Gemeinderatsprotokoll vom 27. Dezember 1919

Herr G.=R. Prof. Brand ersucht, dem Wunsche der Bevölkerung auf Produktivmachung des großen Exerzierplatzes hinzuwirken, ehestens nachzukommen, was gewiß dem Wohle der ganzen Stadt dienlich wäre. Bezüglich der Ausgestaltung des krankenhauses möge ferner der Gemeinderat darau gehen, die chon zu Beginn des Jahres beschlossenen Durchführungen, als Bau eines Wirtschaftsgebäudes und Maschinenhauses so rasch als möglich in Angriff zu nehmen Herr Vizebürgermeister Mayrhofer erwidert, daß die damals zur Ausgestaltung des Krankenhauses gefaßten Be¬ chlüsse noch zu Recht bestehen, es haben sich aber leider durch die derzeitigen Verhältnisse bedingte unüberwindliche Hinderniss in den Weg gestellt; es wird jedoch der Sache energisch an den Leib gerückt, sobald einigermaßen die Verhältnisse sich bessern Herr Referent G.=R Witzany bringt sodann den Be¬ deckungsantrag zur Verlesung, welcher lautet: Zur Bedeckung dieses Abganges werden beantragt: Zuschläge zu den direkten Steuern von einem Steuerbetrage von 631.000 K 631.000 K im Ausmaße von 100 % 2. Umlagen auf den richtiggestellten Mietzins, und zwar bis 200 K mit 4%, bis 400 K mit 7%, bis 1000 K mit 10%, bis 2000 K mit 20 %, bis 3000 K mit 30 %, bis 4000 K mit 40% 140.000 „ und über 4000 K mit 45 * 0 Bier mit auf Verbrauchsumlage 3. 532.800 4 K vom Hektoliter Verbrauchsumlage auf gebrannte zeistige Flüssigkeiten mit 40 K 6.000 „ vom Hektoliter Verzehrungssteuerzuschläge auf Wein, Obstmost und Fleisch mit 30% von dem Verzehrungssteuerbetrage der hiesigen Wirte und Fleischer im Ab¬ 6.750 ndungswege 30.000 6. Wertzuwachssteuer „ „ 1. Jänner 1920 ist von allen Wirten und 7. Ab edem Gast, der über Nacht bleibt, zu den Steuern zu¬ Kosten der Wohnung 20% zuschlagen und der Gemeindekasse abzuführen. 1346.50 K Zusammen 4,895 770 Gegenüber dem zu bedeckenden Erfordernis per ein Ueberschuß (pro 1919) bezw. ein Abgang (pro 1920) von 3,549 220 K Weiters wird beantragt: Zur Deckung des noch unbe¬ deckten Abganges wird im Jahre 1920 der allfällig notwendig werdende Bedarf durch eine Anleihe gedeckt. Herr G.=R. Dr. Peyrer=Angermann: Ich habe namens der Minorität die Erklärung abzugeben, daß wir uns der Abstimmung über das Budget enthalten. Ich verkenne nicht die Schwierigkeiten, mit welchen die Majorität zu kämpfen hat, ich anerkenne auch, daß die Persönlichkeiten der herrschenden Partei vom besten Willen beseelt sind, aber wir müssen grund¬ ätzlich gegen die Klassenkampfpolitik derselben Stellung nehmen, die wir wiederholt haben fühlen müssen. Wenn man den Be¬ deckungsantrag ansieht, so sieht man, daß alle Bedeckungssummen mit Ausnahme der Bierauflage von dem verlästerten Bürger zu ahlen sein werden; ich will hier nur von dem Kleinbürger prechen, der heute im schweren Existenzkampfe steht. Ich er¬ innere nur an das Vorgehen gegen die Geschäftsleute, die sich gegen die Brotumlage geäußert haben, dann an die Soziali¬ sierungsaffäre Reder, und muß heute meinem Befremden Aus¬ druck geben, daß hier ein ungesetzlicher Standpunkt eingenommen wurde. Die Sozialisierung konnte nämlich mangels entsprechender Gesetze gar nicht durchgeführt werden. Das hätte man schon im August wissen können, daß von einem Bestande eines So¬ ialisierungsgesetzes noch keine Rede ist. Ein weiterer Beweit ir den Klassenkampfstandpunkt ihrer Partei ist ihr Verhalten n Sachen des herrschaftlichen Grundstreifens. Die Herrschaft hat diesen Grund unentgeltlich der Gemeinde zur Verfügung gestellt. Trotzdem hat Herr Bürgermeister, wie im „Steyrer Tagblatt“ zu lesen war, erklärt, man werde gesetzliche Mittel n Anwendung bringen, um den Grund zu enteignen. Man kann aber von der Herrschaft doch nicht mehr verlangen, als den Grund unentgeltlich der Gemeinde zur Verfügung zu stellen und sind die im Tagblatt lesbaren Worte von der Anwendung geeigneter Mittel zur Enteignung unverständlich. Das ganze Bild des Voranschlages ist ein trostloses und wird die Be¬ völkerung fragen, was hat die Gemeinde um den Abgang von vier Millionen wirklich geleistet? Für das Spital und für die Schulen wurden verschwindende Beträge ausgeworfen, dagegen machen Löhne und Gehälter Millionen aus. Die Bevölkerung verlangt, daß haushälterisch gearbeitet werde, aber statt Brof ibt man ihr Schlittschuhe. (Gegenrufe bei der Majorität.) Es kommen fort und fort Erlässe und Verordnungen aber keine Hilfe. Ich bitte, arbeiten Sie weniger mit Prinzipien, dann sind wir gerne bereit, mit Ihnen durch Dick und Dünn zu gehen. Sie verlangen, daß wir mit Ihnen arbeiten, aber stoßen 9 Sie uns nicht vor den Kopf, dann können wir mit Ihnen ar¬ beiten. Wir haben hier einen sehr tüchtigen Baurat, aber es ehört ein zweiter her, der ihn kontrolliert, ein tüchtiger Bau¬ ater, der Maß zu halten weiß. Man ist voller Pläne, es wird iel gebaut, es kostet aber auch sehr viel Geld. Ich verweise nur auf das Straßenwesen. Sie waren zu lange eine Partei der Opposition und es geschehen nun, da sie selbst arbeiten müssen große Schnitzer. Es möge ferner von Ihnen jeder Angriff au das Bürgertum unterlassen werden und es muß mit ängstlicher Sparsamkeit umgegangen werden. Es ist gewiß schön, sich ein Programm zu machen; bei näherer Hinsicht stellt sich in der Praxis jedoch die Undurchführbarkeit desselben heraus. (Die Ausführungen wurden mehrmals durch Zwischenrufe unter rochen. Herr Bürgermeister Wokral übergibt den Vorsitz dem Herrn Vizebürgermeister Dedic und führt dann aus: Zu den Ausführungen des Herrn Vorredners möchte ich folgendes sagen und vielleicht dort anfangen, wo der Herr Vor¬ edner aufgehört hat, nämlich beim Straßenwesen, und dabei etonen, daß dies leicht erklärlich ist, wenn in Bezug auf Straßenwesen keine Aenderung bisher eingetreten ist. Pflaster¬ steine sind nicht zu haben, oder zu einem Preis, der einfach unerschwinglich ist. Bedauerlich ist nur, daß man früher ver¬ äumt hat, die Straßen entsprechend zu bauen; man hat an der Oberschichte gepflastert und keinen Grund für die Pflasterung geschaffen. Die Folge davon ist, daß die Straßenpflasterungen nicht Stand halten können und infolgedessen bei der schweren Be¬ astung einsinken. Wenn wir die Pflasterungen der Straßen noch nicht durchgeführt haben, so ist es aus dem Grunde ge chehen, da uns beispielsweise heute die Pflasterung der Pfarr¬ jasse allein soviel kosten würde, als die Kosten der Pflasterung aller Straßen, die im seinerzeitigen Antrage vorgesehen waren. Nun komme ich auf die anderen Ausführungen des Herrn Vor¬ redners zurück, in welcher gesagt wird, daß wir die Minderheit vor den Kopf stoßen; es muß dies auf eine irrtümliche Auf¬ fassung beruhen. Das Gegenteil hat sich im Gemeinderate selbst praktisch erwiesen, nachdem die meisten Beschlüsse des Gemeinde¬ rates nahezu einstimmig gefaßt wurden, und wäre dort Ge¬ egenheit gewesen, daß von der Minderheit Gegenanträge ein¬ gebracht worden wären. Dies ist aber nicht geschehen; infolge¬ dessen trifft diese Kritik nicht zu und ist daneben gegangen, weil es sich erwiesen hat, daß wir die ganze Zeit hindurch ein¬ ernehmlich gearbeitet haben, gemeinsam zum Wohle der Stadt. Wenn gesagt wird, daß wir nichts geleistet haben, so möchte ich fragen, was konnte in einem Jahre ständiger Umwälzungen geleistet werden? Wir haben, als wir hier einzogen, ein Wirtschaft übernommen, die alles zu wünschen übrig ließ. Ich will nur daran erinnern, wie es war, als die deutschnationale Partei seinerzeit hier einzog. Sie hat den Kopf voll Pläne ge habt. Wir hatten Besprechungen miteinander und wollten uns auf ein gemeinsames Programm einigen. Aber kaum ein Monat war vergangen und die ganze Begeisterung war ver¬ logen. Es ist alles beim alten geblieben und hat man nicht inmal für die nächste Woche vorgesorgt. Zu viel ist versäumt wvorden und jetzt drängt alles. Wie lange war doch der Bürger hulplan fertig und nichts wurde gemacht. Weit über ein Jahrzehnt hat man erklärt, daß die Fachschule umgestaltet verden muß und dann wurde wieder auf später vertröstet. Man hat einfach nichts gemacht in punkto Schulwesen. Mehr chlecht als recht ist es gelungen, Abhilfe zu schaffen. Wenn es uch nur durch unsere Tatkraft geschehen ist, so möchte ich rotzdem nicht unterlassen, darauf hinzuweisen, daß die Errichtung der Schule auf der Ennsleite einstimmig beschlossen wurde. Die Pläne mit dem Lyzeum wurden nicht verwirklicht, die Handels¬ schule angeflickt an die Realschule, was nun mit großen Kosten eändert werden muß Wie lange wird schon geklagt über die Wasserversorgung. Jahrelang hat man nach Quellen gesucht ber Wasser haben wir keines bekommen. Wir haben nun anz in der Nähe geeignetes Wasser gefunden und wir werder n Bälde dem Gemeinderat geeignete Vorschläge vorlegen. Und hann werden wir Wasser nicht nur in Versprechungen, sondern in den Häusern haben. Natürlich wird es einige Zeit brauchen, denn von der rüheren Gemeindeverwiltung wurde hiefür nicht die geringste Unterlage hinterlassen. Es fehlt aber auch an finanziellen Mitteln. Es wurde, um den alten Plener zu zitieren, einfach fortgewurstelt. Eine Gemeindeverwaltung muß doch aber auch vorschauend arbeiten. Und da möchte ich auf etwas verweisen, auf das wir stolz sind, wenn uns auch Lasten daraus erwachsen die Wohnungsfürsorge. Wir haben dem Grundsatz zum Durch¬ bruch verholfen, daß auch die Gemeinde um die Wohnungs¬ ürsorge sich kümmern muß. Hätte die frühere Gemeinde erwaltung Vorarbeiten getroffen, dann hätten wir es leichter gehabt. So war nichts da und alles, was gemacht wurde mußten wir aus Eigenem schaffen. Wenn angeführt wird, daß wir der Bevölkerung statt Brot Schlittschuhe geben, so möchte ich fragen, was denn die frühere Gemeindeverwaltung für die Jugendfürsorge getan hat. Man hat sich nicht einmal um die Errichtung von Kinderhorten gekümmert. Wenn man nach¬ blättert in den Berichten der früheren Gemeindeverwaltung, so ndet man gar nichts, worüber man Befriedigung empfinden önnte (Zwischenruf: „Krankenhaus!“) Das Krankenhaus ist erst zebaut worden, nachdem ganz bedeutende Demonstrationen statt¬ gefunden haben. Was mußte in der Presse geschrieben und was alles unternommen werden, damit mit dem Bau überhaupt

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