Gemeinderatsprotokoll vom 27. Dezember 1919

10 begonnen wurde! Auf die Mängel des Baues hat man nicht geachtet und hat man nicht geachtet auf die Ansprüche, die an einen solchen Bau zu stellen sind. Und nun haben wir einen ganz hübschen Bau, aber dieser zeigt solche Mängel, daß die notwendigen Reparaturen kostspieliger kommen als früher der ganze Bau. Dennoch will ich Niemandem einen Stein nach werfen, vielleicht haben Sie geglaubt, daß es Sie nichts angeht. Wir haben heute eben ganz andere Auffassungen, und nicht nur n unserer Partei. Wenn gesagt wird, daß nichts geleistet wurde, o möchte ich folgendes erklären: Viel konnte ja nicht geleistet werden; denn wir müssen ja erst die Grundlage schaffen, auf der weiter gebaut werden soll. Aber Sie können überzeugt sein, daß, wenn es uns möglich ist, hier im nächsten Jahre zusammen zukommen, da schon manches geschaffen sein wird. Wir werden auf diesen Grundlagen in ein, zwei Jahren mehr machen, als die frühere Majorität in zwei Jahrzehnten gemacht hat. Und das deshalb, weil wir uns immer wieder bemühen, recht viele Menschen zur Mitarbeit heranzuziehen. Denn es ist sicher, daß man nicht Fachmensch zu sein braucht, um einen guten Ge¬ danken haben zu können und deshalb, weil wir wertvolle An¬ regungen gerne übernehmen und sie vereinen mit fachmännischer Arbeit, glauben wir, mehr leisten zu können, als früher ge¬ leistet wurde Zu solchen Dingen ist freilich ein gewisser Idealismus notwendig, weil die Schwierigkeiten, die sich uns entgegenstellen, unvergleichlich größer sind als ehemals. Der Vorredner hat auch meine angeblichen Bemerkungen bezüglich des Lambergschen Grundstreifens kritisiert. Hier muß ein Mißverständnis obwalten Vor längerer Zeit wurde die Zusicherung gemacht, daß die Herrschaft diesen Grund für Wohnungsfürsorgezwecke zur Ver¬ fügung stellen wird. Die in Rede stehende Bemerkung meiner seits bezog sich auch gar nicht auf den Lambergschen Grund, sondern auf jenen Teil der Debatte, der davon handelte, daß die Be¬ merkung nicht genug Grund besitze und daß daher Grund er¬ vorben werden müsse. Es wurde darauf hingewiesen, daß bei Grundkäufen der Gemeinde die Spekulation sofort einsetzen verde und auf diese Eventualität bezog sich meine Bemerkung. Wenn es in der Zeitung anders gestanden ist, so wurde der Bericht entstellt wiedergegeben. Bezüglich des Falles Reder ist die Sache ebenfalls anders. Die Eingabe an das Staatsamt wurde gemacht, weil man wußte, daß die Vorlage in den Ausschüssen bereits in Verhandlung stand und man daher voraussetzen mußte, daß bald Bescheid kommen werde. Eine Erklärung, daß der Fall erledigt ist, wurde nicht abgegeben. Ich habe erklärt, daß Reder den Betrieb wieder ausgenommen hat, daß aber, sollte er ihn wieder einstellen, wir dann zu Zwangs¬ maßnahmen schreiten werden. Nun noch einige Worte bezüglich der freien Meinungs äußerung: Es ist ein Unterschied zwischen der Kritik einer Ge¬ meindeverwaltung und zwischen jenem Vorgehen, das seinerzeit geübt wurde. Es ist keine Art, den Leuten zu sagen: „Gehet hin zur Gemeinde und holt Euch die Sachen!“ Das lag gewiß licht im Interesse des Gewerbestandes, denn woyin sollte es ühren, wenn ich den Leuten, die zu mir gekommen sind, gesagt hätte, sie sollten zu den Geschäftsleuten gehen; oder wenn ich von der Landesregierung etwas nicht erhalte, die Leute etwa an diese verweisen wollte. Ich glaube, daß wir alle verpflichtet ind, in diesen schweren Zeiten beruhigend und ausgleichend einzuwirken, das, was sie im zitierten Falle getan haben, wurde im alten Staate als Aufreizung gegen die Behörde geahndet. Wir wollen die freie Meinungsäußerung haben, aber man soll ie nicht dazu benützen, der Gemeindeverwaltung die Arbeit zu erschweren. Das kann man verlangen, da auf der anderen Seite die Gemeinde verpflichtet ist, die Personen und das Eigentum der Gewerbetreibenden zu schützen. Das Gegenteil reizt auf und wenn dann im Gefolge von Demonstrationen irgend welche lichtscheue Elemente stehlen und Rache üben, dann fällt es schwer zu sagen: Ihr dürft nichts angreifen! Es ist daher im All gemeininteresse gelegen, die Gemeinde in ihren Bestrebungen zu unterstützen. Der Vorredner hat uns auch ausgestellt, daß wir am Klassenkampfstandpunkt unentwegt festhalten, das ist richtig. Denn wir wollen alle jene, die arbeiten, aufs kräftigste unterstützen gegen die Nutznießer ihrer Arbeit. Aber wir wollen keinen Kampf der Arbeiter gegen die Gewerbetreibenden. Denn das wäre ja nicht Klassenkampf, sondern Ständekampf. Wir, die wir die Interessen aller arbeitenden Menschen verfechten gegen die Nutznießer des Mehrwertes, wir schützen die ehrlich arbeitenden Gewerbetreibenden ebenso wie die übrigen Arbeiter. Daran werden wir unentwegt festhalten und wenn uns von der Gegen eite ein Vorwurf daraus gemacht wird, so werten wir das als ein ehrendes Zeugnis und als einen Beweis dafür, daß wir von unserem rechten Weg nicht abgegangen sind. Ich würde es bedauern, wenn Sie mit uns so zufrieden wären, daß Sie an ns gar nichts auszusetzen hätten. Vorredner hat auch davon gesprochen, daß wir nicht experimentieren sollen. Es wäre ein Verbrechen, eine wohlhabende Gemeinde zugrunde zu richten Wir wollen aus ihr mit Ihrer Hilfe eine moderne Stadt nachen. Dazu sind aber Mittel notwendig, und die müssen wir nehmen, wo sie zu finden sind. Es muß immer wieder betont werden, daß die alte Gemeindeverwaltung eben nichts gemacht hat. Wie ist es denn in den letzten Jahren gewesen? Dei Krieg ist hereingebrochen, alle Gemeinden sind in Schulden ge¬ raten, weil ihnen durch ihn Aufgaben erwachsen sind, mit denen ie vorher nichts tun hatten. Steyr brachte der Krieg eine lötzliche Zunahme seiner Einwohnerschaft um 15.00) Menschen Schon damals traten große Aufgaben an die Gemeinde heran, welche aber ignoriert wurden. Wenn in den letzten Jahren die Gemeinde ohne Defizit gearbeitet hat, so ist das kein Verdienst iner besonders tüchtigen Verwaltung. Dies ist viel mehr dem Imstande zuzuschreiben, daß die erwähnten Aufgaben nicht elöst wurden und daß die zufällige Existenz der Waffenfabrik n Steyr, eines Unternehmens, das Millionengewinne gemacht hat, der Stadt auch Einnahmen im Betrage von Millionen er¬ möglicht hat. Diese Tatsache darf man nicht verschleiern; es ist nicht fair, Dinge für sich in Anspruch zu nehmen, die man infach nicht in Anspruch nehmen kann. Nun ist der Krieg zu Ende und den Steuereinnahmen während desselben, die zwei bis drei Millionen betrugen, stehen heute solche von nur 500.000 K gegenüber. War früher die Budgetaufstellung ein kinderspiel, so ist sie heute furchtbar schwer. In dem vor liegenden Budget sind Aufgaben enthalten, die eigentlich frühere ätten leisten sollen, und die Vorarbeiten für das kommende Jahr. Ich möchte an Sie appellieren, für den Voranschlag zu stimmen. Wenn die Herren glauben, aus Parteigrundsätzen nicht immen zu sollen, so werde ich es Ihnen nicht nachtragen. Ich richte aber den Appell an Sie, in Zukunft einträchtig mit uns zu arbeiten. Wir sind uns der Verantwortung, die wir über¬ nommen haben, voll und klar bewußt. Es wäre auch möglich jewesen, einen günstigeren Voranschlag zu bringen, aber wir vollen ehrlich sein mit uns und den Andern. Wir sehen den Zuständen klar ins Auge und wollen einhalten, was wir uns zu erfüllen vorgenommen haben. Und dann können wir auch ine gute Wirtschaft führen. (Beifall bei der Majorität.) Nachdem Vizebürgermeister Nothhaft für seine Person ine Neutralitätserklärung abgegeben und erklärt hatte, daß er ür die Interessen der Allgemeinheit, also nicht nur für die Bürgerschaft, sondern auch für die Arbeiterschaft Steyrs wirken wolle, kommt zu Worte Vizebürgermeister Mayrhofer Dr. Peyrer=Angermanu hat gesagt, daß wir den Kindern statt Brot Schlittschuhe böten. Abgesehen davon, daß er dafür das Rezept zu geben schuldig geblieben ist, wie man sofort mehr Brot herbeischaffen kann, birgt dieser Vorwurf auch eine arge Unrichtigkeit in sich. Denn die Schlittschuhe für die Kinder gibt der Verein für Jugendspiele und Körperpflege. Wir haben dazu bloß das Geld vorgestreckt. Dieser Vorwurf ist daher vollkommen unangebracht. Der Vorredner wirft uns auch Verschwendung vor, trotzdem er sehr genau weiß, daß heute alles um ein Vielfaches teurer ist. Wir müssen die Angestellten nständig zahlen, wir können sie doch nicht betteln schicken. Die rühere Gemeinde hat um fünf Millionen Kriegsanleihe ge¬ zeichnet. Ich mache ihr daraus keinen Vorwurf, aber dann oll man bei uns nicht von Verschwendung sprechen. Ich ver¬ wveise ferner auf die unglückliche Spekulation mit dem Kranken¬ haus, dessen verfehlte Anlage der Gemeinde nun Tausend kostet. Und nun haben die Herren so viel auszusetzen, weil inser Baurat sich ein bischen rührt. Wir wollen Licht und Luft in Steyr und die Sünden gutmachen, die das früher reisenhafte System verschuldet hat. G.=R. Bachmayr hat in den Ausschüssen für alles gestimmt und nun wissen die Herren nicht jenug Ausstellungen zu machen. Ich muß auch zurückweisen, aß man sagt, die Gewerbetreibenden und Geschäftsleute zahlen die Steuern. Ja, wer setzt sie denn dazu in den Stand? Doch nur die Arbeiter! Es ist unrecht, wenn man einen Stand so ervorhebt, da doch in der Wirtschaft einer vom andern ab hängt. Einer ist auf den andern angewiesen. Dafür müssen ie Gelder auch zum Wohle der Allgemeinheit verwendet werden. Nachdem G.=R. Brand für die christlichsoziale Fraktion erklärt hatte, daß diese sich ebenfalls der Abstimmung enthalten wolle, im übrigen aber bereit sei, wie bisher weiter mit der Mehr heit arbeiten zu wollen, hält G.=R. Witzany das Schlußwort, indem er noch einmal die in seinem Referate hervorgehobenen Gründe zur Annahme des Voranschlages kurz rekapituliert, diesen der Annahme durch den Gemeinderat empfiehlt und mit den Ausblick auf eine schönere Zukunft unserer Stadt chließt Herr Vorsitzender Vizebürgermeister Dedic leitet sohin ie Abstimmung über die im Voranschlage in den Kapiteln „Er¬ ordernisse und Bedeckung" Rubriken I—XII vorgeschlagenen Insätze ein, welche vom Gemeinderate mit Mehrheit ange¬ nommen werden. Hierauf leitet der Herr Vorsitzende über die Be deckungsanträge die Abstimmung ein und werden diese mit der rforderlichen Zweidrittelmehrheit vom Gemeinderate ange¬ nommen Ebenso wird dem Antrage des Herrn G.=R Vogl, be¬ reffend die Patronatsrechte der Gemeinde auf die Vorstadt¬ farrkirche zugestimmt Schließlich stimmt auch der Gemeinderat dem Antrage es Referenten, den Abgang durch ein im Jahr 1920 nach Be¬ darf aufzunehmendes Anlehen zu decken, mit Zweidrittel¬ zu mehrheit Hierauf wird in die Beratung des Voranschlages für das Irmeninstut, milder Versorgungsfond, Stiftungen, Armenhaus¬ aufond, Armenverpflegsfond, Oeffentliches Krankenhaus, 10=Mil¬ lionen=Anlehen, den laufenden Ausgaben eingetreten, welche Posten ohne Abänderungsanträge nach Vortrag des Herrn Referenten angenommen werden.

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