Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

54 „Nehmen Sie gefälligst Platz!" Die Stimme war rauh, fast hart, und wie intim, wie freundschaftlich hatten die Damen früher verkehrt. Das Unglück macht leider herbe, oft auch gegen die, die eine Zurücksetzung nicht verdienen. Was konnte das junge Mädchen für das Geschehene? Mit feinem Gefühl merkte Mechthilde wohl das Abweisende im Wesen der alten Frau, ohne es ihr zn verübeln. Sie ehrte den Schmerz der Mutter, lehnte aber mit einer Handbewegung die Einladung znm Niedersitzen ab. „Ich komme in wichtiger Angelegenheit und bringe Ihnen gute Nachricht, meine liebe Frau Falter!" „Mir gute Nachricht?" Ungläubig schüttelte die alte Dame das Haupt und Thränen rollten über 'die gefurchten Wangen. „Doch lassen Sie mich kurz seiu, mich aussprechen, ehe meine Kräfte versagen. Ihr Sohn ist unschuldig des Verbrechens, dessen man ihn zeiht!" Die alte Frau faßte krampfhaft deu Arm des vor ihn: stehenden Mädchens, sie drohte umzusinken und Mechthilde führte die Aufgeregte zu einem Sessel, in den sie niedersank. „Meine Ahnung, meine Ahnung, o Gott, hast du mein Flehen gehört? Doch" — — und die alte Frau fuhr in die Höhe---------„Sie treiben nicht Spott mit einem gequälten Mutterherzen, Fräulein Langer?" Die Gefragte schüttelte wehmüthig das Haupt und Thränen traten ihr in die Augen. Frau Faller fühlte, daß sie ungerecht gewesen und faßte wie um Abbitte zu thun die schlaff herabhängende Hand des jungen Mädchens. „Verzeihen Sie, wenn ich — —" Mechtilde wehrt ab. „Mit Ihnen Spott treiben, Frau Faller? Davor behüte mich Gott, Ihr Mutterherz hat wahrlich Kummer genug gehabt in letzter Zeck, ich komme, um es zu hebe«, zu neuer freudiger Hoffnung!" „Gott danke Ihnen Ihre Güte und Freundlichkeit, mein Fräuleill; Sie sagten, hörte ich recht, mein Sohn sei unschuldig; aber wer ist der Thäter, der wirkliche Dieb?" Todtcublüsse überzog bei der Frage das Antlitz des schönen Mädchens. „Vertrauen Sie mir, liebe Frau Faller, vertrauen Sie. Ich kann Ihnen jetzt nicht mehr sagen, als ich gethan; ich habe heute iioch Schweres zu thun, mein erster Gang galt Ihnen, der Mutter. Nochmals, vertrauen Sie!" Noch eine Weile und die Witwe war mit ihren Gedanken wieder allein. Aber wie ganz anders, wie hoffnungsvoll schaute sie wieder in die Zukunft, die so ganz anders vor ihr lag, wie vor einer Stunde. 3. Unter dem Weihnachtsbaum des Commerzienrathes. In seinem Comptoir saß derHaudels- herr Herr Commercienrath Langer. Es war eine mächtige Gestalt in weißem Haarmit festen, ernsten, fast harten Zügen. Das Leben hat seine Furchen gezogen in das Antlitz des Mannes, der aus kleinen Anfängen mit eigener Kraft sein Haus auf achtunggebietende Höhe gebracht, der stolz sein konnte und stolz war auf die Arbeit seines Lebens. Aber die Kraft des Körpers, sie geht auch bei dem stärksten zur Neige, reibt sich auf im rastlosen Kampfe, der Leben heißt. Auch der Commercienrath fühlte den Wurm, der das festeste Gebäude annagt. Und wer sollte das stolze Werk, daß er begonnen, fest gegründet, weiterbauen, weiter festigen? Sinnend bläst der alte Herr den Dampf der feinen Havanna vor sich und ein trüber Schatten huscht über das schon so ernste Gesicht. Ja, hat er denn nicht einen Sohn, Erwin?. Das ist eben der nagende Wurm. Hätte der junge Mann einenTheil nur der Thatkraft der um Weniges jüngeren Schwester, denkt eben der sinnende Mann, wäre er halb so leichtsinnig, wie er ist, der Vater könnte mit Ruhe das müde Haupt hinlegcn zur ewigen Ruhe, ohne Sorge für die Zukunft; aber so! Trübe Bilder sind's, schattenreich, ohne einen Sonnenblick, die vor dem geistigen Auge des schwer Seufzenden vorüberziehen. Die Bureaux leeren sich heute um eine halbe Stunde früher, als sonst; es < ist Weihnachtsabend. Der Cassirer legt die Schlüssel auf deu Tisch vor deu Chef des Hausest Es treibt ihn heim, heute mehr als sonst. „Gute Nacht, Herr Commercienrath, und fröhliche Feiertage!" Der Angeredete fährt aus seinen Träumen empor. „Einen Augenblick, Herr Zwiesel; es haben doch alle Angestellte ihr Weihnachtsgeschenk rechtzeitig erhalten? Es ist immer so gehalten in meinem Hause!" „Auch diesmal sind Ihre Anordnungen aufs Pünktlichste besorgt," beeilte sich der Beamte, der noch nicht lange den wichtigen Posten eines Cassirers versah, zu versichern. j Der Commercienrath nickte befriedigt. „Wohl, doch hier ist noch ein Couvert; würden Sie so freundlich sein, es an die Witwe Frau Faller zu besorgen? Aber — — nun — Sie werden-------- mich verstehen!" Fragend schaute Herr Zwiesel auf seinen Chef. Doch der hat sich bereits umgewandt und steht, die Hände auf dem Rücken, am Fenster und schaut hinaus auf die Straße, wo die Leute rennen und jagen und die Laternen bereits ihren fahlen Schein über die schneebedeckten Straßen werfen./ „Werde den Auftrag genaubesorgen!" sagt Herr Zwiesel, sich verneigend, dann eilt er hinaus, schlüpft draußen in seinen Ueberrock und verläßt das Haus, froh, A auf einige Tage des Bücherstaubes ledig zu sein. Noch eine Weile bleibt der Com- mercienrath allein mit seinen Gedanken, dann wirft er sich mit Hilfe des Burcau- leners m seinen Pelz und besteigt den draußen seiner harrenden Wagen, der Zur geschmackvollen Villa am Wall führt. Hinter ihm schließt der Portier 55 die schweren Thüren; auch ihm winken einige Tage der Ruhe; über die Festtage ist er mit seiner Familie ja allein in dem alten Hanse und sein eigener Herr.------------- - »Der Christbaum steht geschmückt, Herr Commercienrath, Fräulein Tochter lassen bitten!" Der Diener verschloß die Thür ebenso geräuschlos, wie er sie ge- öffnet, nachdem er von'den Lippen seines Herrn das ihm seit Jahren bekannte: „Ich werde sofort kommen!" vernommen hatte. Herr Langer liebte Pünktlichkeit. Im großen Saale des Hauses prangt der Christbaum mit seinen vielen Lichtern, seinem kostbaren Schmucke. Es war stets Sitte gewesen im Hause, den lieblichen Baum aufzustellen. Die leider früh verstorbene Gattin des Commercienrathes hatte besonders an dieser Sitte festgehalten und der zurückgebliebene Gatte gedachte in stiller Wehmuth am heiligen Abende der Verstorbenen. Zu seiner Stütze im Haushalte war ihm dann die Tochter emporgeblüht, das Ebenbild der Verblichenen, der Stolz seines Herzens. Unter dem Baume lagen die Geschenke, welche die Tochter dem Vater gewidmet, meist selbstgefertigte Handarbeiten, für den Gebrauch des Vaters bestimmt, dieser liebte an solchen Tagen nicht Kostbarkeiten, die keinen praktischen Werth haben. Und wie viel bares Geld wird gerade am Weihnachtsfeste ausgegeben für Unnützes, für Sachen, die nur auf Stunden dem Gebrauch dieneu. Welche Summen könnten an solchem Abend gespart und zu Nutz und Frommen Nothleidender verwendet werden! Von diesem Gedanken geleitet, war der Commercienrath am Feste der Liebe freigebiggegendieBediensteten seines Hauses, im Verein mit der Tochter unbeschränkt mild gegen die Armen, die seiner Güte empfohlen wurden. Demgemäß machte auch er gewöhnlich nicht großartige Geschenke an seine Tochter; die Sachen, die eben ein Diener herein- trug, waren offenbar der öftesten Benützung gewidmet, einfach aber gediegen. In manchem bei weitem nicht so reichen,

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