thun du von mir verlangst? Ich, der reiche Handelsherr, soll die Hand meiner einzigen Tochter meinem Cassirer anbieten?" „Ja, nach dem, was vorgefallen. Nie würde ich sonst dir solches Ansinnen gestellt haben. Wir sind dem Gekränkten, dem, der unsere Ehre zu wahren seinen eigenen guten Namen preisgab, eine Genugthuung schuldig, die ihn von jedem Makel befreit, ihn wieder sich selbst gibt." Der Commercienrath war aufgestanden. Mit langen Schritten durchmaß er das Gemach. Jetzt blieb er vor der Tochter stehen.. „Nach dem, was du da eben sagtest, Mechtilde, hätte Faller gewußt, wer der eigentliche — — — Die — — _ Dieb sei?" „Ich glaube es ganz bestimmt. Sein ganzes Benehmen deutet darauf hin!" Herr Langer blickte starr in die Weite. „Ich habe den jungen Mann immer hochgeschätzt. Das klebrige verlor sich in unverständliches Murmeln. Dann wandle er sich lebhafter als bisher zu Mechtilde: „Morgen zieht Frau Faller bei uns ein. Ehre sie wie deine Mutter, sie ist es werth, und wir wollen ihr die bitteren Stunden, die sie um unseretwillen durchlebt, iu süße umwandeln." Mechtilde flvg dem Vater au deu Hals. „Du warst bei ihr." „Vorhin, ich wollte dir in deinem Edelmuthe nicht nachstehen, es hat freilich Mühe gekostet, sie unseren Bitten, ich bat auch in deinem Namen, , willfährig zu machen. Endlich hat sie nachgegeben." Das Mädchen schluchzte. „O, Vater, welch ein Herz hast du!" Der Commercienrath wehrte ab. „Laß mich weiter handeln, Kind; den Erfolg wollen wir einem höh'ren > Walten anheim stellen. Doch nun wollen wir den heiligen Abend beschließen und die uns Beiden nöthige Ruhe aufsuchen. Morgen erwartet mich ein ernstes Geschäft, das keinen Aufschub duldet." Mechtilde ahnte, was der Vater meinte. Unnennbare Angst überkam sie, Angst um den Bruder. „Du willst.. " „Ich will," sagte ernst der Handelsherr, „einen Namen aus unserer Familienliste streichen, der nicht mehr hineingehört, ich habe keinen Sohn mehr, du keinen Bruder; ein Bube, der seinen Namen ehrlos macht, ist nicht mein Kind." Mechtilde ergriff des Vaters Hand. „Ich weiß, was du willst, du bittest vergebens!" „Wir haben Weihnachten, Vater!" „Ich weiß. Und so traurig haben wir das schöne Fest nie gefeiert, wer ist's, der die Festesfreude geschändet?" „Wohl hast du recht, Vater. Aber der heute geboren, vergab seinen Feinden im größten Schmerze, in höchster Schmach. 59 Sollte die erbarmende Liebe, die heute verkörpert vom Himmel steigt, das Vaterherz nicht rühren, nicht weich stimmen gegen den Sohn, der verloren war?" „Wär?" fuhr der alte Herr auf, verloren war? Er ist verloren, unrettbar verloren---------------" „Er wird es sein, wenn wir ihn aufgeben!" Herr Langer blickte der Tochter ins Auge. „Zürne mir nicht Vater, wenn ich weiter in dich dringe. Spricht nicht Erwin's Brief von bitterer Reue, fleht er nicht herzzerreißend um Verzeihung? Verspricht er nicht theuer und fest, sich zu bessern?" „Bei ihm leere Redensarten, das solltest du wissen!" „Bisher gewiß, Vater, aber wenn es ihm Ernst wäre, heiliger Ernst, Vater, und du ihm den Weg abschnittest, ein anderer Mensch zu werden?" Der Commercienrath war betroffen. „Laß mich, Mechtilde — — Morgen — —" „Ich lasse dich nicht, Vater, so nicht; denke der Mutter, die uns Kinder lehrte, am heiligen Abende Allen zu vergeben, Allen, auch dem Schlimmsten, um dessen Willen, der das Evangelium der Liebe gepredigt, der nur dem verzeiht, der seinen Schuldigen vergibt!" Herr Langer stand erschüttert. Thränen rannen dem starken Manne über die Wangen. „Es sei, Erwin bleibe mein Sohn; doch eine Strafe über ihn zu verhängen, lasse ich mir nicht nehmen." „Strafe muß sein, wenn sie verdient, und wenn sie so eingerichtet ist, daß sie bessert. Das überlasse ich dir, Vater, dem Rechtsinn wird das Richtige treffen. Doch darf ich schreiben, daß du Erwin vergibst?" „Thue, wie du willst, er ist mein Sohn, wenn er durch ein neues Leben sich seines Namens würdig macht."

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