Steyrer Geschäfts- und Unterhaltungskalender 1894

36 „Laßt mich zieh'n, es ist besser so, für mich und für sie!" Und darnach fuhr er sich eilig über die Augen und wandte sich zum Gehen. Als er einige Schritte gemacht, da stog ihm leuchtenden Blickes Minna entgegen und fiel ihm um den Hals. Der Jüngling löste sich sanft aus der Um- a.rmung, drückte einen langen Kuß auf ihre Stirn und sprach tonlos: „Du bist die Braut eines Anderen, leb" wohl, Minna!" Minna konnte keinen Schrei ausstoßen; wie angewurzelt in sprachloser Erregung stand sie, dem Enteilenden sehnend die Arme nachstreckend. In demselben Augenblicke erschien waffenklirrend eine kriegerische Gestalt an dem Pförtlein des Gartens. Wie der Mann so urplötzlich dastand, hatte er, in dem unsicheren, fahlen Lichte der Dämmerung, ein fast gespenstiges Aussehen und sah mit dem fleischlosen, todtenbleichen Gesichte, in welchem nichts Leben verrieth, als zwei funkelnde Raubthierangen, aus, wie ein Wanderer aus eiuer anderen Welt. Das war der kaiserliche Rottenführer Zdenko v. Lubowienski, der Günstling und vertraute Rathgeber des Commandanten Grafen Starhemberg. „Sollt' man nicht wähnen, Meister," wendete er sich langsam und mit einem kurzen, eigenthümlichen, heiseren Lachen an den Waffenschmied, „so sieht ein Abschied unter Liebesleuten aus?"-------- 1T. Die Noth und Bedrängniß der Stadt ward immer schrecklicher. Die Lebensmittcl waren ausgegangen und fast unerschwinglich geworden. Viele wackere Bürger- waren schon im Kampfe gefallen und nun war es auch uoch einem anderen gleich tückischen Feinde gelungen, sich in die Stadt zu schlei- chcu und Entsetzen und Trauer zu verbreiten, die Ruhr, welche mit ungeahnter Vehemenz wüthete; dazu kam noch, daß die Belagerer immer näher heraurückten und daß Fortificatiouen zerstört wurden, die wieder herzustellen nicht möglich war. In solchen Zeiten schwindet der Schmerz des Einzelnen in dem der Gesammtheit. Balduin schien allen Trost für seine Lage und zeitweiliges Vergessen darin zu finden, daß er stets der Erste war, wenn es galt, einer Gefahr tollkühn entgegenzutreten. Kein Ausfall wurde gemacht, dem er sich nicht angeschlossen hätte, kein Vcrzweiflungskampf auf den unterminirten Wällen, bei dem er nicht in der ersten Reihe gestritten und schon mehr als einmal hatte er es in gefährlichem Uebermuthe gewagt, allein sich in den Stadtgraben zu schwingen, um mit einem Türken, der sich zu nahe herangemacht, anzubinden, oder auch mit zweien. Wenn aber die Sonne hinter dem Kahlcngebirge sank, wenn die Vesper37 glocken so freundlich erklangen, dann fand sich der Jüngling in dem Gärtlein des Meisters Schwendtlein ein, um in süßer Heimlichkeit mit seiner treuen Liebe zu kosen oder auch ernstes Zwiegespräch mit dem Alten zu Pflegen. Die zwei jungen Herzen waren durch die Schranke», die man zwischen ihnen aufgerichtet, noch inniger einander zugewendet worden und Beide hofften mit der gläubigen Zuversicht der Jugend, daß ihnen noch ein guter Stern zum glücklichen Ziele leuchten werde. Auch Lubowienski kam allabendlich und saß bis tief in die Nacht mit dem Meister poculirend zusammen, wenn ihn seine Soldatenpflicht reicht rief und verstand es herrlich, die Stunden durch Erzählung allerlei ergötzlicher Reiterhistörchen zu kürzen; es waren, wie er versicherte, Erlebnisse seiner eigenen Vergangenheit und wer ihm in das verwitterte Gesicht sah, konnte an der Wahrheit dieser Worte nicht zweifeln. Die Noth der Stadt war immer größer geworden. In den Wällen waren un- ausfüllbare Breschen, der wichtige Burg- ravelin lag in Trümmern; die Vertheidiger waren durch den Feind und durch Krankheit und Entbehrung bereits fürchterlich decimirt, Allen sank der Muth, die Stadt konnte sich, wenn nicht schleuniger Ersatz heranrückte, mit Aufbot aller Kräfte höchstens noch ein paar Tage halten. Am 8. August hatte Starhemberg, der selbst an der Ruhr krank dar- niederlag, einen der türkischen Sprache mächtigen Lieutenant, Namens Grego- rowitz, vom Heister'schen Regimeute mit Briefen an den Herzog von Lothringen abgesendet,.kurz daraus den Kaufmann und Dolmetscher an der orientalischen Akademie, G. Franz Kolschitzky, und am 19. August den Diener desselben, Georg Michaelowitz. Alle diesePersonenund ein Reiter vom Regiment Caraffa, den der Herzog schon früher in die Stadt geschickt hatte, brachten die Botschaft, daß das Ersatzheer in großer Stärke heranrücke, und Tag für Tag verstrich, ohne daß die verzweifelte Hoffnung der Belagerten auf endliche Hilfe in Erfüllung ging. So mußte man daran denken, noch einen letzten Verfuch zn machen und an den Herzog einen Botschafter mit Briefen zn schicken, in denen nicht nur die Lage der Stadt auf das Beweglichste und wahrheitsgetreu geschildert, sondern auch die durch den Kampf veränderten tactischen Verhältnisse auf das Genaueste dargethan werden sollten. Großer Geldeslohn war für den Kühnen ausgesetzt, der sich bereit erklärte, das Wagstück auszuführen und wenn er dem Kriegerstande angehörte, hohe Ehre, aber bisher hatte sich keiner mehr gefunden, der der Aufforderung Folge leistete. Da entschloß sich Balduin, die That zu vollbringen oder bei ihrer Ausführung unterzugehen. Er sprach zu Niemandem von seinem Vorhaben und meldete sich direct beim Stadtcommandanten. Dieser lag noch krank darnieder, aber als ihm der junge Held seine Absicht kund that, da richtete er sich halb auf dem Lager auf und reichte ihm die Rechte. Er lobte ihn in Gegenwart der anwesenden Edelleute auf das höchlichste und gab dann dem Capitän Lubowienski Befehl, mit Balduin das Erforderliche zu verabrede». Der Pole warf auf Den, welchen er mit so großem Rechte für seinen Nebenbuhler halten mußte, eiueu ganz seltsamen, langen Blick, als sich die beiden Männer in dem Gemache, das sich neben deui des Grafen befand, allein gegen- überstanden. Es lag etwas darin von der Freude eines Teufels über einen gelungenen Plan. „Um Euer selbst willen," begann er »ach einer Pause, „und im Interesse des Gelingens der Sache, die für uns Alle von so großer Wichtigkeit, ist es nöthig, daß Ihr Vorkehrungen trefft. Seid Ihr etwa der türkischen Sprache mächtig?" Balduin verneinte. „Dann ist's schwer, sehr schwer,

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