Politische Wochenschau, Nr. 1 bis Nr. 9, Steyr 1848

Nro. Politische Wochenschau der zwanglosen Blätter. Steyr den 11. November 1848. Deutschland. Franfurt. Fürst Leiningen soll von der Central= gewalt nach Oesterreich beordert werden, um die Oberlei¬ tung der Reichsangelegenheiten dort zu übernehmen. Bayern. München. Die Wiener Ereignisse lassen wie überall so auch hier mancherlei Befürchtung entstehen. Man spricht von der Beseitigungen der Minister Lerchenfeld und Heintz. Beide erscheinen zur Zeit in ihrem Geschäftskreise unersetzlich und man ist überzeugt daß von Niemand die Ausführung ihrer administrativen und legislatorischen Ideen und Grundzüge, eine völlig freie Gliederung und Selbst¬ verwaltung der Gemeinden in allen ihren Interessen be¬ treffenden Fragen bezwekend, zu erwarten stünde. Der starren Bureaukratie die Art an die Wurzel zu legen, in¬ dem die intellectuelle Kraft und politische Bildung der Ge¬ meinden durch Anregung ihrer Thätigkeit gehoben würde; dem vielen und theuren Verwalten ernstlich entgegen zu arbeiten, ist der Grundzug des Wirkens dieser beiden Män¬ ner, und jetzt will man dieses durch einem Ministerwechsel hemmen; und soll dieser Wechsel ein „Hofministerium“ brin¬ gen? Es sind gewiß nur Befürchtungen, — und wenn nicht? — Für die Länge sind derlei Rükwirkungen doch unmöglich, . . . . . in Bayern und überall, die Zeit erlaubt sie nicht. Am 5. November Morgens starb im 67ten Lebensjahre nach längerer Krankheit der königl. Staatsarchivdirektor Frhr. v. Hormayr. Baden. Am 29. Oktober fand eine Generalversammlung der badischen Vaterlandsvereine Statt. Sie constituiren sich als „badischer Landesverein,“ dessen oberste Grundsätze sind: Beförderung der Einheit und Kraft des deutschen Volkes, unbedingte Unterwerfung unter die Centralgewalt und Reichsversammlung, Erringung und Erhaltung der Rechte und Freiheiten des deutschen Volks auf gesetzlichem Wege, Hebung der Bildung und des nationalen Wohlstan¬ des, Verbesserung der Wehrverfassung, Verbesserung der Lage der ärmeren, besonders der arbeitenden Classe. Struve, dessen Hinrichtung gleich nach seiner Ge¬ fangennehmung in den meisten Wienerblättern gemeldet wurde, genießt in Rastatt die humanste Behandlung; die Untersuchungskommission hat sogar darauf an¬ getragen, daß ihm Schreibmateriale gegeben werde. Die Untersuchung, welche sich immer mehr in die Länge zieht, wird nicht zur Todesstrafe führen. Preußen. In Berlin ist keine Revolution aber wohl ein Zu¬ stand, den man eine gelinde Anarchie nennen kann, und der die physischen und moralischen Kräfte vollständig er¬ schlafft. Ein Beispiel dieses Zustandes gibt der 31. Okto¬ ber. Um 5 Uhr begann die Abendsitzung der Kammer. Man debatirte über allerlei ohne zu einem Ende zu kom¬ men; und unterdessen tobte und lärmte die Menge vor dem Hause. Die Bürgerwehr erschien und gab ihre Sig¬ nale, wurde aber schmählich insultirt man schlug sie mit den Fakeln auf den Kopf und schrie dazu: die von der Rechten müssen hängen! Endlich fiel ein Schuß. Bei einem Bajonnetenangriffe kamen mehre Verwundungen vor. Auch eine Salve wurde von den Bürgern gegeben. Man schrie, fluchte und forderte Waffen. Diese Aufregung dauerte bis Mitternacht. Zu bedauern sind die wakeren Männer der Bürgerwehr, die unter den mißlichsten un¬ dankbarsten Umständen Tag und Nacht auf den Beinen sein müssen. Auch hier eine Ministerkrisis. Das Ministerium Pfuel hat am 2. November Morgens in Masse seine Dimission gegeben. Der Graf Brandenburg will ein neues Mini¬ sterium bilden. Dieses wird ein solches werden, das die einen das Ministerium der Reaction, die andern das der Gesetzlichkeit und Ordnung nennen. Das die Wiener Nachrichten darauf entscheidend wirken würden, wurde all¬ gemein eingesehen, daher den telegrafischen Depeschen mit ängstlicher Unruhe entgegengesehen. Endlich kam diese: „Die kaiserlichen Truppen sind Herr der ganzen Stadt“ — die Unruhe in der Stadt stieg, — sogleich schikte die Reichs¬ versammlung eine Deputation von 25 Mitgliedern nach Potsdam, um die Beibehaltung des Ministeriums Pfuel, die Abberufung des Grafen Brandenburg und die Rük¬ nahme des vom Minister Eichmann unterzeichneten Placats: „In allen Fällen wo die Bürgerwehr ihre Schuldigkeit nicht vollständig thut oder thun kann, ist das Militär ohne weiters zur Hilfe zu nehmen“ zu beantragen. Nachts um 12 Uhr war die Deputation noch nicht zurük. Am 3. November kam die Antwort des Königs auf die Adresse der Reichsversammlung, worin es heißt: „Graf Brandenburg ist ein freisinniger, constitutionell gesinnter Mann, dem ich das Mandat ein Ministerium zu bilden belasse.“ — Dieses rief große Aufregung hervor, bis der Präsident v. Unruh andeutete, Gf. Brandenburg selbst

RkJQdWJsaXNoZXIy MjQ4MjI2