Gemeinderatsprotokoll vom 29. März 1949

Protokoll. über die außerordentliche Sitzung des Gemeinderates der Stadt Steyr am Dienstag, den 29. März 1949; 17.00 Uhr, im Sitzungssaal des Rathauses. Tagesordnung: Bürgermeister Leopold Steinbrecher: Die Schulfrage in Steyr. (Zl. 7490/48) Ordentliche Sitzung. Bürgermeister Leopold Steinbrecher als Vorsitzender, Anwesende: Bürgermeister-Stellvertr. Franz Paulmayr Gottfreid Koller die Stadtäte: Dedic Karl Kahlig Hans Enge Franz Schanovsky Hans Wabitxch Ludwig Ebmer Hans Fellinger Josef die Gemeinderäte: Ennsthaler wilhelm Russmann Julius Fischer Karl Steininger Oskar Trauner Franz ÖVP Hallwirth Josef Trauner Franz SPÖ Hochgatterer Anton Huemer Alois Vogelsam Josef Huemer Maria Weindl Anton Pöschl Franz Wohlfahrt Josef Pöschl Josef Wokral Josefine Hofer Franz Wipplinger Karl Ribnitzky Vinzenz Karl Kokesch Ulrich Emanuel Schnabl Franz. Riha Karl Vom Magistrate: Mag. Dir. Stellv. Dr. Karl Enzelmüller, Stadtschulinspektor Kolb, Dr. E. Krobath. Schriftilhrer: Ang. Kanitz Entschuldigt sind: die Gemeinderäte Enöckl Franz, Mayrhofer Josef und Moser August. Zu Protokollprüfern wurden die Gemeinderäte Alois Huemer und Karl Riha ernannt. Bürgermeister Leopold Steinbrecher eröfrnet die Sitzung und stellt die Beschlußfähigkeit des Gemeinderates fest.

Bürgermeister Leopold Steinbrecher: Senr verehrte Frauen und Herren des Gemeinderates! Ich habe Sie heute zu einer außerordentlichen Sitzung des Gemeinde¬ rates einberufen, um über die Lösung des äußerst kritischen Problemes der Schulraumnot in Steyr Beschluß zu fassen. Der unmittelbare Anlaß hierzu war, die Vorsprache des Herrn Mag. Dir. Dr. Ferdinand Häuslmayr beim Bundesministerium für Unterricht. Ziel der Vorsprache war die Erlangung von Subentionen fur den von der Stadt geplanten Schulbau an der. Brandruine des einstigen Verwaltungsgebäudes II der Steyr-Werke. Die Aussichten, derartige Subventionen zu erhalten, sind jedoch sehr gering, während anderei¬ seite die Finanzierung dieses Bauvorhabens durch Aufnahme von Bankkrediten nicht möglich ist. Ich habe zu dieser Gemeinderatssitzung Herrn Bezirksschulinspektor Kolb eingeladen, der an Hand eines vom Schulamte verfaßten Exposés über die Schulsituation berichten wird. Aus diesem Exposé ist zu ersehen, daß die Gemeinde nicht in der Lage ist, aus eigenen Mitteln das Schulproblem zu lösen. Ich habe deshalb die Herren Nationalräte und andere maßgebende Personen zu einem Komitee eingeladen. In diesem Komitee sind alle Parteien vertreten und setzt sich dieses zusammen aus den Herren: Nat. Rat Dr. Ferd. Häuslmayr, Nat. Rat. Dir. Marktschläger, B. R. Anton Weindl, Vizebgm. Franz Paulmayr, Dir. F. Trauner, St. R. Hans Schanovsky, St. R. Hans Kahlig, Bez. Schulinspektor R. Kolb. Aufgabe dieses Komitees ist es, sich ausschließlich mit der Lösung des Schulproblems bezw. Finanzierung eines Schulbaues zu beschäftigen. Herr Bezirkschulinsp. Kolb wird ersucht, über das Schulproblem Bericht zu erstatten. Bezirksschulinspektor Rudolf Kolb: Aufgrund der schulstatistischen Erhebungen und der Inspektionstätigkeit hat sich der Stadtschulrat genötigt gesehen, die Sache als dringlich zu betraehten, da wir am Ende des Schulahres stehen und bereits jetzt, Pläne für den Beginn des neuen Schuljahres gefaßt werden müssen. Denn es steht vor uns die Frage, infolge der drückenden Schulraumnot entweder Schulklassen zusammenzuziehen oder andererseits Schüler zur Schule nicht zuzulassen.

Aufgrund dieses Sachverhaltes hat der Stadtschulrat nachstehendes Exposé zur genauen Darlegung der Schulverhältnisse ausgearbeitet: Exposé über die Schulraumnot der Stadt Steyr. Steyrs Schulraumnot ist so grotesk, daß die Stadtgemeinde allein gar nicht in der Lage ist, in absehbarer Zeit eine entlastende Abhilfe Zu schaffen. Fast erscheint es hofinungslos, diese Frage überhaupt zu behandeln. Und dennoch, - es geht ja um Menschen, um junge Menschen, denen die Heimat schuldig bleiben müßte, was eben diese Heimat einst von ihnen zu fordern genötigt sein wird. Eine Industriestadt wie Steyr darf ihrer Bevölkerung nicht das einzige vorenthalten, was Arbeiter an Gut mit ins Leben bekommen können: ihr Wissen und Können. 4.600 Pflichtschüler besuchen die 20 Schulen der Stadt, und zwar 3.495 Volksschüler, 991 Hauptschüler. 105 Hilfsschüler; davon sind 465 Schüler ortsfremd, d.h. rd. 10 % und zwar 377 Hauptschüler 88 Volksschüler. Die KH-1-Promenadecallein zählt von 390 Schülern 213 ortsfremde, d.h. 54.6 % oder anders ausgedrückt: in der KH-1 steckt eine ganz 7-klassige Hauptschule von Nicht-Steyrern. Nur 12 von den 20 Schülen sind in eigentlichen, teilweise ganz veraltesten und unzulänglichen Schulgebäuden untergebracht, etwa die MV-1-Berggasse in einem verwinkelten Gebäude aus dem 17. Jahrhundert. Für drei Schulen (KV-4, MV-4, KH-2, Ennsleite) mußten Wohngebäude - soweit das überhaupt möglich ist - notdürftig adaptiert werden; vier Schulen genießen nur Gastrecht, eines davon (MH-2-Rudigier) jederzeit kündbar. Dazu kommt, daß an einigen Schulen nur die Häifte der Klassenzahl an Schulräumen verfügbar ist und zahlreiche Klassenzimmer - weder nach Größe noch nach Lage - auch nur den einfachsten Ansprüchen an Schulräume genügen.

Der erhobene Mindestbedarf an Schuiräumen stellt sich so: O N— 123 5 20 19 16 15 8 2 Erfordernis 8 16 2 2 Vorhanden 99 3 24 2 12 3 14 13 8 2 rehl: == ======—— Zahlreich sind daher auch Interventionen, die Eltern und Elternvereine in Richtung auf eine Besserung der Schulverhälvnisse schon beim Stadtschulrat unternommen haben. In der Stadtschulratssitzung vom 26. 10. 1948 wurde daher ein Planungsausschuß zur Lösung der Schulraumnot einstimmig eingesetzt. In Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat der Stadt Steyr wurden aufgrund dieses Beschlusses Tolgende Maßnahmen getroifen: 1. Kommissionierung eines Schulbauvorhabens an der Brandruine des einstigen Verwaltungsgebäudes II der Steyr-Werke àm 7. 12. 1948 im Beisein von Vertretern des Bundesministeriums für Unterricht, des Landesschulrates für O.O., des o.ô. Landes- und des Stadt¬ bauamtes Steyr, umfassend 2 Hauptschulen, die gewerbl. Fortbildungsschulen I und II, die kaufmänn. wirtschaftsschule Steyr, die städt. Frauenberufsschule, sowie 1 internat. Die schnellste Behandlung dieses Bauvorhabens noch vor Beginn der bevorstehenden Bauperiode ist umso dringlicher, als das Gebäude schon füni Jahre den witterungseinllüssen ausgesetzt ist und allmählich Gefahr läuft, verwendungsunfähig zu werden, wodurch neuerlich wertvolles Volksvermögen verloren ginge.

2. Planungsbegehung und -beratung in Zusammenarbeit mit dem städt. Bauamt am 15. 12. 1948. 5. Beratung des Mindestraumbedarfes im Beisein des Landesschul¬ inspektors für Berufsschulen Ing. Golser am 20. 1. 1949. 4. Durchrechnung des Kostenaufwandes am 27. 1. 1949 aufgrund von Erfährungsziffern, bezogen auf den umbauten Raum. 5. Eingabe an den Landesschulrat für O.0. und an das Bundesministerium für Unterricht, überreicht von Nat. Rat Dr. Häuslmayr, vom 31. 1. 1949. 6. Intervention des Herrn Bürgermeisters der Stadt Steyr, Ing. Steinbrecher, beim Bundesministerium für Unterricht am 17.3.1949. Beratung der Finanzierungsfrage am 25. 3. 1949. Kostenvoranschlag S 10,000.000.—-, wovon die Stadt Steyr aufgrund der Be¬ rechnungen des Finanzreferenten Ing. Schanovsky im Höchstfalle S 5,000.000.-- aus laufenden Mitteln, verteilt auf fünf Jahre, zur Verfügung stellen könnte. Der Restbetrag kann nur durch Subventionen und langfristige Kredite gedeckt werden. Anläßlich der Einweihung des Wiederaufbautraktes am Bundesrealgymnasium Steyr, für den die Stadt Steyr 1,500.000.— Schillinge aufwenden mußte, äußerte der Herr Landeshauptmann Dr. Gleißner, daß Schulbaulasten in Anbetracht der gesteigerten modernen Anforderungen wohl auch ebenso Sache von Bund und Land wie Sache der Gemeinden sein müssen. Gerade Steyr als überwiegende Arbeiterstadt und als Zentrum eines roßen Teiles industriellen Landbezirkes kann, unter Berücksichti¬ gung der schweren Kriegsschäden, die die Stadt erlitten hat, überhaupt nie aus alleiniger eigener Kraft die erstandenen Anforderungen lösen, sie hat es bisher aber auch vermieden, ihre Schulen auf längere Dauer für Schüler - vor allem Haupt- und Fortbildungsschüler - aus dem Landbezirk zu sperren, da dieser gar nicht in der Lage wäre, Ersatz zu schaffen und daher die Maßnahme in eine Bestrafung gerade der Unschuldigsten, nämlich der großen Masse unbemittelter Jugend ausarten würde. Es wird daher wohl kein anderer Ausweg möglich sein, als daß auch Land und Bund erhebliche Anteile zur Lösung der katastrophalen Schulraumnot der Stadt Steyr übernehmen."

Bürgermeister L. Steinbrecher: Ich bitte daher den Gemeinderat, nachstehendem Antrage zuzustimmen: "Gemeinderatsbeschluß. Aus dem umfassenden Exposé des Stadtschulrates Steyr geht mit absoluter Deutlichkeit hervor, daß das Schulproblem dieser Stadt aus eigener Kraft der Gemeinde nicht gelöst werden kann. Die Gemeinde ist daher auf die Unterstützung des Bundes und Landes angewiesen, wobei sie selbstverständlich unter Hintanstellung wichtiger öffentlicher Bauten und kommunaler Aufgaben das Menschenmögliche zur Lösung dieser Frage beizutragen gewillt ist. Um aber eine Katastrophe hintanzuhalten, die unter anderem mit der Sperrung der Schulen für auswärtige Schüler verknüpit wäre, müssen schon jetzt die zuständigen Stellen des Bundes und Landes auf die drohende Gefahr aufmerksam gemacht werden. Der Herr Bürgermeister wird daher ersucht, mit den Abgeordneten des Bezirkes beim Herrn Bundeskanzler und den zuständigen Resortministern sowie beim Herrn Landeshauptmann und Landesschulrat und den Kammern vorzusprechen, um die genannten Stellen persönlich auf den Ernst der Situation aufmerksam zu machen und in entsprechende Verhandlungen zu treten. Dabei gibt sich der Gemeinderat der Stadt Steyr der zuversichtlichen Hoffnung hin, daß der Notschrei der Stadtgemeinde Steyr nicht ungehört bleibt und jenes Verständnis findet, das diese Industriestadt und der gesamte Bezirk, denen eine beachtliche Rolle im Wiederaufbau Österreichs zukommt, mit vollem Recht beanspruchen können." nicht Bemerken möchte ich noch, daß/nur an Bund und Land, sondern auch an die verschiedenen Kammern, Industrien, Gewerkschaften etc. herangetreten werden wird, um auch von diesen Stellen jede mögliche Beihilfe zur verwirklichung dieses Programmes zu erlangen. Der Finanzreferent der Stadt, St. K. Hans Schanovsky, führt hierzu aus: Als Finanzreferent der Stadt muß ich Ihnen das fiananzielle Problem ganz besonders beleuchten. Wenn in dem Exposé des Stadi¬ schulrates zum Ausdruck kommt, daß sich die Gemeinde bereit erklären würde, 5 Mill. Schillinge aus eigener Kraft durch fünf Jahre hindurch beizusteuern, so bedeutet dies, daß wir aus dem ordent¬ lichen Haushalt jährlich 1 Mill. S. abzweigen müssen. Es ist dies

eine Anstrengung, die fast über unsere Verhältnisse geht. wie bereits durch den Herrn Bürgermeister hervorgehoben wurde, ist dies überhaupt nur möglich, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesonders die der Steyr-Werke, in Zukunft so gestalten wie es bisher der Fallwar. Wenn wir daner jährlich kommunale Ausgaben im Betrage von 1 Mill. S. zugunsten dieses Problemes zurückstellen müssen, so appelliere ich hier an alle drei Parteien, bei zukünftigenB eratungen über die Anforderung von finanziellen Mitteln auf dieses Problem Rücksicht zu nehmen. Nach längeren Ausführungen des Stadtrates Hans Kahlig, der Gemeinderäte Karl Riha und Alois Huemer nimmt Bgm. Steinbrecher die Abstimmung über den eingebrachten Antrag vor. Der Antrag wurde einstimmig angenommen. Ende der Sitzung: 17.50 Uhr. De Vorsiizende: Atortre Der Protokollrührer: Die Protokol)prufer: dt Karle. Man

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