Gemeinderatsprotokoll vom 28. Oktober 1921

Referent Herr GR. Professor Brand. Der Hotelbesitzer Julius Bauer hat in seinem Hause zwei Lokale, das eine war bisher Speisezimmer, das andere ein Extra¬ zimmer. Das Extrazimmer wurde zu einer Weinstube umge¬ wandelt und dieses ist selbstverständlich der Luxusabgabe ver¬ fallen Gegen diese Besteuerung hat nun Herr Bauer durch seinen Rechtsvertreter Dr. Spängler den Rekurs ergriffen, worin derselbe hinweist, daß seine Hotelgäste mangels anderer verfügbarer Räume die Weinstubenlokale benützen müssen, als Besucher der Weinstube aber nicht in Frage kommen und daher eine Besteuerung des Ausschankes für dieselben ungerecht wäre, Die Sektion hat zwar anerkannt, daß Herr Bauer das Wein¬ stubenlokal für eine seine Hotelgäste braucht, aber es braucht kein Hotelgast bis 11 Uhr nachts zu sitzen. Um aber doch die Verhältnisse zu berücksichtigen, hat die Sektion sich auf den Standpunkt gestellt, daß das Weinstubenlokal bis halb 9 Uhr abends als nicht abgabepflichtig erklärt werde. Der Sektionsantrag lautet daher: Dem Ansuchen wird soweit stattgegeben, daß der Betrieb des Herrn Julius Bauer bis halb 9 Uhr abends als normaler Hotelbetrieb anzusehen ist, ab halb 9 Uhr abends aber steuerpflichtig ist Da das Wort von den Gemeinderäten nicht gewünscht wird, wird über den Sektionsantrag die Abstimmung eingeleitet, welche die Annahme des Sektionsantrages ergibt. 3. Wahl von zwei Gemeinderäten und zwei Stellvertretern in das Stadtplanpreisrichterkollegium. Referent Herr GR Professor Brand erstattet den Wahl¬ vorschlag, und zwar die Herren Vizebürgermeister Mayrhofer und GR. Dr Furrer und die Ersatzmänner die Herren Gemeinde räte Alois Lebeda und Franz Aigner. Angenommen. Zweite Sektion. 5. Stadtkassetagebuchabschluß pro September 1921. Referent Herr Vizebügermeister Nothhaft berichtet über den derzeitigen Stand des Abschlusses pro September, macht auf verschiedene Posten besonders aufmerksam, worauf der Stadtkassetagebuchabschluß vom Gemeinderate zur Kenntnis genommen wird. 6. Beschlußfassung wegen Erhöhung der Fürsorgeabgabe. Der Herr Vorsitzende stellt vor Erstattung des Referates fest, daß 26 Gemeinderatsmitglieder anwesend sind. Der Herr Referent GR Saiber führt sodann aus: Die Erhöhung der Fürsorgeabgabe hat bereits den Gemeinderat in einer Sitzung beschäftigt; die Beschlußfassung wurde jedoch über Er¬ suchen der Oesterreichischen Waffenfabriks=Gesellschaft vertagt, nachdem diese noch vorher mit dem Magistrats=Präsidium ver¬ handeln wollte. Diese Verhandlungen haben auch tatsächlich stattgefunden und sind wie immer, wenn es sich um Leistungen der Oesterreichischen Waffenfabrik handelt, resultatlos verlaufen: die Wortführer derselben sind nämlich von ihrem protzigen, kapitalistischen Standpunkt nicht abzubringen. Es sind diesen Herrschaften immer die Augen größer als der Magen und tun, als ob sie bei ihrer vollen Schüssel verhungern müßten. Nun weiß aber die Gemeinde von einem Tag auf den anderen nicht, woher sie die Mittel für die erhöhten Personalauslagen nehmen soll und sollte man doch meinen, daß den Herren der Oester¬ reichischen Waffenfabrik die schwierige finanzielle Lage der Stadt¬ gemeinde einleuchten soll; statt jeder Initiative für die Gemeinde, bereiten sie aber derselben bei jeder Gelegenheit mit aller Schärfe die größten Schwierigkeiten. Es liegt uns wohl ferne, die goldene Henne umzubringen, wir werden sie sehr zahm halten, nur darf sie auch nicht auf das Eierlegen vergessen. Wir haben uns gestern mit der herrschenden Frage befaßt und es sind sehr scharfe Worte gegen das Unternehmen gefallen Es wurde betont, daß bei jeder Gelegenheit von Verhandlungen die Waffenfabrik kein Interesse den Bedürfnissen der Gemeinde entgegenbringt und auch kein wie immer geartetes Entgegen¬ kommen beweist. Sie verweist uns daher auf die Selbsthilfe und wir müssen aus eigenem trachten, die Unterlagen zu schaffen, die wir zur Deckung der Personalauslagen brauchen. Die erste und zweite Sektion des Gemeinderates schlägt Ihnen vor, die Erhöhung der Fürsorgeabgabe ab 1. Jänner 1922 von ein Prozent auf drei Prozent zu beschließen und ersuche ich, diesen Antrag anzunehmen Der Herr Vorsitzende Bürgermeister Wokral bemerk hiezu, daß es tatsächlich der Waffenfabrik an Entgegenkommen mangle; sie habe erklärt, daß sie absolut nicht imstande ist, irgendwie mehr leisten zu können. Die Waffenfabrik hätte sich jedoch im Zuge der langen Verhandlungen bereit erklärt, allen¬ falls einen Pauschalbetrag zu leisten, welcher aber unserer Auf¬ fassung nach vollständig ungenügend ist und weder dem ent spricht, was die Waffenfabrik bi perzentueller Aufteilung zu leisten hätte, noch vielweniger dem, was die Gemeinde an Mitteln benötigt; es konnte daher auf einen Pauschalbetrag nicht eingegangen werden. Herr GM. Vogl erklärt, daß er als Betriebsrat der Waffensabrik im Interesse der Arbeiterschaft gegen den Sektions¬ antrag Stellung nehmen müßte, wenn es so wäre, wie Herr Generaldirektor Pollak in den Verhandlungen angeführt hat, daß nämlich die Erhöhung der Fürsorgeabgabe so tief ein¬ schneidende Maßnahmen bedingen, daß sie auf die Arbeiterschaft selbst einwirken könnten. Aber nachdem uns weitere Vorlagen bezw. Unterlagen für die Anführungen des Herrn General¬ direktors Pollak fehlen und uns auch jede Kontrolle über die Geschäftsgebarung mangelt, so schließen wir uns nicht aus und treten für eine Erhöhung der Fürsorgeabgabe von ein auf drei Prozent ein. Herr Vizebürgermeister Mayrhofer verweist auf die außerordentliche Zeit, in der wir leben, welche eben ungewöhn¬ liche Verhältnisse mit sich bringt. Während die Einnahmen der Gemeinden wesentlich nicht höher sind als in den Friedens¬ jahren, die die Gemeinde zur Aufrechthaltung ihres Gesamt¬ betriebes benötigt, sind die Ausgaben ins Ungeheuerliche ge¬ stiegen und müssen wir sehr dringliche Durchführungen zurück¬ stellen. Wenn auch heute die Industrie erklärt, die drei- oder auch vierprozentige Fürsorgeabgabe nicht leisten zu können, so wird auch nur anfangs ein Geschrei entstehen, welches in kurzer Zeit wieder verstummt. Es war bisher immer so; es sind noch alle auferlegten Lasten von den Industrien nach kurzer Zeit überwunden worden, ohne daß man eine Gefährdung derselben bemerken konnte. Der Gemeinde bleibt ja gar keine andere Möglichkeit, als sich zur Kreditbeschaffung Einnahmen zu sichern, da die Kassen immer leerer werden; wir müssen mit jeder Politik des Schuldenmachens brechen Ich habe kein Zutrauen wenn sie sagt, ihr Be¬ zu den Aeußerungen der Waffenfabrik, trieb würde dadurch zusammenbrechen; sie ist bisher nicht zu¬ sammengebrochen und wird es auch in Zukunft nicht. Wer sich heute ein Auto leisten kann, kann auch den durch die Fürsorge¬ abgabe erhöhten Zuschlag noch leisten; ein Inländer kann sich ohnedies kein Auto anschaffen und die Ausländer spüren bei dem günstigen Stand ihrer Valuta denselben nicht Redner ersucht, dem Sektionsantrage zuzustimmen. Herr GR Aigner erklärt, gewiß auf den Standpunkt zu stehen, daß die Großindustrie das größte an Abgaben zu leisten haben soll, anders verhalte es sich bei den Kleingewerbe¬ treibenden, welche durch diese Erhöhung der Fürsorgeabgabe so schwer belastet würden, daß diese für sie tatsächlich unerträglich würde; es muß daher gefragt werden, ob denn keine Staffelung dieser Abgabe möglich sei, damit die kleinen Gewerbetreibenden nicht so hart getroffen werden, und ein entsprechendes Verhält¬ nis zwischen Großindustrie und Kleingewerbe hergestellt werde, Zwischenruf des Herrn GR Baumgartner: „Die Fleischhauer sind ja auch Gewerbetreibende“!). Redner erwidert auf den Zwischenruf, daß er auch nur die kleinen Gewerbetreibenden gemeint habe und es doch augenfällig sein müsse, daß diese nicht soviel leisten können, wie große Gewerbetreibende oder wie die Großindustrie. Herr Vorsitzender Bürgermeister Wokral teilt mit, daß ihm Herr GR. Witzany mitgeteilt habe, daß derselbe einen erweiternden Antrag einzubringen gedenke; da Herr GR. Witzany momentan nicht anwesend ist, sei auf die Ausführungen des Herrn GR. Aigner erwidert, daß eine Staffelung untunlich erscheint, weil diese einen Widerspruch mit den seinerzeit mit der Waffenfabrik getroffenen Abmachungen bedeute. Die Waffen¬ fabrik hat bei den Verhandlungen betont, daß sie den Eindruck gewinne, als ob die Gemeinde mit der Fürsorgeabgabe die ganzen Kosten des Gemeindehaushaltes decken wolle; dies ist selbstverständlich ganz verfehlt, wenn man den heutigen Stand der Dinge näher betrachtet. Wir hatten im vergangenen Jahr ein wirksames Budget von 20 Millionen Kronen, auf welchen Betrag ein Teil von 14 Millionen auf die Personallasten fallen, die restlichen sechs Millionen Kronen sind sächliche Ausgaben; seit dieser Zeit haben sich die Verhältnisse ganz bedeutend ver¬ schoben und der Personalaufwand ist von 14 Millionen auf 60 Millionen gestiegen und wird eine Steigerung auf hundert Millionen erfahren, wozu wir vom Bunde nur einen Teil ersetzt bekommen, so daß auch dann noch 50 bis 60 Millionen Kronen an Personallasten verbleiben werden. Es ist nun selbstverständ¬ lich, daß diese Ausgabeposten nur durch Steuerleistungen herein¬ gebracht werden können. Gelegentlich der Präliminarberatungen werden wir gezwungen sein, bedeutend erhöhte Einnahmequellen zu beschließen. Nach einer Mitteilung des Herrn Landeshaupt¬ mann=Stellvertreters Dr. Schlegel befindet sich das Land in einer ähnlichen Lage und werden auch von dieser Seite aus der Bevölkerung leider ganz bedeutende Lasten auferlegt werden müssen. Dabei muß noch in Betracht gezogen werden, daß gerade die Steuerleistung gegenüber anderen Dingen mit Aus¬ nahme der Wohnungszinse weit zurückgeblieben ist und genügt es, den Voranschlag von 1921 zur Hand zu nehmen, um dieses geschilderte Bild zu erhalten Es zeigt die Erfahrung, daß die ganze Herstellung von Fabrikaten oder Erzeugnissen durch die Erhöhung der Abgaben nicht beeinträchtigt wird, zumal es sich in Wirklichkeit nur um eine eineinhalbprozentige Erhöhung handelt. Dies dürfte auch von den kleinen Gewerbetreibenden zu ertragen sein. Herr GR. Prof. Brand erklärt, eigentlich gar nicht die Absicht gehabt zu haben, das Wort zu ergreifen. Ich bin ganz einverstanden, wenn die Waffenfabrik mit einer drei- bis vier¬ prozentigen Fürsorgeabgabe belastet wird, und ist es bedauerlich, daß die Gemeinde nicht schon vor zehn Jahren diese Abgabe eingeführt hat. Hätte man damals diese Abgabe schon eingeführt,

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