Ergänzungsblätter Nr. 1 bis Nr. 15, Steyr 1848

Jero Ergänzungsblatt der zwanglosen Blätter. Steyr den 17. Mai 1848. Gewerbefreiheit? An die Gewerbetreibenden zu Steyr. Durch den §. 24 der “ Verfassungs=Urkunde, vom 25. April d. J. ist in allen österreichischen Ländern für welche diese Urkunde Gültigkeit haben soll, die vollkommen¬ ste Gewerbefreiheit, Gewerbefreiheit in dem Maße einge¬ führt, daß jeder Staatsbürger ohne Unterschied des Alters und des Standes, ohne Rücksicht auf seinen früheren Bil¬ dungsgang und seine Befähigung berechtiget ist, jedes Ge¬ werbe zu ergreifen und auszuüben, wenn es anders ein ehrliches Gewerbe ist oder nicht etwa der Staat es sich als ein Monopol vorbehalten hat. Bei dem Zustande in dem sich gegenwärtig die Vermögensverhältnisse, die Nahr¬ ungsquellen und die Ausbildung des Gewerbetreibenden in Oesterreich befinden, muß gegenüber dem Auslande, das uns an Geldmitteln, an Absatzquellen, an Vervollkomm¬ nung und Wohlfeilheit der Arbeit weit voraus ist, eine solche unbeschränkte Gewerbefreiheit den Ruin beiwei¬ tem des größten Theiles der Gewerbetreibenden nach sich ziehen, die unter andern Verhältnissen und Aussichten, als denen des heutigen Tages, geboren und zu ihrem Gewer¬ be gerüstet und ausgebildet einer allgemeinen Aufregung der Welt zum Opfer fallen müßten, einer Aufregung deren Ende wir sowohl unserer Freiheit als unseres Sackes willen aufs Sehnlichste herbeiwünschen, und gewiß nicht durch eine allgemeine Anarchie des Gewerbestandes, durch einen thatsächlichen Kampf um Arbeit und Gesellen, sagen wir es offen: durch die Heraufbeschwörung eines gewerblichen Faustrechtes gestillt werden wird. Viele verständige Gewerbsmänner Steyr's haben sich laut geäußert, daß die theilweise Verschlechterung einzelner Erzeugnisse, dadurch die Verminderung der Bestellungen, wo aber die Waaren noch in ihrer ganzen untadelhaften altberühmten Qualität erzeugt werden, die willkürliche und oft geradezu unbarmherzige Herabdrückung des Preises durch die Zwischenhändler einzig und allein in dem Umstande sei¬ nen Grund hat, daß der Gewerbsmann zu wenig Ver¬ mögen hatte, in den Zeiten, wo geringe Nachfrage war, auf Vorrath zu arbeiten, welcher Vorrath ihm in den, nach jeden schlechten Geschäftstagen wieder eintretenden besseren Zeiten, den verdienten Lohn für seine Arbeit und die christlichen Interessen für sein darauf gewendetes Ka¬ pital abgeworfen haben würde. So aber mußte er aus Mangel an Betriebskapital die Waare, da sie den gering¬ sten Werth hatte, verschleudern, der Zwischenhändler spei¬ cherte die schlecht bezahlten Waaren auf, und verkaufte sie in der besseren Geschäftszeit zu guten Preisen; ihm blieb der vermehrte Gewinn, dem Geschäftsmann die Noth, der ver¬ dorbene, immer nur sehr schwer wieder hinaufzutreibende Preis, die Schulden! Soll diesem Uebelstande durch eine unumschränkte Gewerbefreiheit vielleicht abgeholfen werden? nach deren Einführung sich eine Menge Leute ohne Vermögen und ohne hinlänglichen Kenntnissen als selbstständige Gewerbs¬ unternehmer vordrängen werden, die sich schon in der er¬ sten Woche ihres Geschäftsbetriebes in der für das Ge¬ werbe so höchst nachtheiligen Lage befinden werden, in welche die auf Grundlage besserer Gesetze entstandenen Meister doch erst nach einer langen Reihe unglücklicher Jahre kom¬ men können. Was werden jene neuen Meister bringen als schlechtere Waare, schlechtere Preise. Da niemand dem Staate das Recht abspricht seine Ströme und Flüsse so zu regeln und einzudämmen, daß sie dem fruchtbaren Lande keinen Schaden bringen können; warum soll er nicht auch das Recht und die Pflicht haben und erfüllen müssen, die Nahrungsquellen seiner Unterthanen nach vernünftigen Grundsätzen zu regeln. Die unbeschränkteste Gewerhefreiheit ist zuerst mit ge¬ stikten, wehenden Fahnen, mit klingendem Spiele in Frank¬ reich und England eingezogen, statt goldener Tücher weht jetzt von den Fahnenstangen der Arbeiter in jenen Reichen ein zerlumptes Hemd, statt dem Trompeten= und Pfeifenjubel vernimmt man dort in den Strassen der Städte das Stöh¬ nen des Hungers, dazwischen das Pelotonfeuer der gegen die Verzweifelten ausgerückten Regimenter! Wollen wir ein solches Schicksal herauf beschwören über die gesegneten Fluren unsers Vaterlandes, das wir mit deutscher Treue lieben? Groß sind die Gebrechen der Organisirung des Ge¬ werbstandes, doch zeigen sich die Wege auf denen ihnen ab¬ zuhelfen sein wird. Einen dieser Wege, und wie wir mei¬ nen, den gesetzmässigsten und erfolgreichsten haben die Ge¬ werbetreibenden des Großherzogthumes Hessen bereits ein¬ geschlagen. Zuerst veröffentlichten sie den nachfolgenden Aufruf an die Gewerbtreibenden Deutschlands. An die Gewerbetreibenden Deutschlands. Gewerbsmänner! — Groß ist die Noth des Gewerbstandes in Deutschland. Der ehedem wohlhabende Mittelstand geht einer gänzlichen Verarmung entgegen, einer Verarmung, deren gräßliches Bild uns in England, Frankreich und einigen Distrikten Deutschlands gezeigt wird. Die drückende Gegenwart die düstere Zukunft für uns so¬ wohl wie für unsere Nachkommen, legt uns die heilige Pflicht auf, uns darüber zu verständigen und zu einigen, wie das drohende Verderben abzuwenden, wie der Hand¬ werkstand zu kräftigen und zu schützen sey. Genossen! um

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