Ratsprotokoll vom 21. Juli 1916

ür Wien gesorgt werden muß. Wir hören da Ziffern; es heißt, nach Wien kommen, sagen wir, beiläufig täglich z. B 500.000 Eier. Diese Zisser ist eine statistische Ziffer, welche ganz unrichtig ist. Denn nach Wien kommt täglich eine vielfache Menge hievon. Aber bei der Verzehrungssteuerlinie wird das nicht angegeben. Gut, die Händler bringen vielleicht z. B 500.000 Stück Eier pro Tag nach Wien Aber eine Unzahl von Wienern kommt nach Oberösterreich und diese Wiener nehmen uns Butter und Eier weg. Bis zum Inn hinauf, bis Braunau und Schärding, bis in das ober Mühltal und nach Grieskirchen, Wolfern, Gleink kommen sit und schleppen Butter und Eier fort. Auf der Bahn können Sie Folgendes erleben, meine Herren! Jemand steigt ein und legt seinen Rucksack sehr vorsichtig ab und ersucht, ja nicht daran nzustoßen. Warum diese Besorgtheit? Weil im Rucksack Eier und Butter darinnen sind. Viele von diesen Wienern haben reie Fahrt, den anderen kommen die Fahrtauslagen reichlich herein und so werden tausende von Eiern und viele hunderte ilo Butter Woche für Woche nach Wien fortgeschleppt. Diese Zahl wird aber ziffermäßig nicht aufgewiesen. Dagegen ist schwer anzukämpfen. Dazu kommt noch, daß diese reisenden Wiener den Bauern beim Abkaufen von Butter und Eiern Ueberzahlungen leisten und ihnen oder der Bäuerin noch beson dere Gefälligkeiten erweisen; sie bringen ihnen Zucker, Kaffee, Tabak, ab und zu ein Stück feine Mehlspeisen, Stoffe usw. mit. Auf diese Art gehen eben Unmengen von Eiern und Butter fort. Wie ganz anders sehen da die Verhältnisse in Steyr aus! Bei uns gibt es ein lebensgefährliches Gedränge bei der Aus¬ gabe der Zettel, auf Grund welcher dann Butter und Eier er¬ ältlich sind. Dem soll und muß abgeholfen werden! Dermalen ist Steyr für den Staat sehr wichtig, sicher wichtiger als Linz und andere Städte. Denn wenn heute ein Betrieb in Steyr in Stockung käme, so würde das schwere Folgen für den Staat haben Dann haben wir auch mit ganz anderen Verhältnissen zu rechnen. Steyr hat eine so große Zahl von Arbeitern und Schwerarbeitern, welche Linz in dem Verhältnisse nicht hat. Da¬ gegen hat Linz viel mehr wohlhabende Leute, welche den ganzen Tag zur Lebensmittelbeschaffung Zeit haben, während unsere Arbeiter, Gewerbetreibenden und Beamten nicht den ganzen Tag Zeit haben, sich die Lebensmittel zu besorgen Ich möchte auch noch Folgendes sagen, was gewiß auch interessant ist. Bei unserer Landwirtschaft wurde bisher viel zu wenig Gewicht auf die Hebung der Produktion gelegt. Während in Deutschland z. B. auf 1 ha Weizenboden 20 g erzeugt werder und wachsen, werden bei uns nur 13 g, in Ungarn nur 12g erzeugt. Aehnlich steht es mit dem Roggen. In Deutschlank verden auf 1 ha Roggenboden 17 g, in Oesterreich nur 13 hervorgebracht. An Kartoffeln erzeugt Deutschland die fünffache Menge: 500 Millionen Meterzentner jährlich Dabei wirkte bei uns die Zollpolitik immer schwerer chädigend. Während bis 1878 für das Getreide Zollfreiheit be¬ stand, ist der Zoll von K 1·20 im Jahre 1882 auf K 3·60 im Jahre 1887 gestiegen und beträgt im Jahre 1906 K 6·30, was eine große Teuerung bedeutet. Dabei ist die Zunahme der Be¬ völkerung eine sehr bedeutende; von einer Zunahme der Erzeu¬ gung an Getreide ist aber keine Rede, die geht in Oesterreich fast gleichmäßig fort, eher zurück. Dadurch sinkt also die Ge¬ treidemenge pro Kopf von Jahr zu Jahr fortwährend Die Herren wird es auch interessieren, bezüglich des Vieh tandes Ziffern zu hören: Der Gesamtrindviehstand in Oesterreich betrug im Jahre 1900 9,507.000 Stück, im Jahre 1910 9,160.000 Stück, unser Rindviehstand ist also, statt sich zu erhöhen, in 10 Jahren um 347.000 Stück zurückgegangen. Diese 347.000 Stück gehen uns etzt ab. Der Viehstand, der vor dem Kriege schon geringer war, vird jetzt während des Krieges durch die in Aussicht genommene übermäßige Anforderung von Schlachtvieh für Militärzwecke in Oberösterreich noch um ein bedeutendes reduziert; und so können sich die Herren denken, daß wir auch neuerliche bedeutende Fleisch preissteigerungen infolge Viehmangels zu gewärtigen haben. Ich glaube, daß wir in die in Aussicht genommene Petition auch einen Passus in der Richtung aufnehmen sollen, daß in Hinkunft einer vermehrten und intensiveren Produktion, insbe¬ sondere an Getreide und Vieh in Oesterreich mehr Aufmerksam¬ keit als bisher zugewendet und die gegenständlichen Subventionen auch demgemäß verwendet werden mögen. Wir wollen auch in Oesterreich zu einer Produktion und zu einem Ertrag kommen, wie ihn das Deutsche Reich schon eit langer Zeit hat. Die Produktion soll durch Verwendung moderner Ackergeräte, von künstlichen Düngemitteln, durch inten¬ ivere Arbeitsleistung und durch eine bessere Bearbeitung und llusnützung des Bodens überhaupt erhöht werden. Die Lebensmittelfrage erscheint demnach, meine Herren, als eine sehr schwierige, insbesondere für Steyr. Die Stadt¬ gemeindevorstehung mit dem Bürgermeister und dem Stadtrat hat sich bemüht, da und dort größere Mengen von Lebensmitteln zu erhalten, aber auf diese unregelmäßige und meist nicht aus reichende Versorgung der Stadt, wobei vielfach das Hereinbringen der schon sichergestellten Lebensmittel aus Verkehrsschwierigkeiten nicht leicht oder gar nicht möglich war, kann man sich in dieser immer schwerer werdenden Zeit nicht verlassen. Wir müssen doch wissen, woher wir die Lebensmittel bestimmt bekommen! Genar o wie es Linz schon vor Monaten zu erreichen verstanden hat. daß die Gemeinden des politischen Bezirkes Linz=Land für Linz zu liefern haben, müssen wir es zu erreichen trachten, daß die politischen Bezirke Steyr=Land und wenn nötig auch Kirchdorf ausschließlich für die Stadt Steyr Butter, Milch und Eier zu liefern haben. Wenn das nicht geschieht, so sehen wir keine besserung der leidigen Butter=, Milch= und Eierfrage, sonder ine immer drohendere Gefahr für die Versorgung unserer so ungünstig gelegenen Stadt. Die Herren werden mir gewiß zu¬ stimmen, daß wir auch diese unsere Forderung in die Petitionen an die Regierung aufnehmen und sie durchzusetzen trachten, um nach dieser Richtung hin unsere schon sehr verärgerte Bevölke¬ ung u beruhigen Von Bedeutung für uns sind Bundesgenossen in der Ernährungsfrage. Einer der wichtigsten darunter ist die Waffen¬ fabriksleitung. Freilich muß dafür gesorgt werden, daß nicht eine Grenzlinie zwischen den Waffenfabriksbediensteten und der übrigen Bevölkerung Steyrs bei der Lebensmittelbeschaffung ge¬ ogen werde. Das wäre für einen großen Teil unserer Bevölke¬ rung von gefährlichen Folgeerscheinungen. Wo sollten die Ge¬ verbetreibenden, die Beamten sich mit Lebensmittel versorgen wenn auch noch die Waffenfabrik als Konkurrent auftreten würde. Es ist daher notwendig, daß die Stadtgemeinde in der Lebensmittelfrage mit der Waffenfabrik Hand in Hand geht. Wir haben diesfalls bereits die bezüglichen Schritte getan und ie nötige Unterstützung gefunden. Anschließend an die Schwierigkeit in der Milch=, Butter¬ und Eierversorgung für uns, wie sie durch das Vorgehen der Wiener herbeigeführt wird, will ich noch auf folgende Schwierig¬ eiten hinweisen. Man hat vor einiger Zeit Transportbescheini¬ jungen für den Transport von Eiern eingeführt. Darüber haben sich jedenfalls die Wiener aufgehalten und die Regierung hat diese Eiertransportbescheinigungen aufgehoben und hat damit Oberösterreich einen wichtigen Schutz entzogen. Nun wird uns aber auch von den Nachbargemeinden die Lieferung von Milch, Eiern und Butter sehr erschwert dadurch, daß in den Nachbargemeinden das Gerücht ausgesprengt wird eine Liefe¬ rung von Eiern und Butter in die Stadt Steyr sei untersagt. die Bauern getrauen sich natürlich dann nicht mit Eiern und Butter in die Stadt herein. Eine weitere Schwierigkeit in der Lebensmittelversorgung Steyrs liegt zum Teil auch in den Höchstpreisen. So schön die Höchstpreise gedacht waren, so waren deren Wirkungen für das konsumierende Publikum nicht immer eine Wohltat. Viele Bauern, ie wegen Ueberschreitung der Höchstpreise empfindlich bestraf worden sind, sind einfach nicht mehr in die Stadt hereinge ommen. Ich will dabei auch einige Worte über die Behandlung er Bauern und Landwirte auf den Wochenmärkten in Steyr sprechen; diese Behandlung war nicht immer darnach angetan, die Lebensmittelversorgung der Stadt besser zu gestalten. Man at die Bäuerinnen und Händlerinnen förmlich überfallen und hnen Eier und Butter weggerissen. Viele Landleute sind dann ausgeblieben, weil sie sich einfach gescheut haben, sich so behan deln zu lassen. Sie sehen, meine Herren, daß es so mit den gegenwärtigen Verhältnissen in der Lebensmittelbeschaffung nicht mehr wie bis¬ er weiter gehen kann! Wir müssen trachten, daß die Lebens mittellieferungen für Steyr etwas großzügiger gemacht werden, ind da wird es die Sache des Gemeinderates sein, sich weiters arum anzunehmen. Denn die wirkliche Vertretung der Bevölke¬ rung ist der Gemeinderat. Dieser wird von der Bevölkerung jewählt, dieser hat für alles die Verantwortung zu tragen; nicht die Gemeindevorstehung, welche bloß die Beschlüsse des Gemeinde¬ rates auszuführen hat! Verantwortlich sind wir, der von der Bevölkerung gewählte Gemeinderat. Jeder von uns, der in eine Versammlung kommt, kann zur Verantwortung gezogen werden. Darum ist es notwendig, daß der Gemeinderat jetzt in diesem kritischen Augenblicke, wo uns die Abschneidung von Lebens mitteln so sehr droht, abermals seine Stimme erhebt! Ich möchte deshalb vorschlagen, daß der Gemeinderat die Abfassung und Absendung einer Eingabe, in der alle diese vor¬ erwähnten Verhältnisse und Bedenken erörtert und begründet werden und in der die Notwendigkeit einer besseren Versorgung der Stadt mit Lebensmitteln dringendst betont wird, an alle in Betracht kommenden Stellen beschließe Ich stelle daher den Antrag: „Der löbl. Gemeinde¬ rat wolle beschließen: Unter möglichst ausführlicher Klarlegung der tatsächlichen Verhältnisse und der Schwierigkeiten der Approvisionierung der Stadt Steyr und unter dem besonderen Hin¬ weise auf die Schwierigkeit in der Lebens¬ mittelversorgung, welche in Hinkunft ein o verminderter Viehstand für Oberösterreich bedeuten würde sei eine entsprechende Ein¬ gabe zu verfassen und allen jenen Stellen, velche für die Frage einer Verbesserung der Stadt mit Lebensmitteln in Betracht kommen, zu übermitteln. Ntach diesen Ausführungen des Referenten, Herrn G.=R. Frof Erb, ergreift Herr G.=R. Aigner das Wort. der Redner stimmt im allgemeinen den Ausführungen des Vorredners vollkommen bei. Eine Hauptschuld für die mißlichen Lebensmittelverhältnisse Steyrs sieht der Redner in der un¬ gleichen Höchstpreisfestsetzung. Nach seiner Meinung sollte im janzen Reiche ein gleicher Höchstpreis für alle Lebensmittel ein¬ geführt werden. Redner weist darauf hin, daß zu einer Zeit, da 3

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