Ratsprotokoll vom 9. Dezember 1911

8 Hierauf nimmt der Herr Referent nochmals zu den von den Herren Vorrednern gemachten Aeußerungen Stellung. Er erklärt, namens der Mehrheit der Sektionsmitglieder an den Bestimmungen des vorliegenden Entwurfes über die Verleihung des Bürgerrechtes festzuhalten. Es sei ja zwar richtig, daß sich von vorneherein feste Be¬ timmungen über den Nachweis „deutscher Nationalität“ nur schwer oder gar nicht treffen lassen, doch liege darin keine Ge¬ fahr, denn der Gemeinderat, welcher darüber zu entscheiden habe, werde die einzelnen Bewerber gewiß hinlänglich kennen, schon wegen des Erfordernisses der zehnjährigen Ansässigkeit. Er halte auch die Bestimmungen aufrecht, wonach das Bürgerrecht „nur“ an die im § 5 des Entwurfes aufgezählten Bewerber verliehen werden dürfe, weil bei anderer Fassung die Gefahr vorliegt, daß die Verleihung des Bürgerrechtes den Charakter einer Anerkennung für Verdienste verliere. Die sonst von den Herren Gemeinderäten Nothhaft und den Mitgliedern der sozialdemokratischen Partei vorgebrachten Bemängelungen des Entwurfes betreffen einerseits Bestimmungen mehr nebensächlicher Bedeutung, wie über das selbständige Wahl¬ recht der verheirateten Frauen, die Mandatsdauer, die Unter¬ brechung der Wahlhandlung, die Art der Festsetzung von Ent¬ schädigungen für Gemeinderäte und dergleichen, teils beziehen sich die geltend gemachten Bemängelungen auf Fragen von prin¬ zipieller Bedeutung. Hieher gehören nach Ansicht des Referenten die Fragen, ob das Wahlrecht mit dem Besitze verknüpft werden soll, die Frage der Einführung des Proportionalwahlrechtes in allen vier Wahlkörpern und die Frage, ob der IV. Wahlkörper ein reiner Arbeiter=Wahlkörper sein soll oder ob er auch den Angehörigen der übrigen Wahlkörper offen stehen soll. Bei den Fragen der ersten Art handle es sich nach Ansicht des Redners um Dinge, die er als Geschmacksache jedes Einzelnen bezeichnen möchte. Er wolle die zu diesen Punkten geäußerten gegnerischen Anschauungen keineswegs als an und für sich un¬ annehmbar erklären, doch habe sich die Mehrheit der Sektions¬ mitglieder nach reiflicher Ueberlegung für die Fassung des Ent¬ wurfes ausgesprochen und er habe daher als Referent die An¬ icht der Mehrheit der Sektionsmitglieder aufrecht zu erhalten Bei den Fragen der zweiten Art, das ist bei jenen von prinzipieller Bedeutung, nehmen sich die Ausführungen der Gegner des Entwurfes vom rein theoretischen Standpunkte viel¬ leicht ganz gut aus, doch handle es sich nicht darum, ein theoreti¬ sches Wahlrecht zu schaffen, sondern ein solches, welches in der Praxis verwendbar sei und welches nach Möglichkeit den ein¬ zelnen Richtungen Rechnung trage. Von diesem Gesichtspunkte aus empfehle er neuerdings die Annahme des Entwurfes, wobei er es den Herren Gemeinde¬ räten überlasse, die im § 37 vorgesehene Anzahl von 100 Unter¬ schriften für Wahlvorschläge aus dem III. und IV. Wahlkörper auf 50 herabzusetzen. Der Herr Vorsitzende schreitet sodann zur Abstimmung über die in dieser Angelegenheit vorgebrachten Abänderungsanträge. Anträge des Herrn G.=R. Nothhaft: Im § 20 sei der Schlußsatz des ersten Absatzes „wobei die Wahlberechtigung im I., II. und III. Wahlkörper die Ausübung des Wahlrechtes im IV. Wahlkörper nicht ausschließt“ zu streichen und dafür die Worte einzusetzen „und keine direkten Steuern in der Gemeinde entrichten.“ — (Abgelehnt.) § 34 habe zu lauten: „In allen vier Wahlkörpern ist die Verhältniswahl in Anwendung zu bringen.“ Die übrigen Paragraphe des Ent¬ wurfes, die darauf Bezug haben, sind dementsprechend seitens der Rechtssektion abzuändern. — (Abgelehnt.) Im § 37 sei als nötige Anzahl von Unterschriften für einen Wahlvorschlag die Zahl von mindestes 30 für jeden Wahl¬ körper zu bestimmen. — (Abgelehnt. Der Herr Referent bemerkt hiebei, daß den vorher geäußerten Bedenken bezüglich den 100 Unterschriften auch in der Weise Rechnung getragen werden könnte, daß für den III. und IV. Wahlkörper jeder Wahlvorschlag von 50 Wahlberechtigten unterschrieben sein muß. Hierüber wird jedoch eine Abstimmung abgelehnt. Herr G.=R. Nothhaft erklärt, daß er nicht mehr in der Lage ist, sich weiter an der Abstimmung zu beteiligen, nach¬ dem seine sämtlichen Anträge, welche ein Mindestausmaß der berechtigten Wünsche waren, abgelehnt worden sind. Anträge des Herrn G.=R. Wokral: Im § 5, betreffend Verleihung des Bürgerrechtes, seien in dem Satze „das Bürgerrecht darf nur solchen Gemeindeange¬ hörigen verliehen werden“ die Worte „darf nur“ sowie im Punkt 1 desselben Paragraphen die Worte „deutscher Nationalität sind“ zu streichen. — (Abgelehnt.) Im § 19 soll für alle Wahlberechtigten, einschließlich der Intelligenzwähler, eine Seßhaftigkeit von einem Jahre festge¬ setzt werden. Der Zensus für die eine Personaleinkommensteuer zahlenden Wähler ist mit 10 K zu bestimmen. Das Frauenwahl¬ recht ist ohne Ausnahme persönlich auszuüben. — (Abgelehnt.) Im § 20 soll es heißen: „Im IV. Wahlkörper sind die Wähler des I., II. und III. Wahlkörpers nicht wahlberechtigt. Also ein reiner Wahlkörper, kein allgemeiner. — (Abgelehnt.) Zum § 21: Auch die auswärts wohnenden Wahlberechtigten sowie die Frauen haben das Wahlrecht persönlich auszuüben. (Abgelehnt. Im § 29 ist der Absatz a, betreffend die Wählbarkeit im I., II. und III. Wahlkörper, zu streichen. Weiters solle in diesem Paragraph eingesetzt werden: „Die Wählbarkeit ist an keinen Wahlkörper gebunden. Die Wahl¬ werber können auch aus mehreren beliebigen Wahlkörpern ent¬ nommen werden. Nur in Steyr wohnhafte Personen sind wähl¬ bar. — (Abgelehnt.) Im § 32 sei festzusetzen, daß im IV. Wahlkörper alle Wahlberechtigten, welche im I., II. und III. Wahlkörper kein Wahlrecht besitzen, wahlberechtigt sind. — (Abgelehnt. Im § 34 sei die Verhältniswahl für alle vier Wahlkörper festzusetzen. — (Abgelehnt.] § 35, dritter Absatz, sollte lauten: „Ueber die innerhalb der Frist von drei Tagen beim Bürgermeister einzubringende Beschwerde gegen die Entscheidung des Gemeinderates entscheidet endgiltig die Staathalterei Weiters: „Zwischen Stichtag und Wahltag sollen höchstens drei Monate liegen.“ — (Abgelehnt.) 37 sollte dahin lauten, daß für einen giltigen Wahl¬ vorschlag höchstens 50 Unterschriften notwendig sind. Der Herr Referent stellt namens der Sektion den Antrag, die Zahl der notwendigen Unterschriften für einen Wahlvorschlag auf 50 festzusetzen. — (Wird angenommen.) Im § 41 habe die Bestimmung aufgenommen zu werden, daß jene Wahlbewerber als gewählt erscheinen, welche auf dem betreffenden Wahlvorschlag an erster Stelle stehen. — (Abgelehnt.) Der § 43 sei dahin abzuändern, daß die Wahlhandlung nicht unterbrochen werden dürfe. — Absatz 3 bis 5 ist daher in diesem Paragraph ganz zu streichen. — (Abgelehnt.) Im § 46 sei die Mandatsdauer auf vier Jahre festzusetzen und hätten alle zwei Jahre abwechselnd einmal der 1. und III., dann der II. und IV. Wahlkörper gänzlich auszuscheiden und seien odann Neuwahlen vorzunehmen. — (Abgelehnt.) 50 solle dahin lauten, daß der Gemeinderat auch in Zukunft weiterhin die Genüsse der im Dienste der Gemeinde stehenden Personen sowie Reisekosten und sonstige Entschädigungen für die der Gemeinde geleisteten Agenden zu bestimmen habe. — (Abgelehnt.) Der Herr Referent teilt sodann noch mit, daß sich zu § 71 ein Zusatz ergeben hat, welcher lautet: „Zur Abänderung dieses Statutes ist die Anwesenheit von ¾ der Gemeinderats¬ mitglieder und eine Stimmenmehrheit von 2 der Anwesenden erforderlich.“ Er bittet die Herren Gemeinderäte, diesen Zusatz annehmen zu wollen. — (Wird angenommen. Hierauf wird über den Gesetzentwurf „en bloc“ abgestimmt und derselbe mit Majorität angenommen. Der Herr Referent stellt sodann namens der Sektion den Antrag, diesem Gesetzentwurf folgenden Titel zu geben: Landesgesetz vom ...... betreffend Erlassung eines neuen Gemeindestatutes für die auto¬ nome l. f. Stadt Steyr. Art. I. Dieses Gemeindestatut, giltig für die autonome l. f. Stadt Steyr, tritt mit dem Tage der Kundmachung, hinsichtlich seiner Bestimmungen über die Gemeindewahlen aber erst mit 1. März des auf die Allerhöchste Sanktion folgenden Jahres in Kraft. Art. II. Die dermalen gewählten Gemeinderäte bleiben bis zur Konstituierung des nach diesem Statute gewählten Gemeinde¬ rates im Amte. Art. III. Mein Minister des Innern ist mit dem Vollzuge dieses Gesetzes betraut. am ** Wird mit Majorität angenommen. Weiters wird per majora beschlossen, den Landtags=Abge¬ ordneten der Stadt Steyr, Herrn Viktor Stigler, zu er¬ uchen, er möge wärmstens für diesen Gesetzentwurf im Land¬ tage eintreten. Hierauf Schluß der öffentlichen Sitzung um 6¼ Uhr abends.

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