Gemeinderatsprotokoll vom 28. Februar 1921

der Vertrag auf Umlagen auf die direkten Steuern bezieht und die Gemeinde in keiner Weise gebunden ist, andere Abgaben, wie solche die Fürsorgeabgabe darstellt, einzuführen Die Waffen¬ fabrik machte uns auf unsere Vorhalte, von dieser Fursorge¬ abgabe nicht abgehen zu können, den Vorschlag, die Fürsorge¬ abgabe dann abzubauen, wenn die Erwerbsteuer eine gewisse Höhe erreicht habe Auf diesen Vorschlag konnten wir selbstver¬ ständlich nicht eingehen, worauf die Waffenfabrik verlangte, daß wir wenigstens eine Erklärung dahin abgeben, daß die Gemeinde nicht die Absicht hat, die größten Lasten auf die Waffenfabrik allein zu legen und diese der Waffenfabrik aufzuerlegenden Lasten möglichst in dem bisherigen Rahmen belassen werden, Wir haben uns jedoch bereit erklärt, loyal zu erklären, daß bei allfälliger Einführung neuer Arten von Abgaben die Waffen¬ fabrik keine wesentliche höhere Belastung erfahren solle, als es dem gegenwärtigen Verhältnisse der Steuerleistung zwischen der Waffenfabrik und den übrigen Steuerträgern erfolgt Wenn es nun im Protokolle heißt, daß durch die Ein¬ führung der Fürforgeabgabe keine wesentliche Mehrleistung er folgen soll, so ist dies wohl eine Erklärung, wozu betont werden muß, daß die Einführung der Abgabe absolut nicht von einer Zustimmung oder Ablehnung der Waffenfabrik abhängig ist; in dieser Hinsicht hat der Gemeinderat vollkommen freie Hand. Hierauf verliest der Herr Referent den Entwurf über das Gesetz zur Einführung der Fürsorgeabgabe und stellt den Antrag: „Der Gemeinderat beschließe die Einführung einer Fürsorge¬ abgabe im Sinne des Gesetzentwurfes. Weiters beantragt der Herr Referent: „Der Gemeinderat beschließe, daß zwischen der Waffenfabrik und der Stadtgeweinde ein Bestandvertrag über die Wohrgebäude auf der hohen Enns¬ leite abgeschlessen werde und zwar auf der Grundlage, daß sich die Waffenfabrik verpflichtet, durch 54 Jahre hindurch jährlich 334.000 K an die Gemeinde zu leisten, daß sie für die Wohn¬ gebaude auf der hohen Ennsleite die gesamten Steuern und Umlagen trägt und auch für die Dauer von 54 Jahren die gesamte Instandhaltung der Wohngebäude übernimmt, ferner, daß die Waffenfabrik sich verpflichtet, das gesamte Erträgnis aus de " Bestandvertrage nach Abzug der Steuern, Umlagen und Instandhaltungskosten an die Gemeinde abzuführen. Hiezu muß bemerkt werden, daß die Objekte auf der Enns¬ leiten durch eine ganze Reihe von Jahren steuerfrei sind In den späteren Jahren werden die Kosten der Instandhaltung allerdings höher sein als das Mietzinserträgnis. Nicht unerwähnt muß bleiben, daß von einzelnen Bewohnern auf der Ennsleite das Verlangen gestellt wurde, der Gemeinde¬ rat möge in den Vertrag mit der Waffenfabrik eine Be¬ stimmung aufnehmen, wemit sich die Waffenfabrik verpflichtet, den in den Wohnhäusern auf der Ennsleite wohnenden, in der Waffenfabrik nicht beschäftigten Parteien oder solchen Parteien, die aus der Waffenfabrik austreten oder entlassen werden, nicht zu kündigen. Dieses Begehren ist seitens der Waffenfabrik auf den heftigsten Widerstand gestoßen; wir hatten empfohlen, daß sich die betroffenen Parteien an den Betriebsrat der Waffenfabrik wenden mögen, der gesetzlich berechtigt ist, das Wohnungsfürsorgewesen zu überwachen und das Einspruchsrecht in dieser Hinsicht besitzt Für den Gemeinderat ist es leider nicht möglich zu erwirken, daß eine solche Bestimmung in den Ver¬ trag mit der Waffenfabrik aufgenommen werde. Ich komme nun zu dem Punkte „Abänderung des Gemeinde¬ ratsbeschlusses vom 29 Dezember 1920 und beantrage: Der Gemeinderat beschließe: Der in der Präliminarsitzung vom 29. Dezember 1920 gefaßte Beschluß die Umlagen auf die direkten Steuern mit 500 Prozent festzusetzen, wird aufgehoben und an dessen Stelle treten nachfolgende Umlagesätze: Umlage auf die Hauszinssteuer 200 Prozent „ „ Renten= und Erwerbsteuer Grundsteuer Das Gemeinderats=Präsidium wird beauftragt, raschestens beim Landtag um die Bewilligung dieser Umlagen einzuschreiten. Anknüpfend daran beantraae ich, daß der Gemeinderat diese Umlagen unter der Voraussetzung beschließt, daß die Waffenfabrik sich verpflichtet, für die Gemeinde aus der Erwerb¬ steuerumlage ihres Unternehmens mindestens 3,000 000 K für das Jahr 1921 zu leisten. Hiezu muß bemerkt werden, daß diese Umlagenprozentsätze nur für das Jahr 1921 gelten. Sollte sich aus der Erwerb¬ steuervorschreibung für die Waffenfabrik eine höhere Summe ergeben, so hat die Waffenfabrik den erhöhten Betrag nachzu¬ zahlen. Die 3,000.000 K sind an den sonstigen Umlagenterminen an die Stadtkasse abzuführen Zum vierten Punkte würde ich beantragen: Daß der Gemeinderat zustimme, daß der am 1 Mai 1913 mit der Waffenfabrik geschlossene Vertrag in der Weise, daß der 8 3. Punkt a), wie er im Uebereinkommen festgelegt erscheint, abge¬ ändert werde; zu b), daß das Einspruchsrecht der Waffenfabrik über Darlehensaufnahmen der Gemeinde aufgehoben werde und die Abänderung e) daß die Waffenfabrik keine Einwendung er¬ hebe, daß die Aufteilung der Erwerbsteuer künftighin gemäß dem Steuergesetze erfolgt, so daß das vor dem Vertrage vom 1. Mai 1913 bestandene Verhäl nis wieder hergestellt werde. Wenn der Gemeinderat diesen Abänderungen zustimmt, so ist von diesem § 3 des Vertrages eigentlich nichts mehr übrig, als daß die Waffenfabrik bezüglich der allgemeinen und besonderen Erwerbsteuer keine Differenzierung zu befürchten hat und der Gemeinderat von der drückendsten Fessel des Vertrages vom 1. Mai 1913 befreit ist. Ich möchte Sie bitten, daß Sie sich bei der Beratung über die Anträge vor Augen halten mögen, in welch schwieriger Lage die Gemeinde die ganze Zeit hindurch gestanden ist und daß das Gesamtergebnis vielleicht kein solches ist, daß wir uns sagen können, wir hätten besondere Ursache, Feste zu feiern. Die Vereinbarungen sind eben auch unter einem Zwange der Not geboren worden und tragen infolgedessen auch diesen Stempel an sich. Nichtsdestoweniger können sich auf der neuen Grundlage die Verhältnisse für die Stadt ruhiger und klarer gestalten, da der Gemeinderat die Möglichkeit besitzt, durch seine nunmehr in dieser Richtung geschaffene freiere Tätigkeit Beschlüsse zu fassen, die klare Verhältnisse ermöglichen, damit wir der Zukunft ruhiger entgegenblicken können. Ich bitte um die An¬ nahme der Anträge Herr Vizebürgermeister Nothhaft führt aus: Ich möchte daran erinnern, daß ich in der Sitzung am 29. Dezember 1920 den Antrag stellte, in letzter Stunde nochmals an die Waffen¬ fabrik heranzutreten, um im gütlichen Uebereinkommen einen Ausweg aus der schwierigen Situation, in die wir durch die gerechtfert gte Stellungnahme der Landeshypothekenanstalt geraten sind, zu finden. Ich fühle mich verpflichtet, auch heute das Wort zu ergreifen. Die heutige Tagung des Gemeinderates dürfte in den Annalen unserer Geschichte jedenfalls zu einer der denk¬ würdigsten sein und streicht in dieser Stunde endlich wieder ein kühlerer Luftzug durch den Saal, in welchem die Atmosphäre schon eine schwüle geworden war. Ist das Resultat unserer Verhandlungen auch gerade nicht das Ideal, so bringt es doch für die Stadt wesentliche Erleichterungen. Die Erfolge lassen sich in vier Punkten gliedern und zwar: 1. In der Wiedergewinnung der Bewegungsfreiheit des Gemeinderat-s, die durch die früheren Bestimmungen des Vertrages äußerst beschränkt war, 2. Erzielung eines günstigen Bestandvertrages mit der Waffenfabrik bezüglich der Wohnobjekte auf der Ennsleite, 3 Günstigerstellung der Umlagenperzente und 4 die Einführung der Fürsorgeabgabe, die uns in die Lage versetzen wird, einen Teil des Defizites abstoßen zu können und in Hinkunft mit ruhigeren Ziffern arbeiten zu können Daß diese Ergebnisse gezeitigt wurden, kann gewiß meinem in der Präliminarsitzung gestellten Antrag zuge¬ schrieben werden. Die Verhandlungen gestalteten sich außer¬ ordentlich schwierig, weil einerseits sich auch die Waffenfabrik als Industriefaktor in Steyr durchringen und anderseits die Gemeinde auch ein Einvernehmen mit demselben zustreben muß. Wir können mit einer gewissen Befriedigung auf das Ergebnis blicken und kann ich Ihnen empfehlen, daß Sie die gestellten Anträge annehmen. Herr GR. Prof Brand frägt, wie die Festsetzung des Zweckes der Fürsorgeabgabe erfolgt Herr Vorsitzender Vizebürgermeister Dedic erklärt, daß dies heute noch schwer zu sagen ist; insbesondere aber sei es klar, daß die Fürsorgeabgabe jenen Zwecke dienen soll, die aus¬ gesprochenen Fürsorgeabsichten gewidmet sind, als das Kranken¬ haus, das Jugendamt, Armenwesen, Wohnungsfürsorge, dann der der Fürsorge für die sanitären Maßnahmen usw. Es dürfte aber nicht gut sein, schon vorher festzulegen, für welche Zwecke die Abgabe verwendet bezw. bestimmt werden soll. Herr GR Witzany frägt Herrn Bürgermeister Wokral, wie im Vertrage die Bestimmung lautet, nach welcher der Ge¬ meinde der Mietzinsertrag zur Verfügung zu stellen ist und dabei die Waffenfabrik für die Instandhaltung sorgt. Die teuerste Instandhaltung bedeutet die Instandhaltung der Straßenzüge dann der Schaffung der Wasserleitung und Kanalisation, ferner des elektrischen Lichtes; in welcher Weise wurden diese Lasten im Vertrage berücksichtigt? Wenn die Gemeinde die Kosten der angeführten Einrich¬ tungen zu tragen hat, dann leistet sie mindestens jährlich vier¬ mal so viel als die Waffenfabrik, so daß wir she wenig von der ganzen Geschichte eigentlich haben. Herr GR. Schickl sagt, daß er sich über die Fürsorge¬ abgabe nicht klar sei und wäre es besser gewesen, wenn alle Gemeinderäte vorerst Gelegenheit gehabt hätten, den Entwurf durchzustudieren. Man wisse nicht, welche Betriebe für die Ab¬ gabe in Betracht kommen Wie soll zum Beispiel ein Gewerbe¬ treibender diese Abgabe von den Löhnen in Abzug bringen. Der Angestellte zahlt dem Gewerbetreibenden diese Abgabe sicher nicht. Dies trifft heute schon beim Krankengeld zu Weiters ist eine 250prozentige Umlage auf die Erwerbsteuer viel zu hoch und bitte ich eine Abstufung zu machen. Das Gewerbe ist heute in Steyr nicht mehr so glänzend, wie es einmal bestellt war und werden die Gewerbetreibenden bei den heutigen Material¬ preisen nicht mehr langer existieren können Herr GR. Kletzmayr bemerkt hiezu, daß aus dem Berichte des Herrn Bürgermeisters schon zu entnehmen war, daß dieses eine Prozent vom Arbeitgeber zu entrichten ist Ich bin sonst kein Freund von Steuererhöhungen; hier kommt aber speziell der Arbeitgeber in Betracht und bin der Meinung, daß man, nachdem es sich um Fürsorgezwecke handelt, dieser Abgabe auch zustimmen kann. Der Arbeitgeber wird diese Abgabe schon einkalkulieren und damit eine Deckung sinden Ich teile die Be¬ denken des Herrn GR. Schickl nicht und glaube, daß wir die Fürsorgeabgabe nur mit Freude begrüßen können. Herr GR Dr. Furrer verweist auf seinen Antrag in der Sitzung vom 18. Februar, betreffend die Tuberkulosenfürsorge und eisucht auch diese bei der Abgabe in Berücksichtigung zu ziehen, damit die Gemeinde endlich einmal grundsätzlich über diese Frage hinauskomme.

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