Ratsprotokoll vom 9. Dezember 1911

3 Ein dritter und ebenfalls nicht zu unterschätzender Vorteil ist der gänzliche Wegfall der Stichwahlen und die damit zu¬ sammenhängenden Kompromisse. In ersterer Hinsicht wird nicht nur der oftmals noch heftigere zweite Wahlkampf gänzlich über¬ flüssig, wobei nebstdem auch der Gemeinde selbst bedeutende Mehr¬ kosten erspart bleiben, und in letzterer Hinsicht kann es schließlich jeder Partei nur erwünscht sein, keine zweifelhaften Kompromisse mehr eingehen zu dürfen. Ein vierter Vorteil wäre noch der, daß beim Proportional¬ wahlrecht auch noch für Ersatzmänner vorgesehen ist und bei dem eventuellen Ableben eines Gemeinderatsmitgliedes immer der bestimmte Ersatzmann von der betreffenden Liste der Partei nachrückt, so daß niemals eine besonders große Verschiebung in der bisherigen Gruppierung eintreten wird. Ich komme nun auf die Ausführungen des Herrn Referenten zu sprechen. Vor allem anderen freut es mich, aus dem Munde des Herrn Referenten gehört zu haben, daß auch er das neue Statut als ein modernes bezeichnet und außerdem freut mich das teil¬ weise Entgegenkommen der herrschenden Majorität gegenüber den Minderheiten. Umso mehr muß es auffallen, daß dieses Entgegenkommen gegenüber den Minderheiten im l. und II. Wahlkörper, wo die Anzahl der Steuerpflichtigen noch größer ist, als in den anderen Wahlkörpern, nicht gepflogen worden ist und finde ich, daß dem Gerechtigkeitsgefühle hiebei nicht in dem Maße gehuldigt worden ist, wie es zu wünschen wäre. Was die Befürchtung anbelangt, daß damit eine Einschränkung in der Amtsführung des jeweiligen Herrn Bürgermeisters vorkommen könnte, dadurch, das keine feste Majorität zu finden wäre, die dem Herrn Bürgermeister die nötige Deckung gewähren soll, treffe wohl nicht zu. In finanziellen Fragen, die der Gemeinderat zu berücksichtigen hat; wird sich auch die Minorität immer für eine gesunde finanzielle Politik aus¬ sprechen und den Herrn Bürgermeister im Gemeinderate unter¬ stützen. Die Herren wissen dies von mir selbst. Die Minorität wird auch künftighin, so wie bisher, in einer gesunden finanziellen Politik die Majorität des Gemeinderates unterstützen. Wenn wir politische Fragen im Gemeinderate nicht aufrollen, ist dies auch kein Unglück, nachdem meiner Ansicht nach politische Fragen überhaupt nicht in den Gemeinderat gehören und derselbe so wie so genug mit seinen eigenen Angelegenheiten zu tun hat. Meine Herren! Bleiben Sie daher, wie gesagt, nicht auf halbem Wege stehen und geben Sie dem l. und II. Wahlkörper das gleiche Recht und den gleichen Vorteil, wie dem III. und IV. Wahlkörper, indem Sie das Proportionalwahlrecht auch hier einführen. Ich bitte, diesen meinen Antrag zum Beschlusse er¬ heben zu wollen. Was die weitere Forderung der christlichsozialen Partei anbelangt, so ist dies die Schaffung eines reinen IV. Wahl¬ körpers für jene seßhaften wahlberechtigten Personen, welche der Stadtgemeinde keine direkten Steuern zahlen, und glaube ich, daß die Majorität auch diesem Wunsche Folge leisten könne, und zwar speziell hier in Steyr, wo eine große Arbeiterschaft ist, wäre es doppelt empfehlenswert, für diese Gruppe Vertreter zu reservieren. Daß auch die Bürgerschaft von allen drei Wahl¬ körpern dieser Ansicht ist, ist der beste Beweis dafür gewesen, daß sie sich bei der letzten Wahl im IV. Wahlkörper nicht mehr beteiligt hat. Weiters will ich zu den Bestimmungen des § 37, wonach ein gültiger Wahlvorschlag von mindestens 100 Wahlberechtigten unterfertigt sein muß, einen Gegenantrag stellen. Diese Ziffer ist viel zu hoch und beantrage ich, daß die notwendige Zahl für einen gültigen Wahlvorschlag auf 30 Stimmen festgesetzt werde. Es ist allerdings nicht schwierig für eine Partei, welche zur Geltung kommen will, 100 Stimmen aufzubringen, ich sehe aber in diesen 100 Stimmen einen Eingriff in die Freiheit der Wahl und in die geheim sein sollende Abstimmung. Durch das Voraus¬ unterschreiben von solchen Wahlvorschlägen ist diese aber nicht mehr geheim und sogar gegen die Vorschriften der Gemeinde¬ wahlordnung. Ich glaube, mit 30 Unterschriften ist die Zahl hoch genug gegriffen. Es hat aber diese Bestimmung noch einen Widerspruch in sich, und zwar deshalb, weil innerhalb einem Jahre nur zwei Wahlkörper zur Urne schreiten und liegen in diesem Falle auch die Wählerlisten der anderen Wahlkörper nicht auf, daher man nicht weiß, wer diesesmal Wähler ist und wer nicht. Ich meine 20 h Personaleinkommensteuer gezahlt haben. daher, daß diese Gründe genügen werden, die gültige Zahl der Unterschriften für den Wahlvorschlag auf 30 herunterzusetzen. Ich habe in der Sektionssitzung noch verschiedene andere Wünsche vorgebracht, über welche ich jedoch keine direkten An¬ träge stelle, sondern auf die ich nur kurz hinweisen will. Es wäre z. B. zu wünschen, daß die außerhalb Steyr wohnhaften Wahlberechtigten selbst an der Wahlurne erscheinen sollen, nachdem es sich nicht vereinbaren läßt, daß man für diese statutarisch eine Wahlmöglichkeit sichert, während Einheimische, wenn sie aus Zufälligkeit sich an der Wahl nicht beteiligen können oder krank sind, nicht wählen können. Weiters wurde gesprochen über das Intelligenzwahlrecht. Nach diesem soll jeder Wahlberechtigte auf Grund seiner Stellung in die einzelnen Wahlkörper sofort eingeteilt werden, während doch bei solchen auch eine wenigstens einjährige Seßhaftigkeit gerechtfertigt wäre. Ueber die Reklamationsfrist an politischen Behörden wäre wohl auch noch einiges zu sagen, ebenso über verschiedene weitere Punkte, die alle einer anderen Fassung bedürftig wären, doch will ich nicht weiter darauf eingehen, damit die ganze Sache nicht noch länger hinausgeschleppt werde und bitte ich schließlich nur, daß über meine Hauptanträge abgestimmt werde, und er¬ suche ich zugleich die Herren Gemeinderäte, im Sinne meiner Ausführungen zu stimmen. Herr G.=R. Wokral: Nachdem mein Vorredner Herr G.=R. Nothhaft im Namen der Christlichsozialen gesprochen hat, so will ich im Namen der Sozialdemokraten unseren Standpunkt zum vorliegenden Ent¬ wurf des neuen Gemeindestatutes kennzeichnen. Vorausschicken möchte ich nur das eine, daß das Verlangen nach einer Aenderung der Gemeindewahlordnung schon ein längeres ist, und daß dieses Verlangen nicht nur von einer Partei, sondern von allen Parteien, wie sie hier sitzen, schon lange Zeit geäußert worden ist. Ih möchte jedoch noch den Wunsch aussprechen, daß dieser neue Entwurf nicht halbe, sondern ganze Arbeit sein soll, und dem Ausdruck geben, daß, wenn der Entwurf gerecht sein soll, er nicht halb gerecht, sondern ganz gerecht sein muß. Was uns Sozialdemokraten am meisten am Herzen liegt, ist die Gemeindewahlordnung. Vorher möchte ich jedoch noch auf einen Punkt des ersten Abschnittes hinweisen, der mir nicht recht geeignet erscheint, und zwar ist es vor allem § 5, welcher vom Bürgerrecht handelt. Ich möchte mir erlauben, hierüber einiges zu bemerken. Hier heißt es nämlich: „Das Bürgerrecht darf nur solchen Gemeindeangehörigen verliehen werden, welche" u. s. w. Daß dieses nur dem Gemeinderate unter Umständen in große Verlegenheit bringen kann, ist klar. Es handelt sich hauptsächlich hierin um Punkt 1, wo es heißt, daß das Bürgerrecht nur jenen Personen verliehen werden darf, welche deutscher Nationalität sind. Meine sehr geehrten Herren! Ich mußte dies hier zur Sprache bringen, weil ich nicht klar bin darüber, wie man dies nachweisen kann. Ich bin mir nicht klar darüber, wer deutscher Nationalität ist. Ist jener deutscher Nationalität, welcher sich der deutschen Umgangssprache bedient, oder jener, welcher in einer deutschen Gemeinde das Heimatsrecht besitzt. Kurz es wird niemand wissen oder mit Bestimmtheit behaupten können, wer deutscher Nationalität ist. Ich bin der Ansicht, daß die Bestimmung „deutscher Nationalität“ so quasi Kautschuk ist, und daß derartige Be¬ stimmungen nicht in ein Gemeindestatut gehören. Dazu kommt noch, daß man sagen muß, wenn die Gemeinde für richtig hält, daß sie von allen Gemeindeangehörigen Steuern einhebt, sie auch bei Verleihung von Bürgerrecht nicht so vorgehen soll Eine weitere Bestimmung, die hier ausgelassen ist, die aber im früheren Statute enthalten war, ist die, daß das Bürgerrecht auch anderen als im Statute Verzeichneten verliehen werden kann. Ich erlaube mir zu § 5 den Antrag zu stellen, daß die Worte „darf nur“ gestrichen werden sollen, und Punkt 1 „deutscher Nationalität sind“ ganz weg bleiben solle. Ich komme jetzt zum Entwurfe über die neue Grmeinde¬ wahlordnung. Wir stehen als Sozialdemokraten auf dem Standpunkte des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechtes. Nachdem wir aber überzeugt sind, daß eine solche Wahlreform von der Regierung nicht sanktioniert wird, gehen wir auf die Vorlage ein. Hier ist vor allem § 19. Ich möchte mir da die Bemer¬ kung erlauben, daß bei der Einführung des Proporzes möglichst mit allen Privilegien aufgeräumt werden solle. Ich finde es nicht ganz gerechtfertigt, wenn man Personen das Wahlrecht gibt, welche nicht in Steyr wohnen, und die erst kurze Zeit hier sind. Dabei muß man noch in Betracht ziehen, daß es für die se߬ haften Wähler notwendig ist, daß sie das 24. Lebensjahr zurück¬ gelegt haben, während bei diesen Leuten eine Volljährigkeit nicht vorgeschrieben ist. Es ist dies meiner Auffassung nach ein Punkt, welcher nicht gerecht erscheint. Weiters kommt noch, daß durch die Einführung eines Zensuses für den III. Wahlkörper gewaltige Verschiebungen Platz greifen. Wir haben in der Vorlage eine Personalsteuer von 15 K 20 h angeführt, die zum Wahlrecht im III. Wahlkörper berechtigt. Hiedurch werden einzelne Arbeiter, welche mehr als 15 K 20 h Personaleinkommensteuer zahlen, in diesem Wahl¬ körper wahlberechtigt. Außerdem hat die Einführung dieses Zensuses noch eine andere Wirkung. In dem § 19 des früheren Statutes hat es geheißen, daß diejenigen österreichischen Staatsbürger im I., II. und III. Wahlkörper wahlberechtigt sind, welche von ihrem Real¬ besitze, Gewerbe oder Einkommen eine direkte Steuer entrichten. Damit war einer ganzen Reihe von Beamten das Wahlrecht in diesen Wahlkörpern gegeben, wenn sie auch weniger als 15 K Durch die neuen Bestimmungen wird das eine erreicht, daß einzelne Beamte aus dem III. Wahlkörper ausgeschlossen und in den IV. Wahlkörper eingereiht werden. Es hat aber mit dem IV. Wahlkörper ein eigenes Be¬ wandtnis und bin ich der Meinung, daß der Zensus von 15 K 20 k zu hoch gegriffen ist und niedriger angesetzt werden soll. Ich komme jetzt auf § 20 zu sprechen, der von der Ein¬ teilung der Wahlkörper handelt und da möchte ich gerade, weil es mit dem vorhin Erwähnten zusammenhängend ist, bemerken, daß durch die Festsetzung des Zensuses diejenigen Wähler, welche im III. Wahlkörper wahlberechtigt waren, aus diesem heraus¬ kommen und jetzt im IV. Wahlkörper eingereiht werden eigent¬ lich benachteiligt sind, nachdem sie früher im III. und IV. Wahl¬ körper wählen konnten. Ich muß mich aber entschieden dagegen aufhalten, daß der V. Wahlkörper wieder ein allgemeiner werden soll. Ich bin der Meinung, daß in dieser Einteilung von einer Gleichheit keine Spur ist, und zwar deshalb nicht, weil alle Wähler nicht gleich behandelt werden, sondern immer ein Teil derselben privilegiert. ist. Vom Standpunkte der politischen Gerechtigkeit ist es nicht zu rechtfertigen, daß der IV. Wahlkörper ein allgemeiner Wahl¬ körper werden solle, nachdem die anderen drei Wahlkörper be¬ rechtigt sind, auch im IV. Wahlkörper zur Urne zu schreiten. Es ist damit ein Pluralwahlrecht geschaffen worden.

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