Gemeinderatsprotokoll vom 21. Juli 1922

Anschauung vertreten, daß diese Gebühr nach Maßgabe der bewohnten Bodenfläche der Wohnungen errechnet werden solle, weil man annahm, daß das Wohnungsamt zum allergrößten Teile im Besitze des Ausmaßes der Wohnungen sei. Nun hat sich aber herausgestellt, daß dem nicht so ist, und die Aufnahme der Wohnungen mit einer derartigen Belastung verbunden wäre, daß man davon absehen mußte. Nach den letzten Mit¬ teilungen der Stadtbuchhaltung belaufen sich die Kosten der Müllabfuhr im ganzen Stadtgebiet auf rund 50 Millionen Kronen. Die Sektion hat sich mit der Neuregelung der Müll¬ abfuhr sehr eingehend beschäftigt und stellt nach Ueberprüfung aller einschlägigen Momente folgenden Antrag: Z. 17.271 Antrag der dritten Sektion. Die Sektion beantragt in der Erwägung, daß die Stadt¬ gemeinde gewiß die Pflicht hat, zur Verbesserung der sanitären Verhältnisse im Stadtgebiete beizutragen, dermalen aber ganz außerstande ist, die Kosten der Müllbeseitigung allein zu tragen, diese zur Hälfte durch die Stadtgemeinde zu übernehmen und die andere Hälfte durch einen Aufschlag von 12 Kronen auf jede Krone des reinen Mietzinses herein zu bringen, wobei in Häusern, welche durch Neu=, Zu= oder Umbauten seit dem Jahre 1914 Wohnungen erhalten haben, deren Zinse verhältnis¬ mäßig höher angesetzt worden sind, als vor diesem Jahre ein der Berechnung der Müllabfuhrgebühr zugrunde zu legender Mietzins anzunehmen ist, der bis zu einem Zehntel des in Geltung stehenden vermindert werden kann. Steyr, am 20. Juli 1922. Der Vorsitzende der dritten Sektion: Mayrhofer m. p. Es wird nichts anderes übrig bleiben, als in diesen saueren Apfel zu beißen, wel man wegen der Kosten nicht eine sanitäre Einrichtung auflassen kann, um welche uns manche Städte beneiden. Aus diesem Grunde wird die Annahme des Sektions antrages empfohlen. Herr GR. Aigner erklärt, vorausschicken zu müssen, daß er in der Sektion nicht für den Antrag gestimmt habe und sich auch heute nicht mit demselben einverstanden erklären könne. Mit Rücksicht auf die kolossal mißlichen finanziellen Verhältnisse wird die Summe, welche jetzt zur Einholung gelangen soll, in 14 Tagen schon wieder überholt sein. Da außerdem der Aus¬ bau der Müllabfuhr noch nicht durchführbar war und nur ge¬ wisse Stadtteile von der Müllabfuhr Gebrauch machen können, erscheint es nicht gerechtfertigt, wenn nur ein Teil der Haus¬ besitzer diese großen Lasten zu tragen hat Es gäbe viele arme alte Leute im Armenhaus, welche zum Wegführen des Müll verwendet werden könnten und wenn durch die Polizei noch gesorgt wird, daß der Quai nicht verunreinigt wird, sondern die Ablagerung an Stellen erfolgt, wo ein Wegschwemmen der¬ selben sicher ist, kann ich den Gegenantrag stellen, die Müll¬ abfuhr dermalen wegen der mißlichen finanziellen Verhältnisse einzustellen Herr Vorsitzender Bürgermeister Wokral bemerkt, daß nicht ein Teil der Hausbesitzer getroffen werden würde, sondern alle, weil die Müllabfuhr durch die Adaptierung von Wägen auf die ganze Stadt ausgedehnt wurde. Herr Vizebürgermeister Nothhaft verweist darauf, daß die Mieter nicht nur von dieser Müllabfuhr, sondern auch schwer von den Erhöhungen der Rauchfangkehrergebühren und den Kosten der zu errichtenden Kanalisierung getroffen würden und der Mietzins sicherlich bis zur 30fachen Höhe steigen müßte. Die Lösung der Frage ist gewiß schwierig, einerseits sind die Kosten unerschwinglich, anderseits soll man mit dem wichtigen sanitären Hilfsmittel nicht brechen. Vielleicht wäre es möglich, hier eine Mittellinie zu schaffen, indem man vom Oktober bis April die Müllabfuhr gänzlich einstellt und diese nur während der Sommermonate aufrecht hält Auf diese Weise käme eine Verbilligung zustande und im Winter wäre die Staubplage sicherlich nicht so gefährlich. Wenn man Gelegenheit hatte, in Wien Umschau zu halten, so muß man selbst dort, wo die hygienischen Maßnahmen sicherlich am leichtesten weit vorgeschritten sein können, finden, daß selbst dort die Müllab¬ fuhr nicht auf der Höhe ist. Was also selbst die große Stadt Wien nicht vollkommen durchführen kann, soll man schließlich von der Stadt Steyr nicht verlangen Ich beantrage demnach, vom Oktober bis April jeden Jahres die Müllabfuhr gänzlich einzustellen; sollten sich die Verhältnisse im nachsten Jahre ändern, könne man der Sache wieder näher treten, Herr GR. Steinbrecher glaubt, daß es manchen un¬ angenehm berührt, daß dieser Punkt heute auf der Tagesord¬ nung neht. Das weiche Herz entdecken die Herren immer dann, wenn es gilt, den Gemeindesäckel zu belasten. Bisher sind nur Anregungen gegeben worden, über die sich nichts reden läßt, Es fällt uns selbst recht schwer, aber gemacht muß es werden, denn im Falle einer Seuche würde die Verantwortung für die Ablehnung umso schwerer sein. Herr Vizebürgermeister Dedic stellt fest, daß die sozial¬ m okratische Partei nicht mit Begeisterung diesem Antrage der Sektion zustimmt und nur der Not gehorchend dies tun muß. Von Herrn GR. Aigner hätte ich eher eine Erweiterung des Antrages erwartet, damit der Aufwand der Gemeinde zur Gänze hereingebracht werden kann. In seinen Schlußworten hat er allerdings gerade das Gegenteil davon verlangt. Wenn man die Ausführungen des Herrn GR. Aigner anhört, so kommt einem sofort der Gedanke, daß wir noch vor den Um¬ sturztagen stehen. Die Worte des Herrn Aigner passen ent¬ schieden nicht mehr in die heutige Zeit, denn von Leuten, die in ihrem Leben schon 45 Jahre und mehr gearbeitet haben, zu verlangen, daß sie noch die schwere Arbeit des Mistführens vollführen, ist eine reaktionäre Rede, die mir noch nicht vor¬ gekommen ist; man muß sich wundern, daß man einen Ge¬ meinderat, der über derartige Dinge spricht, noch im Gemeinbe¬ rate findet. Ich möchte betonen, daß es die heutige großdeutsche — ehemalige deutschnationale Partei — es war, welche seinerzeit die Einführung der Müllabfuhr als ihren größten Erfolg ge¬ priesen hat und wird auch Herr GR. Aigner selbst für diesen Antrag gestimmt haben und heute spricht er das Gegenteil. Ich muß fast zum Schlusse kommen, daß das ganze nichts anderes bedeutet, als der roten Partei des Gemeinderates Schwierigkeiten zu machen und zwar in der Beschaffung der Mittel, um die Müllabfuhr durchführen zu können. Ich frage, wie soll die Gemeinde alle ihre Aufgaben erledigen, wenn ihr hiezu die nötigen Mittel verweigert werden. Ich habe schon vorhin erwähnt, daß wir keine begeisterten Anhänger für den Sektionsantrag sind und nur die Not uns zur Zustimmung zwingt Der Herr GR. Steinbrecher hat ganz recht, wenn er das ganze nichts als einen tatsächlichen Wählerfang hinstellt; der Herr GR. Aigner hat eben nicht die Courage seinen Wah¬ lern die Notwendigkeit dieser Durchführung zu sagen Ob jetzt die Müllabfuhr mit welchen Wägen immer geschieht, bleibt sich¬ in den Kosten gleich, weil eben das teuerste an der Müllabfuhr das Fuhrwerk ist und bleibt. Es kommt heute noch vor, daß manche Leute den Müll auf die Straße werfen, in dieser Hin¬ sicht erfüllt die Polizei ihre Pflicht und wird jede Partei zu¬ recht gewiesen. Ich möchte schon bitten, daß dem Sektionsantrag zugestimmt werde. Wenn man die Mieter schützen will, so sollen die Gewerbetreibenden diese Kosten übernehmen; ich glaube, die Herren wollen aber nur dagegen sprechen, ohne mit einem bestimmten Vorschlag herauszukommen. Damit ist aber dem Gemeinderate nicht gedient, wir aber müssen daran fest¬ halten, daß wir auf die 20 Millionen nicht verzichten können, weil sie unbedingt zur Führung der Gemeindegeschäfte not¬ wendig sind. Herr GR. Schickl erinnert daran, daß er schon in der Sektion die Anregung gegeben habe, die Müllabfuhr im Offert¬ wege zu vergeben; man werde ja sehen, welche Unternehmen sich melden und welche Bedingungen geboten werden. Für jene Straßen, wo die Müllabführ nicht besteht, z. B. in der Aichet¬ gasse, könnten ja Lagerplätze an Stellen des Flußes errichtet werden, wo oft der rasch steigende Wasserstand in kurzer Zeit den Müll abführt. Die Stadtbewohner werden sich sicherlich entschließen, das bisherige System beizubehalten, so daß das Unternehmen, welches die Abfuhr übernimmt, einen Grundstock besitzt. Redner stellt sodann den Antrag, die Müllabfuhr im Offertwege auszuschreiben. Herr GR. Dr. Peyrer erklärt, daß es sich nunmehr um die Frage handelt, müssen wir den Müll abführen oder nicht Die Müllabfuhr ist eine Errungenschaft, die unter gewissen Ver¬ hältnissen zu begrüßen ist, wenn man sich den Luxus leisten kann. Wir sind alle zusammen seit dem letzten Jahre so arm geworden und stecken in einer Situation, daß wir selbst von vielen uns lieb gewordenen Bedürfnissen lassen müssen. Ich halte es verfehlt, aus der Sache ein Politikum zu machen, denn gerade die seinerzeitige deutschnationale Partei hat auch nicht freiwillig sondern über Drängen der militärischen Faktoren den Beschluß auf Einführung der Müllabfuhr fassen müssen. Im übrigen ist der Kern der Bewohnerschaft ein derartiger, daß niemand über den Ausgang der nächsten Wahlen in Steyr im Zweifel sein wird, denn diese entspringen den lokalen Ver¬ hältnissen. Die deutschnation le Partei hat sich damals die bestmöglichste Mühe gegeben, das zu machen, was für die Ge¬ meinde von Vorteil ist. Die Einstellung der Müllabfuhr wäre schließlich nichts so gefährliches, denn es gibt kanm eine Stadt, welche so mit Flüssen gesegnet ist, wie Steyr; auch verschwindet manches in den Kübeln, was anderweitig viel besser verwendet werden könnte. Wenn Sie heute den Antrag des Herrn Ge¬ meinderat Aigner ablehnen, werden Sie die Müllabfuhr später selbst aufgeben müssen Herr Vizebürgermeister Mayrhofer berichtet, daß in der Sektion auch die Frage der Auflassung eingehendst ventiliert wurde, wenn wir von der Auflassung abgegangen sind, so mußte dies in der Erwägung geschehen, daß die Stadt nicht der größten unhygienischen Verunreinigung ausgesetzt wird. Wenn die Gemeinde die heutige Müllabfuhr einstellt, werden die Leute den Mist irgend wohin werfen, die Gemeinde muß ihn erst wieder abführen und die Kosten sind doch wieder hereinzubringen Was die Ausschreibung anbelangt, so muß ich darauf hinweisen, daß heute ein Paar Pferde bei einem Spediteur täglich 56 0000 Kronen kosten und das drei Paar Pferde gebraucht werden. Der Vergebungsweg würde die Sache daher noch mehr verteuern. In dieser schweren Zeit müssen wir alle

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