Ergänzungsblätter Nr. 1 bis Nr. 15, Steyr 1848

14 diese Fragen zu beantworten, müssen wir vor Allem die Grundübel aufsuchen welche unsere jetzigen Verhältniße herbeigeführt haben; die Mittel zur Abhülfe ergeben sich dann von selbst. Die Gewerbetreibenden des Großherzogthums Hessen haben in ihren verschiedenen Localgewerbvereinen gleichzei¬ tig diese Fragen berathen, in einer gemeinschaftlichen Ver¬ sammlung von Abgeordneten eine Einhelligkeit in den we¬ sentlichsten Punkten gefunden und beschlossen, sofort rüstig Hand an die Reorganisation des Gewerbwesens zu legen. Damit nun in ganz Deutschland die Ansicht des Gewerb¬ standes zur Klarheit komme, und der Handwerkerstand, welcher bis dahin keine Stimme hatte, seinen Willen zur Kenntniß des Publikums und der Regierungen bringe; da¬ mit ferner in Deutschlands Staaten eine auf gleichen Grund¬ sätzen ruhende Gewerbegesetzgebung erzielt werde wenden wir uns an Euch mit der Bitte in Euren Kreisen dieselben Fragen zu erörtern, und Eure Ansichten durch öffent¬ liche Blätter zur Kenntniß Aller zu dringen. Wir werden dasselbe thun. Damit man den Gesammtwillen des deutschen Gewerbe¬ standes kennen lerne, gebiethet es die Pflicht Jedem, daß er klar und offen seine Ansichten über die jetzigen gewerb¬ lichen Verhältniße, und über die Mittel zur Abwehr des Nothstandes ausspreche, daß er sich die Frage vorlege und beantworte „ob unbedingte Gewerbefreiheit oder eine Re¬ organisation der Zünfte mit Hinwegräumung der, unserer Zeit widerstrebenden Zopfbestimmungen derselben“ dem Ge¬ werbestand Heil bringen wird. Wir wollen die Fabriken nicht verbannen; wir wol¬ len die Maschinen nicht zertrümmern wir wollen den menschlichen Erfindungsgeist keine Fesseln anlegen, wir wollen Gewerbefreiheit in dem Sinne, daß wir unsern gewerblichen Haushalt selbst regeln und leiten, und jeder Bevormundung überhoben sind. Wir wollen aber auch keine Gewerbefrei¬ heit die der Deckmantel der Gewerbeanarchie ist; wir wollen nicht, daß jeder treiben kann, was er will; wir wollen nicht, daß ein gewerb¬ liches Faustrecht gelte, das den armen intelligenten Gewerbsmann dem Kapitalisten, der keine Gewerbe gelernt hat, zum Selaven mache. Berathet und redet! Die Gewerbetreibenden des Großher¬ zogthums Hessen. Diesem Aufrufe folgte am 19. April d. J. eine Ver¬ sammlung den hessischen Gewerbetreibenden zu Offenbach die ihre gefaßten Beschlüsse in folgender Weise bekannt macht: Beschlüsse der Abgeordneten der hessischen Gewerbtrei¬ benden in der Versammlung vom 19. April 1848 in Offenbach am Main. Es soll an die Lokalsektionen des Großherzoglichen Gewerbevereins die erforderliche Einladung zur nochmaligen Berathung der gewerblichen Verhältniße unserer Zeit, un¬ ter Zuziehung auch außer ihr stehender Gewerbetreibenden, erlassen werden. Dieser Einladung soll ein Program bey¬ gefügt werden, welches folgende Punkte umfaßt: a Vertretung des Gewerbestandes in den obersten Gewalten des Staates; b Jeder Gewerbtreibende soll sein Fach erlernt haben und nur Eines betreiben; e Vor dem Alter von 20 Jahren soll Niemand Meister werden können; d Jeder Meister muß die Befähigung zu dem Betriebe seines Gewerbes durch Bestehen einer Prüfung nach¬ weisen, nachdem er Lehrlings=, Gesellen und Wan¬ derjahre bestanden hat; e Innungen, welche ihre inneren Verhältniße selbst ordnen sollen, sind zweckmässig; k Gesellen sollen bei ihren Uebergang von Lehrling zum Gesellen ein Gesellenstück machen; g die Meisterprüfungen sollen mehr den Innungen über¬ lassen seyn, und bei Bauhandwerkern sollen die Regierungs=Beamten nicht ausschließliches Votum haben; h dem Handwerk muß genügender Schutz gegen den Hausierhandel angedeihen: i Ein Gewerbtreibender soll sein Geschäft gegen ein anderes vertauschen dürfen, wenn er zu diesem die Befähigung nachweist, nochmalige Lehr= und Wan¬ derjahre erscheinen hierbei überflüssig; k Die Beeinträchtigungen der Gewerbe durch Staats¬ anstalten, in Zuchthäusern 2c. sollen aufhören. Die Beschlüsse sollen mit den Ansichten der Sektionen zur Grundlage der Versprechung und Beschlußnahme in einer, binnen 3 Wochen durch die Localsektion zu Offenbach dahin zu berufenden Versammlung von Deputirten der sämmtlichen Localsektionen dienen, weil sich die heutige Versammlung in Folge der mangelnden Vertretung einer wichtigen Localsektion nicht für befugt zu einer defini¬ tiven Beschlußfassung erachtete. So verhandelt zu Offenbach den 19. April 1848. Zur Beurkundigung. Der Vorsitzende Die Sekretäre: Walter. Dr. Müller. F. Fink. Obiger Aufruf und diese Beschlüsse sind gedruckt und den Handwerksvorstehern in Wien und Linz bereits mit dem Ansinnen zugeschickt worden: die Gewerbetreibenden der Pro¬ vinz Österreich mögen aus allen Orten Abgeordnete nach Wien senden, die sich dort gemeinschaftlich über die Mittel die zum Heile und zum Aufschwunge des Gewerbestandes, mit Berücksichtigung der eigenthümlichen Forderungen jeder Provinz, zu ergreifen sind berathschlagen und das Ergeb¬ niß dieser Berathschlagung durch öffentliche Blätter bekannt machen. Im Verfolge dieser Berathschlagungen wird sich zeigen ob eine Versammlung Abgeordneter aller deutschen Ge¬ werbtreibenden nothwendig sein wird, oder ob es genügt, wenn die Gewerbtreibenden in jedem einzelnen Staat des deutschen Bundes auf dem konstitutionellen Wege die Schritte thun, das zu erreichen, was ihre Selbsterhaltung gebietherisch fordert. Wir meinen das Letztere dürfte genügen. Eine begründete und klare Denkschrift in Form und auf dem Wege einer Petition vor die Kammer gebracht, wird gewiß ein allge¬ meines Gewerbegesetz hervorrufen das ebensoweit von der Anarchie, als von jeder andern Beeinträchtigung einer ver¬ nünftigen Freiheit entfernt ist. Eine solche Petition wird um so gewisser die beabsichtigte Wirkung hervorbringen, wenn der Gewerbstand, ungeachtet des abermals mißglück¬ ten provisorischen Wahlgesetzes durch Festigkeit gegen alle eigennützigen oder anderen unlauteren Einwirkungen dafür sorgt, daß Deputirte in die Kammer kommen die das erfor¬ derliche Talent, die nöthigen Kenntnisse und ein warmes Herz für den Handwerksmann besitzen.*) Eine Versammlung der Gewerbtreibenden in Wien ist bereits angeordnet Der Tag an dem sie eröffnet wird ist uns leider noch nicht mitgetheilt. Die Linzer Gewerbtrei nden haben dem Vernehmen nach den Advokaten Dr. Wiser Alex. Jul. Schindler. Verantwoctlicher Redacteur Alex. Jul. Schindler; Mitredacteur F. W. Arming. Druck und Verlag on Sandböck und Haas in Steyr¬

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